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»Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.« Dies schrieb einer der erfolgreichsten Schriftsteller deutscher Sprache in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Jakob Wassermann, in seinem autobiographischen Essay Mein Weg als Deutscher und Jude. Er war Deutscher, er war Jude - »eines so sehr und so völlig wie das andere, keines ist vom anderen zu lösen«. Beides zugleich zu sein aber war ihm in der Welt, in der er lebte, verwehrt: »Es ist mir, als wäre nur bei den Toten Gerechtigkeit zu finden gegen die Lebenden. Denn was diese tun, ist ganz und gar…mehr

Produktbeschreibung
»Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.« Dies schrieb einer der erfolgreichsten Schriftsteller deutscher Sprache in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Jakob Wassermann, in seinem autobiographischen Essay Mein Weg als Deutscher und Jude. Er war Deutscher, er war Jude - »eines so sehr und so völlig wie das andere, keines ist vom anderen zu lösen«. Beides zugleich zu sein aber war ihm in der Welt, in der er lebte, verwehrt: »Es ist mir, als wäre nur bei den Toten Gerechtigkeit zu finden gegen die Lebenden. Denn was diese tun, ist ganz und gar unerträglich.« Dieses radikal anklagende Buch wurde 1921 erstmals veröffentlicht, zwölf Jahre, bevor die Nazis in Deutschland an die Macht kamen und damit begonnen wurde, den Juden Europas das Leben zu nehmen.
Jakob Wassermann führt die persönlich erfahrene Bodenlosigkeit einer deutsch-jüdischen Doppelexistenz vor Augen, die Abgründe des Antisemitismus, mit denen sich ein Jude in Deutschland schon in den frühen zwanziger Jahren konfrontiert sah.
Autorenporträt
Wassermann, JakobJakob Wassermann, geboren 1873 in Fürth, gestorben 1934 in Altaussee, wurde vor allem berühmt durch seinen Roman Der Fall Maurizius (1928) (im insel taschenbuch ab Februar 2005). 1894-97 Lektor bei der Zeitschrift 'Simplicissimus'. Freundschaft mit Thomas Mann und Rainer Maria Rilke. 1898 Theaterreferent der 'Frankfurter Zeitung' in Wien. Bekanntschaft mit Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal. 1901 Heirat mit Julie Speyer. 1915 Scheidung von seiner Ehefrau. 1918 Heirat mit Martha Karlweis. 1919 Übersiedlung nach Altaussee. 1926-33 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2006

Zwischen zwei Feuern
Jakob Wassermanns deutsch-jüdisches Bekenntnis

Der Lebensweg Jakob Wassermanns (1873 bis 1934) war ein Leidensweg. Nach dem verlorenen Krieg zerfiel das Deutschland der Weimarer Republik in feindliche Lager und begann, sich selbst zu vernichten. Zu den Opfern gehörte auch, was man später die "deutsch-jüdische Symbiose" genannt hat. Ob es sie je gegeben hat, muß offenbleiben; nach dem Bericht eines Mannes, der es wissen mußte, ist es mehr als zweifelhaft. Dabei hat niemand die Symbiose sehnlicher erhofft als Wassermann. Der jüdische Schriftsteller beklagte es, daß Deutschland keinen geistigen Mittelpunkt hatte, und er wollte seiner Wunschheimat ein Stück ihrer fehlenden Nationalliteratur schreiben. In Romanen wie "Caspar Hauser" oder "Das Gänsemännchen" suchte er sie moralisch aufzurütteln und ihre Bürger mit dem künstlerischen Geist zu versöhnen. Das blieb nicht erfolglos: Im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte er zu den bekanntesten Autoren seines Landes.

Aber 1921 erzählte er es anders. Fast fünfzig Jahre alt und ein berühmter Mann, läßt er seinen deutsch-jüdischen Lebensbericht in einem mehrfachen "Vergeblich" enden. "Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören", schreibt er. "Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude." Der Erste Weltkrieg war zur Identitätskrise des deutschen Judentums geworden. Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzten die hebräische Bibel in ein anderes, jüdisches Deutsch; Arnold Zweig entdeckte den Zionismus; Gershom Scholem trat seinen Weg von Berlin nach Jerusalem an. Ihre Enttäuschung hatte tiefe Wurzeln, und Jakob Wassermanns autobiographischer Rückblick legt sie bloß. Es ist ein Paradox, daß die deutschen Juden des neunzehnten Jahrhunderts meist konservativ eingestellt waren. Ihre Aneignung einer fremden Kultur gehört zu den großen Umwälzungen der jüdischen Geschichte, aber das deutsche Bürgertum hatte nach der gescheiterten Revolution von 1848 keine politischen Ambitionen mehr. Es machte sich zum Fürsprecher einer alten Welt, die es nie gegeben hatte, und die Juden paßten sich an: Auch sie wollten glauben, es liege in ihrem Interesse, an der Fiktion einer überlieferten Ordnung festzuhalten.

Eine Konstante dieses Glaubens ist die Sehnsucht nach einer "Landschaft", die mit der industriellen Revolution unterzugehen drohte und in der sich "Heimat" verkörpern sollte. Wassermann, in Fürth geboren, sah sich als Sohn des fränkischen Bodens: "Die Landschaft von zarter Linienführung; Blumengärten, Weiher, verlassene Schlösser, umsponnene Ruinen, dörfliche Kirmissen, einfache Menschen; (. . .) Hier sah ich sie in reinen Verhältnissen zu ihrer Welt, die auch die meine war, wenigstens nie mich ausstieß."

Solche deutschen Landschaften hatte Heinrich Heine schon fast ein Jahrhundert zuvor in ein ironisches Licht gerückt, und Wassermann bezeichnet ihn nicht zufällig als den großen Antipoden seiner Kunst: "Seine Prosa erregte meinen Haß durch ihr Bestreben nach geistreicher Pointe, durch ihre Mischung von Frivolität und rohester Melancholie." Auch der linke Intellektuelle, der jüdische Revolutionär seiner eigenen Nachkriegszeit, ist ihm unheimlich: "Er beherrscht die Rede, jeder Satz hat Schliff. Alle Leidenschaft ist erstickt; an ihre Stelle ist ein eisiger, in seiner Eisigkeit versengender Fanatismus getreten. Und so, als Fanatiker, mit Bewußtsein, Unerbittlichkeit, Kälte und Glut bedient er sich der Doktrin, die ihn stützt und rechtfertigt: da ist der Explosivstoff, da ist der Mensch der Katastrophe."

Der konservative Jude hat sich die Feindbilder des konservativen Deutschen zu eigen gemacht, und das muß zum Selbsthaß führen. Denn der konservative Deutsche mag die Juden nicht. Sie sind das fremde Element, das ihn in seiner fiktiven Ordnung stört, und Wassermann muß mit sich selbst ins Gehege kommen. Das wird in seinem Werk schon früh deutlich. 1896, mit 23 Jahren, schreibt er den Roman "Die Juden von Zirndorf" und rechnet dort mit einer sinnentleerten Tradition ab, aus der er sich befreien will, ohne es wirklich zu können. "Es war Aussprache, Bekenntnis, Befreiung von einem Alp, der meine Jugend zermalmt hatte", heißt es im Rückblick. "Für viele in Verwandlung Begriffene war es Mitbefreiung, und sie fühlten sich bestätigt. Andere lästerten; ich galt ihnen als Abtrünniger."

Wenig später geht er nach Österreich, und es ist aufschlußreich, wie er auf die Juden reagiert, die im Wiener Kulturleben unübersehbar sind: "Mein Verhältnis zu ihnen, innerlich wie äußerlich, war von Anfang an ein höchst zwiespältiges. Um aufrichtig zu sein, muß ich gestehen, daß ich mir bisweilen wie in Verbannung geraten unter ihnen erschien. Ich war bei den deutschen Juden mehr an bürgerliche Abgeschliffenheit und soziale Unauffälligkeit gewöhnt. Hier wurde ich eine gewisse Scham nie ganz los. Diese Scham steigerte sich manchmal bis zur Verzweiflung und bis zum Ekel. Anlaß war das Geringe wie das Bedeutende; das Idiom; schnelle Vertraulichkeit; Mißtrauen, das das unlängst verlassene Ghetto verriet; apodiktische Meinung; müßige Grübelei um Einfaches; spitzfindiges Wortefechten, wo nichts weiter nötig war als Schauen; Unterwürfigkeit, wo Stolz am Platze war; Mangel an Würde, Mangel an Gebundenheit; Mangel an metaphysischer Befähigung."

Er sei Deutscher und Jude, heißt es im Titel, und hier nimmt die Doppelidentität eine traurige Ironie an. Lange bevor Hitler seinen österreichischen Judenhaß in das Land trägt, das ihn zum Führer wählen wird, empfindet der Jude Jakob Wassermann in Wien ein deutsches Unbehagen: Es ist der ganze Katalog des zeitgenössischen Antisemitismus, den er verinnerlicht hat, und hier, zwölf Jahre vor dem zwölfjährigen Reich, breitet er ihn vor seinen Lesern aus.

Er tut es ungerne, und zwischen den Zeilen spürt man die Scham, mit der er seine Scham angesichts der Wiener Juden empfindet. Aber Wassermann spricht ein Bekenntnis aus und benennt den Preis, um den man ein Deutscher und ein Jude war. Denn auch unter den Deutschen blieb er ein Fremder. Er gibt Gespräche mit einem Mann wieder, den er seinen Freund nennt. Dieser ist ein verarmter Patrizier, ein zum Kleinbürger verkommener Großbürger. "Der Geist in uns und der Geist in euch mischt sich nicht, sagte er, es ist nie gewesen, es wird nie sein. Es gibt keine Blüte, es gibt keinen Organismus, es gibt Konglomerat. Wo die Mischung scheinbar gelungen ist wie bei Felix Mendelssohn, ist doch kein Tiefgang da, auch keine wirkliche Verschmelzung; es ist eine geniale Zwitterbildung."

So spricht der gebildete Antisemit, der Vordenker des Dritten Reiches. Er trägt die Thesen des Rassismus vor, einer Weltanschauung, die damals im Zenith ihres Ansehens stand und der Jakob Wassermann, konservativer Jude und Deutscher, wehrlos ausgeliefert war. Wassermann hatte das Glück, im Jahre 1934 zu sterben. Sein Buch regt zum Nachdenken über die kollektiven Kategorien an, die sich hinter Begriffen wie "Jude" und "Deutscher" verbergen, und es lebt aus der Ehrlichkeit einer Selbstdarstellung. Neu herausgegeben hat es Marcel Reich-Ranicki, der im Todesjahr des Autors noch ein Kind war; er hat beschrieben, was Jakob Wassermann erspart geblieben ist.

JAKOB HESSING

Jakob Wassermann: "Mein Weg als Deutscher und Jude." Mit einem Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 142 S., geb., 19,80 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Deutlich spürt Jakob Hessing den Knick im Lebensweg Jakob Wassermanns, der den deutsch-jüdischen Autor ab 1921 langsam resignieren lässt. Durch Wassermanns Beispiel gelangt Hessing zu einem besseren Verständnis der das gesamte deutsche Judentum zu dieser Zeit erfassenden Identitätskrise. Wassermanns Reaktion auf das Wiener jüdische Kulturleben verfolgt er aufmerksam und erkennt die "traurige Ironie" der Doppelidentität des deutschen Juden, der den Antisemitismus verinnerlicht hat. Hessing entgeht nicht die Scham des Autors angesichts dieses bitteren Paradoxons. Nachdenkllich schließt er das Buch, sinnend über Begriffe wie "Jude" und "Deutscher".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Man soll es unbedingt kaufen und lesen, einen der tiefsinnigsten, ergreifendsten Essays zum nicht verebbenden Thema 'Deutsche und Juden', herzzerreißend und dennoch nicht schluchzend; eine elegante Prosa-Etüde, vornehm-altmodisch im besten Sinn.« Fritz J. Raddatz DIE ZEIT