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Produktdetails
  • Verlag: NP Buchverlag
  • Seitenzahl: 350
  • Abmessung: 30mm x 150mm x 220mm
  • Gewicht: 577g
  • ISBN-13: 9783853261521
  • ISBN-10: 3853261523
  • Artikelnr.: 24218480
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2000

Der (un)heimliche Minister
Der oberste Polizist "protokolliert" die neunziger Jahre in Österreich

Michael Sika: Mein Protokoll. Innenansichten einer Republik. NP Buchverlag, St. Pölten 2000. 350 Seiten, 47,80 Mark.

In der Nacht zum 2. Mai 1999 erhielt Michael Sika einen Anruf aus dem Kommandoraum des österreichischen Innenministeriums: Ein Häftling, der über Sofia abgeschoben werden sollte - "Schubhäftling" heißt das in Österreich -, war an Bord eines bulgarischen Flugzeuges verstorben. Es handelte sich um den Nigerianer Marcus Omofuma. Drei österreichische Kriminalbeamte hatten Omofuma gefesselt und ihm den Mund verklebt, der Mann war erstickt.

Michael Sika war seit fast neun Jahren "Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit" und damit als oberster Polizist für die innere Sicherheit Österreichs zuständig. Der "Fall Omofuma" - strafrechtlich ein noch schwebendes Verfahren - war der Anfang vom Ende seiner Karriere ("Politiker und Medien schossen sich voll auf den Minister und mich ein.") und führte gleichzeitig zur "Entjungferung" des damaligen sozialistischen Innenministers Karl Schlögl als Politiker.

Sika, gebürtiger Wiener des Jahrgangs 1933, ein "Roter", galt als der "heimliche Minister" (manche nannten ihn den "unheimlichen Minister"), als der Mann, der die wichtigsten Geheimnisse der Republik kennt. Im Klappentext des Buches heißt es einigermaßen marktschreierisch: "Doch Politiker fragen immer noch, welche Dossiers er über sie besitzt. Sein Insiderwissen, dokumentiert in zahlreichen Notizen, Tagebucheintragungen und vertraulichen Aktenvermerken, teilte er lange Zeit nur mit wenigen." Hintergründe und Abgründe würden "aufgedeckt und ausgeleuchtet". Der Autor selbst meint, es sei ein Balanceakt gewesen, das Buch zu schreiben; in Wahrheit habe er es zweifach geschrieben: "Zeile für Zeile und - zwischen den Zeilen."

Es wird nichts wirklich aufgedeckt, und Abgründe tun sich wohl auch nur für den ganz Naiven auf. Die Innenansichten werden zu einem Sittenbild der Republik, Österreich ist bei Sika auch "das Land der Nörgler, wo die Indiskretionen blühen". Freunde wird er sich mit diesem Buch nicht unbedingt machen. Aber die braucht er wohl auch nicht mehr. Das Buch zeigt einen Mann, der zutiefst frustriert aus dem Amt geschieden wurde und jetzt abrechnet.

Da geht es zunächst um das Menschlich-Persönliche und um jene drei Innenminister, unter denen Sika als "Generaldirektor" gearbeitet hatte: vier Jahre Franz Löschnak, zwei Jahre Caspar Einem, drei Jahre Karl Schlögl.

Mit Caspar Einem rechnet Sika gnadenlos ab. Er mochte diesen Mann von Anfang an nicht: Für ihn ist er der "ehemalige Bewährungshelfer", "Seilschaften, wohin man schaut", "erbärmliche Haltung", "Sonnenkönig", einer, der "eher dazu neigte, Schmetterlinge als Verbrecher zu fangen", dessen Verhältnis zur Chefin der Grünpartei "sehr eng" war - "wie allgemein im Ministerium bekannt". Die "Kronenzeitung" schrieb damals: "Zwischen dem Innenminister und Österreichs ranghöchstem Polizisten scheint also der offene Krieg auszubrechen." Beide waren in vielen Dingen vollkommen unterschiedlicher Meinung: Das wird vor allem bei den Briefbombenattentaten deutlich, die das Land jahrelang in Atem hielten und über die Sika ausführlich berichtet. Nicht ohne Stolz stellt er fest, daß er mit seiner Analyse - Einzeltäter - richtig lag. Bis dahin gab es eine peinliche Kette von Pleiten, Pech und Pannen.

Sika ist kein Mann der Bescheidenheit. Er habe "viel bewegt und nahezu alles", was er sich zum Ziel gesetzt habe, "auch erreicht". Wer kann das sonst schon von sich behaupten? Wenn trotzdem etwas schieflief, dann waren andere dafür verantwortlich, meistens die Medien, die Sika auch nicht mochte und die immer wieder Gelegenheit fanden, "uns in den Dreck zu ziehen".

Drogenhandel, organisierte Kriminalität, großer Lauschangriff sind weitere große Themen Sikas. Zur "Russenmafia" und österreichischen Politikern findet er harte Worte: Für ihn ist es keine Frage, daß sich Politiker der zweiten und dritten Ebene mit der Ostmafia eingelassen haben: "Denn was fanden die ,Großfürsten aus dem Osten' vor allem in unseren Bundesländern vor? Selbstgefällige Politiker, offensichtlich an Hungerödemen leidende Beamte, die schon dreier Sandwiches wegen einen Purzelbaum machten, die hechelnde Schickimicki-Szene, die sich überall einfindet, wo es nach Geld riecht - Humus für die Herren aus dem Osten." Interessantes erfährt man über die Geldwäscherei in Wien - "Chinarestaurants als Waschsalons" -, und Sika ergänzt: "Hunderte Milliarden Schilling werden weltweit jährlich problemlos gewaschen." Da muß man wieder zwischen den Zeilen lesen.

Für den deutschen Leser sind besonders jene Kapitel über die Flucht von Markus "Mischa" Wolf, oberster DDR-Agentenchef a.D., Anfang September 1991 von Moskau nach Wien und die Aktivitäten der Stasi in Österreich interessant. Nach Sika habe eine "streichelweiche" Justiz in Österreich die Aufarbeitung gestoppt. Er weiß offensichtlich auch warum, schreibt es aber leider nicht. Dazu gehört auch der Fall der "Frau Kommerzialrat" Rudolfine Steindling, ehemalige Geschäftsführerin der DDR-NOVUM GesmbH. 3,5 Mrd. Schilling sollten nach der Wende plötzlich der Kommunistischen Partei Österreichs gehören. Deutsche Behörden vermuteten, daß es sich um in Sicherheit gebrachtes SED- und Stasi-Vermögen handelte. Die Stapo - die österreichische Staatspolizei - observierte die "rote Fini", ihre "rauschenden Feste, vor allem ihre Kontakte zu österreichischen Spitzenpolitikern".

Da erhellen schon kleine Anekdoten das triste Bild, das Sika zeichnet, etwa wenn er den Besuch des letzten sowjetischen Innenministers Viktor Baranikow in Wien Ende November 1991 schildert. Das Mittagessen wurde auf dem Wiener Donauturm eingenommen. Die Fernsicht war durch Nebel beeinträchtigt, was Baranikow aber keineswegs störte. Ihn faszinierte, daß sich das Lokal drehte: "Das ist wunderbar" - allerdings nicht wegen der Technik, sondern: "Da kommen wir immer wieder an der Bar vorbei."

Sika schreibt, er habe in den Jahren seiner Tätigkeit viel gesehen, vermutlich zu viel. Und das erfüllt ihn mit großer Sorge, auch im Hinblick auf den Verfall der öffentlichen Moral. Als letzter Satz steht in seinem Buch: "Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben." Nach Lektüre des Buches bekommt man leicht einen anderen Eindruck.

ROLF STEININGER

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Innenansichten Österreichs findet Rezensent Rolf Steininger im ganzen eher trist. Jedenfalls diejenigen, die Michael Sika hier zu Papier gebracht hat. Der Mann, neun Jahre lang zuständig für die öffentliche Sicherheit in der Republik, bevor ihn der Fall Omofuma - der Nigerianer Marcus Omofuma war 1999 in der "Obhut" österreichischer Ordnungskräfte ums Leben gekommen - den politischen Kopf kostete, schweige sich auf beredte Weise aus. "Marktschreierisch" nennt Steininger die Ankündigungen im Klappentext des Buches, wo von Hinter- und Abgründen die Rede sei, die "aufgedeckt" würden, und fügt dann einigermaßen enttäuscht hinzu: "Es wird nichts wirklich aufgedeckt". Doch wird es offenbar auch für den deutschen Leser noch mal interessant. Dann nämlich, wenn Sika über die Flucht des DDR-Chefagenten Marcus Wolf nach Wien und die Aktivitäten der Stasi im Alpenland berichtet.

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