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Aufgebrochen aus einem kleinen Land, das lange Zeit im Abseits und in geistiger Enge gehalten wurde, hält sich der Schriftsteller Gregor Gradnik in Amerika auf. Das 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' wird ihm zum Niemandsland der Seele. In grotesken Begebnissen, merkwürdigen Begegnungen empfindet der 'unwissend Wissende' überall wurzelloses Leben, auch eine Liebschaft bleibt ohne wahre Empfindung. Der Sprung über den Ozean, eine kurze Reise zur 'Endstation Sehnsucht'? Einer flog, sprang über die 'Schatten des Verlangens', die zwischen luziferischen Verführungen des Geistes und Frohlockungen…mehr

Produktbeschreibung
Aufgebrochen aus einem kleinen Land, das lange Zeit im Abseits und in geistiger Enge gehalten wurde, hält sich der Schriftsteller Gregor Gradnik in Amerika auf. Das 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' wird ihm zum Niemandsland der Seele. In grotesken Begebnissen, merkwürdigen Begegnungen empfindet der 'unwissend Wissende' überall wurzelloses Leben, auch eine Liebschaft bleibt ohne wahre Empfindung. Der Sprung über den Ozean, eine kurze Reise zur 'Endstation Sehnsucht'? Einer flog, sprang über die 'Schatten des Verlangens', die zwischen luziferischen Verführungen des Geistes und Frohlockungen der Sinne wachsen. Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung. Drago Jancar, einem veritablen Vivisecteur, ist ein erzählerisches Meisterwerk über die Anatomie der Melancholie gelungen. Robert Burton und Lawrence Sterne, Herzpech und Witz, schimmern durch dieses Weltgemälde von der Unlust an der Welt und der Lust am Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.1996

Leben als Kakerlakenkunde
Drago Jancar gibt ein Kolleg für fortgeschrittene Melancholiker

Gregor Gradnik, einen Schriftsteller aus Slowenien, hat es nach Amerika verschlagen. Wenn heutzutage Autoren reisen und über ihre Reisen Romane schreiben, dann hat nicht selten der "göttliche Zufall" Regie geführt, und zwar "in Form eines ausgeschriebenen Stipendiums", wie es in Drago Jancars Roman selbstironisch heißt. New York war nicht zu haben, aber New Orleans ist auch nicht schlecht. Und wenn die Amerikaner wollen, daß er über Literatur spricht, dann wird er eben über Literatur sprechen. Also wird auch Gregor tun, was writers in residence üblicherweise tun: übers Schreiben reden und daraus dann ein neues Buch machen.

"Luzifers Lächeln" ist ein Stipendiatenroman. Sein Thema ist die höhere Bindungslosigkeit des fahrenden Literaten, dargestellt an Gregor Gradnik, der die Sehnsucht nach Slowenien zu stillen versucht, indem er sich in New Orleans zum Melancholie-Experten weiterbildet. Vielleicht ist ja das ein Merkmal des Stipendiatenromans: Ihm fehlt der Kontakt zur Welt, und das sollen Lesefrüchte aus gutbestückten Fachbibliotheken kompensieren.

Gradniks Seminarauftritt beginnt unkonventionell, nämlich mit Jesaja 14, 12: "Wie bist du vom Himmel gestürzet, o Luzifer, Sohn der Morgenröte! Wie bist du zur Erde gefället worden!" Die Studenten sind verdutzt. Das ist nicht die "authentische Selbstaussage", ohne Kunstanspruch und Ausrufezeichen, zu der Fred Blaumann, der Kursleiter, seine Schüler erziehen will. Ausgerechnet in Luzifers Sturz will der slowenische Gastdozent eine Allegorie Amerikas erblickt haben: "Gregor Gradnik war überzeugt, daß gerade in der amerikanischen TV-Predigt die Verbindung mit dem Leben zu finden sei, mit der Selbstaussage Amerikas. . . . Eine nicht enden wollende Schlacht zwischen dem deutlich geschiedenen Guten und Bösen." Die Studenten verstehen nicht. Eigentlich bleibt Gregor Gradnik das ganze Buch über mit seinen starken Thesen allein.

Immerhin entwickelt sich bald eine Liebesgeschichte zwischen dem slowenischen Gast und einer jungen Schreibschülerin. Trotz Mardi Gras, trotz eines kreolischen Puders und Ellis Marsalis am Piano bleibt die Stimmung gedämpft. Dabei taucht der Roman durchaus in das turbulente Leben des French Quarter ein. Auf seinem Grund aber liegt der Blues, das örtliche Gegenstück zu Gregor Gradniks schöner Trübsal, die slowenisch hrepenenje heißt. Seine Schwermut ist literarisch grundiert - von der Endstation Sehnsucht zur Langsamen Heimkehr. Die Mutter des Schriftstellers liegt daheim im Sterben, seine Frau ist des Wartens müde. Von New York aus fliegt Gregor zurück nach Slowenien, wo er hingehört, wo "jedes Feld und jedes Gewässer . . . seinen Namen" hat.

Ein Gregor in Amerika, das läßt von ferne an Kafka denken und näherhin an Peter Handke, zu dem Jancar seit dessen projugoslawischen Manifesten auf Distanz gegangen ist. Ausdrücklich empfiehlt einmal der Schriftsteller einem Schüler "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", und auch sonst erkennt man einige von Handkes Vorlieben wieder: die empfindsame Amerika-Reise und das metaphysische Lob der slawischen Heimat, die literarische Zitierlust und die Hingabe an die Dinge des Alltags. Wie Handkes Helden wartet Gregor Gradnik auf Stunden der wahren Empfindung, und wir, die Leser, schauen ihm beim Warten zu. Die Wartezeit füllt Jancar mit Betrachtungen, zumal über die Melancholie. Doch sie beschäftigt ihn eher als archiviertes Wissen denn als gelebte Erfahrung.

Mit dem Melancholie-Forscher Blaumann hat Jancar diesem Wissen eine Hülle erschaffen. Professor Fred Blaumann hat alles gespeichert, was man über Melancholie wissen kann. Nun braucht man es bloß noch abzurufen. Eine Romanfigur ist Blaumann nicht, eher schon ein Datenträger. Die restliche Gelehrsamkeit hat Jancar auf Faltblätter verteilt, die eine "Anatomie der Melancholie" nach Robert Burton skizzieren. Der Hinweis auf den Spleen, die Milz, als organischen Sitz der Schwermut, darf nicht fehlen.

Das alles ist lehrreich und gibt sich postmodern gewitzt, es ist selbstreflexiv und ironisch sowieso. Trotzdem kommt beim Leser Unmut auf. Wenn Romane von Melancholie handeln, ist ein wenig Handlungshemmung zwar erlaubt. Doch ein Melancholie-Kolleg ist noch längst kein Roman, und auch Einfälle wie "Schule für kreatives Lachen" sind auf Dauer ermüdend. Nicht einmal die Theorie des Joggens und die Kakerlakenkunde helfen über die Belanglosigkeit des Erzählens hinweg.

Ganz am Ende, als der Stipendiat schon heimischen Boden unter den Füßen hat, kommt der Roman doch noch zu sich. Nicht nur hat in Slowenien ein jedes Ding seinen Namen, es hat auch Drago Jancar für alle Dinge auf einmal die richtige Sprache. Erst in Slowenien darf die Melancholie den Zettelkasten verlassen und rückt in einer großen Schlußvision Landschaft, Leute und die Hauptfigur in ein alles umfassendes Inbild der Schwere. "Zwischen den ragenden Zweigen", heißt es da, "öffnete sich die weite Landschaft bis an den Horizont. Von dort, ganz vom Rand der Erde, strömte das strähnige Licht durch den Riß. Durch diesen Riß stiegen die Leben hinauf und begegneten in der auf das Hellste erleuchteten Landschaft den melancholischen Teufeln, die blitzschnell in die Tiefe stürzten." Es scheint, als hätte Jancar seinen Helden nur deshalb in die Ferne geschickt, damit der Rückkehrer das Vertraute noch einmal entdeckt. CHRISTOPH BARTMANN

Drago Jancar: "Luzifers Lächeln". Roman. Aus dem Slowenischen übersetzt von Klaus Detlef Olof. Wieser Verlag, Klagenfurt 1996. 346 S., geb., 50,- DM.

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