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Gorensteins Roman über Marc Chagall ist gleichsam ein Buch in Bildern über einen der berühmtesten Maler unseres Jahrhunderts, der in der Welt des Alltäglichen für sich eine Wunderwelt entdeckt hatte. Eindringlich schildert der Roman Kindheit und Jugend in Witebsk, die später Chagalls Schaffen so nachhaltig prägen sollten. Die Petersburger Zeit seiner Kundenstudien, den aufrührenden Aufenthalt in Paris, die Rückkehr nach Rußland in den Wirren der Revolution, schließlich die rettende Ausreise nach Paris und später nach Amerika.

Produktbeschreibung
Gorensteins Roman über Marc Chagall ist gleichsam ein Buch in Bildern über einen der berühmtesten Maler unseres Jahrhunderts, der in der Welt des Alltäglichen für sich eine Wunderwelt entdeckt hatte. Eindringlich schildert der Roman Kindheit und Jugend in Witebsk, die später Chagalls Schaffen so nachhaltig prägen sollten. Die Petersburger Zeit seiner Kundenstudien, den aufrührenden Aufenthalt in Paris, die Rückkehr nach Rußland in den Wirren der Revolution, schließlich die rettende Ausreise nach Paris und später nach Amerika.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.1996

Schwerelos
Friedrich Gorensteins Chagall Von Konrad Fuhrmann

Am 28. März 1985 starb Marc Chagall im südfranzösischen St-Paul-de-Vence, 98 Jahre alt und lebenssatt. Er habe, erfahren wir aus Friedrich Gorensteins Chagall-Roman, seinen Geist in einem Lift ausgehaucht, sei also gleichsam entschwebt, schwerelos wie seine Engel, wie seine Liebenden und Geigenspieler. Man muß Gorenstein dieses aufdringlich signifikante Detail nicht glauben, aber Chagalls langes Leben wurde offenbar wirklich von einem Tode abgeschlossen, der still war "wie ein sanfter Traum".

Doch wie dramatisch hatte dieses Leben begonnen. In seiner Kindheit wurde der im Judenghetto des weißrussischen Witebsk als Sohn eines Lagerarbeiters geborene Marc Zeuge scheußlicher Pogrome und Opfer der vielfältigen Diskriminierungen, denen sich Juden im Zarenreich ausgesetzt sahen, als junger Mann erlebte er die Apokalypse von Revolution und Bürgerkrieg und die ersten "Säuberungen" der sowjetischen Machthaber. In russischen und deutschen Konzentrationslagern verlor Chagall Verwandte und Freunde; ja, die ganze Welt seiner Kindheit, das Ostjudentum, das er in so einzigartiger Weise dargestellt hat, verschwand vor seinen Augen, ausgelöscht von den Schergen Hitlers. Chagalls schwerelose Kunst, seine schwebenden Gestalten, seine bunten, frohen Farben also nur eine Gegenwelt, eine Bildersprache des gebannten Schreckens, eine Flucht aus der unerträglichen Schwere des Daseins? Nein, meint Friedrich Gorenstein in dem einleitenden Essay zu seinem Roman, trotz allen Unheils und aller Verluste habe sich Chagall gleich "Hiob, dem ersten Chassiden", sein "leichtes, rein chassidisches Lebensgefühl" bewahrt.

In seinem jüngsten, nun auf deutsch vorliegenden Werk nähert sich der seit 1979 in Westberlin lebende Schriftsteller dem Phänomen Chagall, dem Geheimnis seiner künstlerischen und menschlichen Existenz, mit rund hundert durch ein Netz von Vorausdeutungen und Symbolen, von Chagallschen Farben und Bildmotiven (so die durchgängige Metaphorik von Schwere und Leichtigkeit, von Luft und Flug) miteinander verwobenen Einzelbildern, die prägende Stationen aus dem Leben des Malers wiedergeben. Als eine wesentliche Inspirationsquelle für diese meisterhafte, ebenso persönliche wie eigenwillige Künstlerbiographie diente die 1931 erschienene Autobiographie Chagalls.

Die in schlichtem, expressivem Stil gehaltenen Reflexionen, die die Autobiographie durchziehen, und wohl aus anderen Quellen übernommene Gespräche des Künstlers mit Zeitgenossen und Kollegen spitzt Gorenstein, ein Meister eskalierender Dialoge, zu Kollisionen konträrer Kunst- und Lebensauffassungen zu. So bildet der Disput mit Malewitsch als dem Exponenten einer Moderne, die von der radikalen Verneinung der Tradition in die völlige Leere mündet ("das schwarze Quadrat") und von der revolutionären Befreiung in Repression umschlägt (ein Konflikt, der schließlich zur Vertreibung Chagalls aus dem Amt des "Kommissars für Kunst" im heimischen Witebsk führt), einen Höhepunkt des Romans. Hier macht sich die karge Kommentierung besonders ärgerlich bemerkbar: Nicht nur Malewitschs polnische Flüche bleiben unübersetzt, auch die dem russischen Leser zweifellos geläufigen Verse, mit denen die gegensätzliche Haltung der Kontrahenten zur Tradition illustriert wird - hie Krutschonys bedeutungsleere Klanggesten, hie Lermontows klassisches Gedicht "Der Engel", zu dem sich Chagall zu bekennen wagt -, werden keiner Erläuterung für wert befunden. Zumal in solchen Szenen äußert sich die Schule Dostojewskis, dessen - meist stark verfremdeten - Motiven wir bei Gorenstein immer wieder begegnen. (In diesem Werk stürzt sich beispielsweise der Tschekist Wilenski, den Selbstmord der "Sanften" variierend, mit einer Stalin-,Ikone" aus dem Fenster.)

Mit seinen oft bewußt plakativen Montagen - gleichzeitig zur ersten Vernissage Chagalls in Berlin veranstaltet die "Antisemitische Volkspartei" eine Ausstellung, auf der auch Aquarelle Hitlers zu sehen sind - und anderen Stilelementen knüpft Gorenstein hingegen an die abgerissenen Traditionslinien der russischen experimentellen Prosa der zwanziger Jahre an. Nach dem großen Zeitroman "Der Platz", in dem der Autor unter anderem seine traumatischen Kindheits- und Jugenderlebnisse - der Sohn eines unter Stalin ermordeten Funktionärs wuchs nach dem frühen Tode der Mutter in Waisenhäusern auf und lebte als Geächteter am Rande der sowjetischen Gesellschaft - verarbeitete, hat sich Gorenstein nun einem anderen Künstlerleben, einer ganz anders gearteten jüdischen Existenz zugewandt. Bei Chagall fand der "liebende Neider" offenbar alles, was ihm sein eigenes Geschick versagte: glückliche Kindheitserfahrungen und die Geborgenheit einer durch die Familie vermittelten religiös geprägten Lebenshaltung, vor allem aber "die vulgäre chassidische Freude", die uns in jene glückseligen Zeiten zurückversetzt, als der Mensch noch imstande war, "die Welt so zu empfinden wie die Vögel und andere Tiere".

Friedrich Gorenstein: "Malen, wie die Vögel singen". Ein Chagall-Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Renate Horlemann. Aufbau Verlag, Berlin 1996. 211 S., geb., 36,- DM.

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