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Die Grande Dame der deutschsprachigen Prager Literatur
Diese Geschichten einer Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts, die Verfolgung, Gefängnis, Krankheit erlitten hat, sind eine Schule in der Wahrnehmung des Guten und Schönen. Ob Lenka Reinerová zum ersten Mal von ihrer Krebserkrankung erzählt oder von einem Tag in Theresienstadt, von wo ihre Familie deportiert wurde - ihre Geschichten machen trotz allem Mut und strahlen Wärme aus. "Eines ihrer Geheimnisse scheint mir in ihrer unerschöpflichen Neugier und ungefälschten Teilnahme am menschlichen Schicksal der anderen zu liegen." Aus der Laudatio zur Verleihung des Schillerringes…mehr

Produktbeschreibung
Die Grande Dame der deutschsprachigen Prager Literatur

Diese Geschichten einer Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts, die Verfolgung, Gefängnis, Krankheit erlitten hat, sind eine Schule in der Wahrnehmung des Guten und Schönen. Ob Lenka Reinerová zum ersten Mal von ihrer Krebserkrankung erzählt oder von einem Tag in Theresienstadt, von wo ihre Familie deportiert wurde - ihre Geschichten machen trotz allem Mut und strahlen Wärme aus. "Eines ihrer Geheimnisse scheint mir in ihrer unerschöpflichen Neugier und ungefälschten Teilnahme am menschlichen Schicksal der anderen zu liegen." Aus der Laudatio zur Verleihung des Schillerringes
Autorenporträt
Lenka Reinerová, geb. 1916 in Prag, arbeitete seit 1936 als Journalistin für die 'Arbeiter-Illustrierte-Zeitung'. 1939 floh sie nach Frankreich, wo sie wie viele Emigranten interniert wurde. Über Marokko entkam sie nach Mexiko. Nach Kriegsende kehrte sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Arzt Theodor Balk, nach Europa zurück, lebte einige Jahre in Belgrad und seit 1948 wieder in Prag. Anfang der fünfziger Jahre wurde sie ein Opfer der stalinistischen Säuberungen, verbrachte fünfzehn Monate in Untersuchungshaft, wurde danach mit ihrer Familie in die Provinz abgeschoben und erst 1964 rehabilitiert. Nach dem Ende des Prager Frühlings erhielt sie ein Schreibverbot, wurde aus der Partei ausgeschlossen und verlor ihre Arbeit in einem Verlag. 2006 erhielt Lenka Reinerová das Große Bundesverdienstkreuz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.1998

Unsichtbare Kreise
Lenka Reinerovás Erzählungen · Von Thomas Poiss

Erzählen, weil man so viel erlebt hat, daß es ohne die Klarheit der Sprache kaum zu ertragen wäre - dieses Motiv beherrscht die Texte Lenka Reinerovás und verleiht ihnen die Fähigkeit, den Leser an einer vielschichtigen Gegenwart teilhaben zu lassen. Es geht in diesen Erzählungen um den tschechischen Alltag der Nachwendezeit, gesehen mit den Augen einer 1916 in bürgerlich-jüdischen Verhältnissen geborenen Frau, die das exemplarische Leben einer Linksintellektuellen durchleben mußte: Flucht vor den Nazis über Marseille nach Mexiko, Rückkehr nach Europa, zunächst nach Belgrad, später nach Prag; der stalinistische Terror bringt sie dort erneut ins Gefängnis und nimmt einer Kommunistin den Glauben, nicht aber den Schauer beim Hören der "Internationalen".

Diese Vita spiegelt sich in drei Geschichten: in einer Reise in die tschechische Provinz, im Ringen mit einer langwierigen Krebserkrankung und in einer Erholungsfahrt an einen slowakischen See. Freilich ist der Ort, an dem die Erzählerin bei einer deutsch-tschechischen Begegnung dolmetschen soll, keine gewöhnliche Provinzstadt. Hatte sie schon in Prag auf der Straße einen seltsamen Mann gesehen, der Ringe in die Luft zeichnete, so gibt es auch bei der Anfahrt in die Kleinstadt gleich etwas zu staunen.

Zunächst sind es die in Nähe zur deutschen Grenze feilgebotenen Gartenzwerge und Mädchen, auf die der Blick fällt, doch dann zeichnet wieder ein Mann auf dem Hauptplatz der Stadt Kringel in die Luft. Die Stadt, in der noch heute alles leer und deplaziert wirkt, ist jene, von der einst Mutter und Schwester der Erzählerin in den Tod gingen: Theresienstadt. Ein Besuch bei der Bürgermeisterin deutet zumindest eine Erklärung für den wunderlichen Luftmaler an. Die Stadt erwirkte die Verlegung einer Krankenhausabteilung aus Prag, so daß nun Depressive die Stadt um 250 Seelen vermehren. "Nur harmlose Fälle, völlig ungefährlich", beteuert die Beamtin voll Stolz auf die so gewonnenen Arbeitsplätze.

Das Kernstück des Bandes ist die Kontrastierung von Kommunismus und Krankheit als "tragischer Irrtum und richtige Diagnose". Am meisten überzeugt dabei die indirekte Darstellung. Bereits das Mädchen erhielt eine Vorahnung der Jahrhundertangst, als es durch das Oberlichtfenster des Kinderzimmers beobachtet, wie eine nächtliche Steuerfahndung den Frieden des Elternhauses durchbricht. Dem gegenüber steht die Erfahrung teilnehmender Solidarität, wie sie aus einer fremden Nachbarin im Krankenhaus spricht, die die aus der Narkose erwachende Autorin mit den Worten begrüßt: "Na, sind Sie wieder da?" Das ist eine Phrase, aber sie bedeutet nicht weniger als die Rückkehr ins Leben und das Willkommensein unter den Menschen.

Ähnlich elementar sind die Erfahrungen beim Besuch der Slowakei: der betörende Duft gebrannter Mandeln am Straßenstand, der Novemberwind am See oder die resolute Bäuerin, die mit der Gans Eliska in der Bahn reist und nebenbei die Welt erklärt. Zwar besteht bei solchem Erzählen die Gefahr, ins Malerische und ins Erbauliche zu kippen, doch wer sollte sonst für den Wert des Weiterlebens bürgen, wenn nicht eine Frau, die Judenverfolgung, Stalinismus und Krebs überstand? Mit Staunen nimmt die mit Marseille und Mexiko vertraute Autorin wahr, mit welcher Fremdheit sie einen slowakischen Ort durchstreift. Und dennoch: Wie unverbittert taucht Lenka Reinerová in den Mandelduft, wie schlicht vermag sie am Ende dieses Jahrhunderts das Unfaßliche auszusprechen. Liegt nicht gerade darin das Kriterium möglichen Glücks?

Lenka Reinerová: "Mandelduft". Erzählungen. Aufbau Verlag, Berlin 1998. 144 S., geb., 28,- DM.

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