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Kuno Raeber begann sein schriftstellerisches Werk 1950 als Lyriker, und Gedichte begleiten den ganzen Zeitraum seines Schaffens. Je stärker Raeber im Lauf der 60er und 70er Jahre Reichtum und Flexibilität seiner Sprache in umfangreichen Erzählwerken entfaltete, desto knapper wurde die Lyrik. Seine Gedichte wenden sich vor allem durch Klang und rhythmische Ordnung "ebenso ans Ohr wie ans Auge, wollen ebenso durch ihren Tonfall faszinieren, wie durch die Bilder, die sie vor dem Leser aufstellen". "Eine Faszination, die uns so bald nicht mehr loslassen wird." (Pia Reinacher)
In der Schweizer
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Produktbeschreibung
Kuno Raeber begann sein schriftstellerisches Werk 1950 als Lyriker, und Gedichte begleiten den ganzen Zeitraum seines Schaffens. Je stärker Raeber im Lauf der 60er und 70er Jahre Reichtum und Flexibilität seiner Sprache in umfangreichen Erzählwerken entfaltete, desto knapper wurde die Lyrik. Seine Gedichte wenden sich vor allem durch Klang und rhythmische Ordnung "ebenso ans Ohr wie ans Auge, wollen ebenso durch ihren Tonfall faszinieren, wie durch die Bilder, die sie vor dem Leser aufstellen".
"Eine Faszination, die uns so bald nicht mehr loslassen wird."
(Pia Reinacher)
In der Schweizer Tradition der zunächst verkannten und erst spät zu Ehren gekommenen großen Autoren wie Robert Walser, Friedrich Glauser und Albin Zollinger gilt es einen weiteren hochkarätigen Schriftsteller zu entdecken: den Sprachkünstler und Erinnerungsmagier Kuno Raeber. Der eigenwillige und sprachbesessene Autor verarbeitete literarisch die großen Themen der Weltgeschichte: von Rom und Konstantinopel bis zu den Totenritualen der alten Ägypter und dem Maya-Kult der Azteken.
Autorenporträt
Kuno Raeber, geboren 1922, studierte in Basel, Zürich, Paris und Genf. Seit 1958 lebte er in München, war 1967 Poet in Residence am Oberlin College/Ohio und 1977 Mitglied des Schweizer Instituts in Rom. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. 1969 die Ehrengabe der Bayerischen Akademie der schönen Künste, 1973 den Tukanpreis der Stadt München, 1979 den Luzerner Literaturpreis. Kuno Raeber starb 1992 in Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2004

Metamorphosen in New York
Beim heiligen Rocker: Kuno Raeber in einer Werkausgabe

Trotz seines umfangreichen Werks - es umfaßt mehrere Gedichtbände sowie Romane, Dramen, Hörspiele und erzählende Prosa - ist der Schweizer Kuno Raeber (1922 bis 1992) hierzulande noch immer ein unbekannter Autor. Anders als seine Generationsgenossen Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Paul Nizon oder Kurt Marti hat Raeber seine helvetische Heimat und die sprichwörtliche Enge der Schweiz nie zum ausdrücklichen Thema seines Schreibens gemacht. Viel zu sehr erschuf er sich seit seinen ersten Gedichten, die in den fünfziger Jahren erschienen, eine zutiefst poetische Welt, als daß er Interesse daran gehabt hätte, sich unmittelbar in gesellschaftliche Debatten einzuschalten. Die kunstvolle Sprache seiner Prosa und der an antiken Mustern geschulte Rhythmus seiner Gedichte erfordern eine geduldige Lektüre und werden wohl kaum jemals breite Popularität erlangen.

Weltfremdheit kann man Raeber allerdings kaum vorwerfen, denn er blieb stets ein genauer Beobachter seiner Umwelt und seiner Mitmenschen. In seinen Romanen beschreibt er das Leben von Hippies in New York genauso sorgfältig wie die Psyche eines Kunstattentäters. Doch bei allem Detailrealismus seiner Schilderungen des alltäglichen Lebens läßt er sich nie durch die engen Grenzen von Raum und Zeit einschränken, sondern unterlegt das gegenwärtige Geschehen immer wieder mit mythischen Ereignissen. Die Identität der Figuren wird auf oft irritierende Weise gebrochen; Gestalten aus der antiken Mythologie, der biblischen Tradition und den christlichen Legenden verwandeln sich unversehens in Menschen unserer Welt.

Dieses dichterische Verfahren führt zu manchen Überraschungen: Der Australier Laszlo Toth, der 1972 in Rom die berühmte Pietà des Michelangelo mit einem Hammer zerstören wollte, wird im Roman "Das Ei" (1981) zum biblischen Judas, der ausgerechnet mit Maria ein Komplott schmiedet, weil beide von der vermeintlichen Unzuverlässigkeit des Erlösers Jesus enttäuscht sind und ihn auf die rechte Bahn lenken wollen. In Raebers Hauptwerk, dem ausufernden Roman "Alexius unter der Treppe" (1973), ist die Titelfigur der ehemalige Chef einer Bande von Motorrad-Rockern, der jahrelang unter der Treppe eines New Yorker Beerdigungsinstituts haust. Zugleich ist er aber eine Reinkarnation des heiligen Alexius aus der mittelalterlichen Legendenüberlieferung, der am Tage seiner Hochzeit das Haus verläßt und viele Jahre später unerkannt als Bettler zurückkehrt.

Das moderne New York aber wird in diesem Roman zur gepriesenen Stadt aller Städte, zur unübertroffenen Nachfolgerin aller Metropolen, die die Geschichte je hervorgebracht hat: "Sieh an und betrachte den Embryo, wie er dahinwiegt über den Himmel der einzigen Stadt, des ewigen Jerusalem-Babylon-Rom-Byzanz-Venedig-Manhattan." So klingt der hymnisch-pathetische Ton Raebers, der selbst einige Zeit in New York lebte und begeistert dem Mythos Manhattan huldigt. Von helvetischer Enge auch hier keine Spur, ebensowenig aber auch von der kritischen Distanz eines nüchternen Beobachters.

Das poetologische Grundprinzip all dieser unentwegten Verwandlungen fand Raeber früh in Ovids "Metamorphosen". Ein ausgedehnter Italien-Aufenthalt - in den Jahren 1951 und 1952 leitete Raeber die Schweizer Schule in Rom - vermittelte ihm die unmittelbare Anschauung der mediterranen Lebenswelt, die er seitdem in seinen Gedichten beschrieb. Im poetischen Kosmos des Bandes "Die verwandelten Schiffe" (1957) vollziehen sich vor der Kulisse des sonnenbestrahlten Mittelmeers erstaunliche Umwandlungen: Fischer werden zu Fischen, nachdem sie das Kraut gekaut haben, "das nach dem Wasser weckt die wilde Sucht". Das titelgebende Gedicht beschreibt die von Vergil in der "Aeneis" geschilderte wundersame Verwandlung von Schiffen im Angesicht ihrer Verfolger: "Da tauchen, da schwinden die Segel, / da sinken die Schiffe im Schaum, / und Schwimmerinnen für Schiffe / steigen herauf." Stets vollziehen sich diese Verwandlungen mit großer Selbstverständlichkeit; das Wunderbare wird Teil des vertrauten Alltags.

Raebers Romane fanden nur wenige Leser, zu sehr verstörten die mythologische Durchdringung des Geschehens und die Preisgabe herkömmlicher Gestaltungsprinzipien eine Leserschaft, die an den Ton der engagierten Literatur der Nachkriegszeit und an realistische Handlungen gewöhnt war. Seine anhaltende Orientierung an den Werken von Ovid und Vergil, seine Vorliebe für die Sprachästhetik Hugo von Hofmannsthals und seine mehrfach bekannte Wahlverwandtschaft zu Jorge Luis Borges, von dessen phantastischem Realismus er sich in vielerlei Form inspirieren ließ, zielten von vornherein auf ein exklusives, umfassend gebildetes Publikum. Bekannter wurde der Lyriker Raeber; für seine Gedichte erfuhr er zu Lebzeiten einige Aufmerksamkeit und öffentliche Anerkennung.

Die liebevoll ausgestattete und sorgfältig zusammengestellte Werkausgabe des Nagel & Kimche Verlags, von der nun die ersten drei Bände vorliegen, bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, das dichterische Werk Kuno Raebers in all seiner Komplexität zu entdecken. Die beiden Herausgeber, Christine Wyrwa und Matthias Klein, haben die Texte gründlich kommentiert und nehmen ihren Lesern dabei manch mühevolle Recherche ab, indem sie geduldig die Passagen aus antiken Texten und mittelalterlichen Legenden zusammentragen, aus denen der Historiker Raeber seine reichen Imaginationen schöpfte.

Hilfreich für die Lektüre sind auch die vielen Querverweise auf Bezüge innerhalb des Gesamtwerks. Sie verdeutlichen, mit welcher Obsession Raeber einzelne Motive immer wieder aufgriff, variierte und neu kombinierte. Die wiederkehrenden Beschreibungen der Kugel als Abbild der Vollkommenheit gehören dazu, aber auch die Gestalten der geschundenen Märtyrer. Immer wieder erzählt Raeber neue Geschichten um den Kopf des enthaupteten Täufers Johannes oder von den Gebeinen des heiligen Markus, die zufolge der Legende aus dem Orient nach Venedig verschifft wurden. Diese frühe und recht makabre Form des Kulturtransfers hatte für Raeber eine tiefe sinnbildliche Bedeutung, war er doch selbst stets darum bemüht, die Reste antiker Überlieferung in seiner eigenen Gegenwart zu neuem Leben zu erwecken.

SABINE DOERING

Kuno Raeber: "Werke in 5 Bänden". Hrsg. von Christine Wyrwa und Matthias Klein. Bd. 1: "Lyrik". 464 S. - Bd. 2: "Erzählende Prosa". 518 S. - Bd. 3: "Romane und Dramen". 526 S. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München/Wien 2002 und 2003. Geb., jeweils 29,90 [Euro].

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