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"Sein Körper stand als ein Hindernis, als Barriere zwischen uns. Etwas Arglistiges, Drohendes, Hartes. Mir schien, ich müßte jeden Tag aufs neue gegen ihn kämpfen. Seine Anwesenheit war schwer, bedrückend. Ich stolperte über ihn, ich verfing mich in seiner offensichtlich entfalteten Macht über meine Mutter." Der neue Mann ihrer Mutter, ihr Stiefvater, stürzt die Halbwüchsige in größte Konflikte. Einerseits scheint er ihr die Mutter wegzunehmen, und das macht ihn verabscheuungswürdig, andererseits fühlt sie sich von ihm ebenso angezogen wie ihre Mutter. Und seine Annäherungsversuche sind eindeutig sexueller Natur ...…mehr

Produktbeschreibung
"Sein Körper stand als ein Hindernis, als Barriere zwischen uns. Etwas Arglistiges, Drohendes, Hartes. Mir schien, ich müßte jeden Tag aufs neue gegen ihn kämpfen. Seine Anwesenheit war schwer, bedrückend. Ich stolperte über ihn, ich verfing mich in seiner offensichtlich entfalteten Macht über meine Mutter." Der neue Mann ihrer Mutter, ihr Stiefvater, stürzt die Halbwüchsige in größte Konflikte. Einerseits scheint er ihr die Mutter wegzunehmen, und das macht ihn verabscheuungswürdig, andererseits fühlt sie sich von ihm ebenso angezogen wie ihre Mutter. Und seine Annäherungsversuche sind eindeutig sexueller Natur ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.1998

Ausweg aus dem Kindergrab
Empfindlich: Slavenka Drakulics Roman "Marmorhaut"

Schweigen, Tod, Begehren. Spiegel, Schere, Haut. Körper, Auge, Blut. Je näher man die Haupt-Wörter in Slavenka Drakulics Roman "Marmorhaut" anschaut, desto vertrauter schauen sie zurück. Das Geheimnis, das diese Wörter beschwören, bleibt zwischen der Ekstase der Figuren und der Reserve des Lesers auf der Strecke. Es hat auch mit der Welle poetisch-psychoanalytischer Meditationen über den "weiblichen Blick" zu tun, wenn Slavenka Drakulics Sprache allzu geläufig, fast wie eine Wunschvorstellung der feministischen Literaturwissenschaft anmutet. Als die Autorin den Roman im Jahr 1987 in Kroatien veröffentlichte, konnte sie nicht ahnen, daß eines Tages die Inflation literarischer und literaturwissenschaftlicher Rede über Inzest oder sexuellen Mißbrauch ihrem Buch Schaden zufügen würde.

Auch wenn Drakulic für diesen Leser-Überdruß nur indirekt haftbar zu machen ist, für manchen Fall von Körper-Pathos ist sie allein verantwortlich. Man kann ihren Roman auf jeder beliebigen Seite aufschlagen und wird auf Passagen stoßen wie diese: "Durch das Kleid spürte ich, wie ihre Berührung mich versengte und meine Haut an dieser Stelle schmolz. Und wie durch diese verbrannte Stelle auf dem Rücken ihren Körper einsaugte, hungrig einschlürfte." Oder: "Meine Haut war nun so dünn, so schmerzhaft empfindlich geworden, daß mir schien, er würde sie zerreißen, wenn er mich nur noch einmal berührte." Man weiß nicht, ob für Drakulics preziöse Leibes-Phantasien Merleau-Ponty, von dem das Motto zum Roman stammt, Pate stand oder vielleicht die "Geschichte der O.". Das Leiden und Genießen der Figuren spielt in einer hermetischen Welt, die kein Draußen kennt, keine realen Orte, keine realen Zeiten und keine Sprache, mit der man sich über das Erlebte verständigen könnte. "Dieses Schweigen", heißt es, "das mit aller Schwere auf dem Haus, auf unserem zerschnittenen, getrennten Leben brütete und uns dadurch verband . . ."

Schwer lastet die Nicht-Kommunikation zwischen Mutter und Tochter über Haus und Roman. Seine Handlung ist einfach. Die Tochter, eine junge Bildhauerin, sieht sich bei einer Ausstellungseröffnung von einer Bekannten vor die Frage gestellt, "weshalb alle meine weiblichen Aktskulpturen irgendwie von innen zerfressen" seien. Tags darauf, bei der Arbeit mit Ton, löst die Empfindung des plastischen Ton-Körpers den Wunsch, ein "Bild aus dem Gedächtnis hervorzuholen, das mich schon lange quält". Die Künstlerin fertigt eine Marmorskulptur mit dem Titel "Meine Mutter" an und zeigt sie in einer Ausstellung. Als die Mutter ein Foto der Skulptur in einer Zeitung sieht, begeht sie einen Selbstmordversuch.

Bild und Skulptur stehen im Zusammenhang mit einer Jahre zurückliegenden, fatal nachwirkenden ménage à trois. Der leibliche Vater des Mädchens hatte sich erhängt, als sie drei Jahre alt war. Als Vierzehnjährige beginnt sie ein Verhältnis mit dem Liebhaber ihrer Mutter. Es trägt Züge von sexuellem Mißbrauch, doch das Mädchen erwartet die nächtlichen Besuche mit Ungeduld. Sie glaubt, durch die Kontakte mit dem Mann auch der Mutter, der sie verfallen ist, näherzukommen. Die Mutter richtet ihrerseits widersprüchliche Botschaften an die Tochter. Sie steigert ihre Eifersucht durch Hinweise auf Geheimnisse in ihrem Schlafzimmer. Sie unterzieht die Tochter einem rigiden Reinlichkeitsdiktat und ahndet jeden Fleck von Menstruationsblut auf ihrer Wäsche. "Sie hatte mich gelehrt, allen solchen Spuren des Körpers und der Unsauberkeit zuvorzukommen. Das Schlimmste vorauszusehen, gegen das Blut anzukämpfen wie gegen einen Feind."

Gegen die Dazwischenkunft des Dritten begehrt die Tochter in hilflosen Rache-Aktionen auf; etwa indem sie mit einer Nagelschere das mütterliche Negligé zerstückelt. Überhaupt wird in Drakulics Roman - auf buchstäblicher und symbolischer Ebene - viel zerstückelt und verstümmelt. Später wird die Mutter ebenfalls zur Schere greifen und aus ihren Fotos die Männerköpfe herausschneiden. Aber die zierlichen Waffen schneiden nicht gut. Auch die mütterliche, mittels Verboten und Verführungen ins Werk gesetzte Intrige gegen die sexuelle Entwicklung der Tochter erreicht nicht ihr Ziel. Aber es reichen die einander zugefügten Verletzungen aus, um das Leben von Mutter und Tochter dauerhaft zu beschädigen.

Wenn es in Drakulics Roman eine Gegenwelt zu den bösen Familienszenen in Zimmern "aus Milchglas, mit wattierten Wänden" gibt, dann stellt sie die Bildhauerei. Wenn es einen Körperteil gibt, der nicht dem Fluch des weiblichen Körpers unterliegt, dann sind es die Hände. Was die Erzählerin nicht aussprechen kann, sagt sie mit den Händen, weil ihr diese "der einzige Wegweiser, der Ausweg aus meinem Kindergrab" sind.

Gegen die Abgründe des Visuellen sucht sie Heil und Erdung im Taktilen. Ein Bröckchen Putz zwischen den Fingern löst in ihr eine Freude aus, "als hielte ich mein eigenes Dasein in den Händen". Jetzt also, möchte man seufzend konstatieren, huldigt die Erzählerin noch dem Idol des Plastisch-"Sinnlichen". Man würde gern Slavenka Drakulic vor den Klischees in Schutz nehmen, denen ihre eigenen Bilder und Gedanken oft so täuschend ähnlich sehen. CHRISTOPH BARTMANN

Slavenka Drakulic: "Marmorhaut". Roman. Aus dem Kroatischen übersetzt von Astrid Philippsen. Aufbau Verlag, Berlin 1998. 192 S. geb., 36,- DM.

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