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Seit über 30 Jahren sammelt Pierre Assouline Dokumente aller Art über das Hotel Lutetia, das legendäre Pariser Hotel. Sein Bericht konzentriert sich besonders auf 3 Epochen: die unbeschwerte Vorkriegszeit, die Beschlagnahme durch die deutschen Besatzer, und schließlich das Jahr 1945, als die aus Deutschland zurückkehrenden KZ-Häftlinge in eben diesem Hotel zentral aufgenommen wurden. Ein sehr interessantes Buch. Preis der Maisons de la Presse 2005.

Produktbeschreibung
Seit über 30 Jahren sammelt Pierre Assouline Dokumente aller Art über das Hotel Lutetia, das legendäre Pariser Hotel. Sein Bericht konzentriert sich besonders auf 3 Epochen: die unbeschwerte Vorkriegszeit, die Beschlagnahme durch die deutschen Besatzer, und schließlich das Jahr 1945, als die aus Deutschland zurückkehrenden KZ-Häftlinge in eben diesem Hotel zentral aufgenommen wurden. Ein sehr interessantes Buch. Preis der Maisons de la Presse 2005.
Autorenporträt
Pierre Assouline, geb. 1953 in Casablanca, entstammt einer sephardischen Familie, sein Vater kämpfte in der Resistance. Assouline ist Redaktionschef der Zeitschrift 'Lire'. Er schrieb Biographien, z. B. über Georges Simenon, Jean Jardin, Herge, Gaston Gallimard, Daniel-Henry Kahnweiler, und Dokumentationen z. B. über Lourdes und 'Le dernier des Camondo' über eine legendäre sephardische Bankiersdynastie. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. 'In meinen Augen ist das Leben nicht schwarz-weiß', sagt Pierre Assouline. 'Es ist grau. Was mich interessiert, sind die Menschen und ihre geheimen Schubladen.'
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2006

Die Hölle ist ein Hotel
Düstere Epoche: Pierre Assoulines Roman aus dem besetzten Paris

Die Dimensionen dieses Werkes erschließen sich von seinem Ende her. "Paris 1971-2004" steht auf der letzten der insgesamt 438 Seiten: Über dreißig Jahre lang hat der französische Schriftsteller und Kritiker Pierre Assouline an "Lutetias Geheimnisse" gearbeitet. Als Beleg für die umfangreichen Recherchen dient darüber hinaus eine Literaturliste mit mehr als hundert meist geschichtswissenschaftlichen Titeln. Ein Sachbuch, kein Roman, könnte man denken, auch weil das Pariser "Hôtel Lutetia", auf das sich der Titel bezieht, tatsächlich existiert. 1910 wurde es am linken Seine-Ufer gebaut; André Gide, Pablo Picasso und Charles de Gaulle haben hier logiert. Pierre Assouline geht es allerdings nicht um die unterhaltsame Geschichte eines mondänen Hotels und seiner Gäste, sondern, wie er in einem Nachsatz anmerkt, um eine Wanderung auf dem schmalen Grat "zwischen den historischen Fakten und der romanhaften Phantasie".

Die Handlung ist auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs begrenzt. "Wer das Frankreich davor nicht gekannt hat, der weiß nicht, was die Süße des Lebens ist", schwärmt Édouard Kiefer, der Hoteldetektiv, der seit seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Polizeidienst wie ein "nicht zu fassender Schatten" Gänge und Säle des Hotels durchstreift. Solange die Seitensprünge der verheirateten Hotelgäste und die kleinen Unzuverlässigkeiten des Personals den "schönen Schein" des Palasthotels nicht gefährden, drückt er gerne ein Auge zu, und wenn ihm seine Jugendfreundin Nathalie, die es mittels Heirat zur Gräfin von Clary gebracht hat, einen nächtlichen Besuch in seiner Dachgeschoßkammer abstattet, geht er auch mit sich selbst nicht allzu hart ins Gericht. Erst als er im Herbst 1938, kurz nach dem Münchener Abkommen, ein Duell zwischen einem deutschnationalen Geschäftsmann und einem gekränkten französischen Offizier arrangieren muß, beginnt er zu fürchten, daß sein "flexibles Berufsethos" auf die Probe gestellt werden wird. Am 15. Juni 1940, gut vier Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht, ist es soweit. Die deutsche Abwehr requiriert das "Lutetia" - und verpflichtet den zweisprachig aufgewachsenen Elsässer Édouard als Dolmetscher.

"Wieweit kann ein Mensch gehen, ohne seine Integrität zu verlieren?" Es wird noch dauern, bis Édouard erkennt, daß das die einzige Frage ist, "für die es keine Schande wäre, alles aufs Spiel zu setzen und alles zu verlieren". Zunächst verfolgt er als Beobachter, wie die Rangordnungen des Hotels mit seinen Chefportiers, Wagenmeistern und Chasseurs, mit seinen Kellermeistern und Etagenkellnern, Küchenjungen und Topfspülern durch die Hierarchien des deutschen Militärs abgelöst werden. Er kommt gerade noch darum herum, mit seinen neuen Herren ein Glas Champagner auf den hoffnungsvollen Beginn des Rußland-Feldzugs zu trinken, doch als Natalie ihn um Hilfe bittet, weil sie aufgrund der Religion ihrer Großeltern und den "neuen Vichy-Gesetzen als Israelitin" gilt, läßt er sich auf ein gefährliches Spiel mit den Deutschen ein.

Es endet in einer demütigenden Szene. Einer der führenden Köpfe der deutschen Abwehr, der ihm unter anderem Namen noch als Hotelgast aus der Vorkriegszeit bekannt ist, zwingt den passionierten Waldhornspieler Édouard zu einem Auftritt bei einer makabren Feier. Es ist eine deutliche Anspielung auf die berüchtigte "Burgunder-Szene" aus Ernst Jüngers "Pariser Tagebuch": Eine Runde Offiziere versammelt sich auf der Dachterrasse des Hotels, um bei einem Abendessen einen Luftangriff der Alliierten zu genießen. Jetzt ist auch Édouards innere Ordnung zerbrochen. Von nun an erweist "der große Neutrale" der Résistance den einen oder anderen Dienst.

Handwerklich ist dieser Roman perfekt gemacht. Mit der Präzision eines klassischen Tragödiendichters inszeniert Pierre Assouline den Gewissenskonflikt seines unscheinbaren Helden vor dem atmosphärisch dichten Hintergrund des Hotels. Doch während er den literarischen Grenzgang "zwischen den historischen Fakten und der romanhaften Phantasie" über weite Strecken glänzend absolviert, kommt er dem mythologischen Gestrüpp am Wegesrand gefährlich nahe. Unter anderem arbeitet Assouline munter an der in Frankreich bis heute gepflegten heroischen Verklärung der Résistance mit. So muß Édouard eingestehen, daß der ehemalige Hotelbuchhalter und spätere Untergrundaktivist Félix mit seinen Vorwürfen gegenüber der "elastischen Moral" des Detektivs "von ganz zu Anfang bis ganz zum Schluß recht gehabt hatte" - und darf sich nach Kriegsende, als das "Lutetia" einen Teil der Repatriierten aufnimmt, an Figuren wie der bescheidenen Widerstandskämpferin Gisèle Guillemot berauschen: "Sie gehörte zu denen, die ich nicht vergessen würde."

Kein Wunder, daß dieser Roman in Frankreich ein Bestseller geworden ist. Um so auffälliger ist der blinde Fleck in der Aufzählung der Schrecken des Krieges: "Der Feind folterte Widerstandskämpfer zu Tode", resümiert Édouard kurz nach dem Waffenstillstand, "richtete wahllos Zivilisten hin, rottete auf seinem Weg ganze Dörfer aus." Auschwitz wurde bis zu dieser Stelle erst einmal im Roman erwähnt - und als die Gaskammern, in denen unter anderem auch Zyklon B aus französischer Produktion verwendet wurde, zuletzt doch genannt werden, kommt es zu einer sonderbaren Namensverwechslung. Während der Befragungen, die die Deportierten nach ihrer Rückkehr über sich ergehen lassen müssen, erklärt ein ehemaliger KZ-Häftling, daß die "Vergasungsgebäude nicht in Birkenau, sondern hundert Meter davon entfernt, in Brzezinka, standen". Assouline will offenbar darauf hinaus, daß die Gaskammern nicht zu dem sogenannten "Stammlager I" in Auschwitz gehörten, sondern zum Konzentrationslager in dem benachbarten Ortsteil Birkenau, und wirft dabei einiges durcheinander: "Brzezinka" ist schlicht der polnische Name für Birkenau.

Es wäre unfair, Pierre Assoulines Roman mit seiner Fülle an raffiniert verwobenen Fakten allein von diesem Fehler her lesen zu wollen. Will man in "Lutetias Geheimnisse" aber mehr sehen als einen geschichtsgesättigten Schmöker und das elegant geschriebene Porträt einer Epoche, wird man nicht darum herumkommen, den Roman vor dem Hintergrund der in Frankreich bis heute anhaltenden Diskussion um das Verhältnis zu dem Völkermord an den europäischen Juden zu sehen - und danach zu fragen, warum in diesem enzyklopädisch angelegten Werk ausgerechnet die dunkelsten Episoden der Epoche nur am Rande gestreift werden.

Erst zum Schluß schildert Pierre Assouline eine kurze Begebenheit, die den eiskalten Atem der Geschichte, der einst auch durch die Lobby des "Lutetia" blies, wirklich erahnen läßt. Ein ehemaliger KZ-Häftling berichtet, wie er und die anderen Häftlinge kurz vor Kriegsende auf einen "Todesmarsch" geschickt wurden. "Ich hoffe, Sie werden Ihren Aufenthalt bei uns nicht in allzu schlechter Erinnerung behalten", hatte der Lagerkommandant ihnen am Tor zugerufen, wie ein beflissener Page, der auf ein Trinkgeld aus ist. In diesem zynischen Satz steckt mehr als in den zahllosen tragischen Lebensgeschichten, die Pierre Assouline auf den vierhundert Seiten zuvor hat Revue passieren lassen. Die Hölle, das ist ein Hotel.

KOLJA MENSING

Pierre Assouline: "Lutetias Geheimnisse". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Wieland Grommes. Karl Blessing Verlag, München 2006. 444 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Waldhorn in Stahlgewittern
Pierre Assoulines Roman „Lutetias Geheimnisse” / Von Johannes Willms
Auch Hotels haben ihre aus vielen Geschichten sich speisende Geschichte, ein Schicksal mithin. Das des „Lutetia”, der einzigen auf dem linken Pariser Seineufer gelegenen Nobelherberge, ist zwar schon verschiedentlich erzählt worden, aber noch nie mit solcher Eleganz, wie von Pierre Assouline. Die besondere Stärke seines Buchs ist zum einen, dass es die erzählerische Freiheit des Romans mit der faktengesättigten Genauigkeit einer historiographischen Darstellung verknüpft. Zum anderen hat sich Assouline klugerweise bei seiner Darstellung auf die Jahre 1938 bis 1945 beschränkt, eine Spanne, in der sich in diesem 1910 erbauten einzigen Luxushotel das damalige Zeitgeschehen wie von einem Brennspiegel fokussiert wurde.
Bis zur Besetzung Frankreichs im Frühsommer 1940 war das „Lutetia” nicht nur ein beliebter Aufenthaltsort europäischer Künstler, Schriftsteller und Intellektueller, sondern vor allem auch jener, die vor der Naziherrschaft aus Deutschland emigriert waren. Dann wurde das Hotel wie die anderen Pariser Nobelherbergen auch von der Wehrmacht beschlagnahmt, die hier die Dienststellen der Abwehr installierte. Nach der Befreiung von Paris im August 1944 nahm das „Lutetia” jene Elendsgestalten auf, die in der Hölle der Konzentrationslager überlebt hatten.
Diese jähen Wechsel innerhalb weniger Jahre bieten reichlich Stoff, den Assouline mit großem Geschick nutzt, um seiner Romanhandlung Relief zu verleihen. Deren Protagonist ist der ehemalige Polizist Edouard Kiefer, der als Hoteldetektiv das „Lutetia” unablässig wie ein „nicht zu fassender Schatten” durchstreift. Kiefer, der aus dem Elsass stammt, geht in seiner stillen Tätigkeit so auf, dass ihm das „Lutetia”, in dem er in einer kleinen Kammer im Dachgeschoss wohnt, die Welt ersetzt. Das geht so weit, dass er nur für sich über die Stammgäste Karteikarten anlegt, auf denen er ihre Eigenarten und Gewohnheiten protokolliert. Die mondäne Idylle der unmittelbaren Vorkriegszeit, in der sich Kiefer hier bewegt, charakterisiert dieser rückblickend mit einer Paraphrase des bekannten Ausspruchs von Talleyrand: „Wer das Frankreich davor nicht gekannt hat, der weiß nicht, was die Süße des Lebens ist.”
Dass dieses Leben im Hotel aber nur eine Scheinwirklichkeit ist, beginnt Kiefer zu ahnen, als es unmittelbar nach dem Münchener Abkommen vom Herbst 1938 im Restaurant zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen einem deutschen Geschäftsmann, einem Nazi, und einem französischen Offizier kommt. Damit wird ein Konflikt präludiert, dem sich Kiefer auf Dauer auch mit seinem „flexiblen Berufsethos” nicht mehr entziehen kann, sobald sich wenige Wochen nach der Kapitulation Frankreichs die Abwehr, der Nachrichtendienst der Wehrmacht, im „Lutetia” niederlässt und den zweisprachigen Kiefer als Dolmetscher verpflichtet.
Ein Abendessen
im Widerschein
des Luftangriffs
Zunächst scheint Kiefer sich noch hinter der Illusion verschanzen zu können, dass, von den uniformierten Hotelbewohnern abgesehen, alles seinen gewohnten Gang gehe und er den neuen Machthabern gegenüber eine Distanz behaupten könne, die seine Integrität nicht beschädigt. Diese Illusion zerbricht erst, als ihn Nathalie, seine Liebe aus Jugendtagen, die häufig mit ihrem Mann Gast im „Lutetia” war und Kiefer dabei stets in seiner Dachkammer besuchte, ihn darum bittet, ihr unter Ausnutzung seiner Beziehungen zu den Abwehrstäben zu helfen. Nathalie droht nämlich die Deportation, weil sie nach den „neuen Vichy-Gesetzen” als Jüdin gilt. So wird Kiefer, der ihr diese Bitte nicht abschlagen kann, zu einer Parteinahme verpflichtet, die er bislang zu vermeiden gesucht hatte.
Endgültig zerstört wird seine innere Haltung der Unbeteiligtheit aber durch ein anderes Ereignis: Einer der früheren Stammgäste des „Lutetia” entpuppt sich als Offizier der Abwehr. Dieser bittet Kiefer gelegentlich eines eigens arrangierten champagnerseligen Abendessens auf dem Dach des Hotels das Waldhorn zu blasen, eine Leidenschaft, der er seit seinen Jugendtagen frönt. Dieses Abendessen findet im Widerschein eines englischen Luftangriffs statt, ein dramaturgischer Einfall, der sich gewiss der berühmten Szene aus Ernst Jüngers Pariser Tagebuch verdankt. Es ist dieser Zynismus, von dem sich Kiefer zutiefst gedemütigt fühlt, der ihn endgültig dazu zwingt, seine bisherige Haltung aufzugeben und sich auf die Seite der Résistance zu schlagen.
Der Konflikt, in den Edouard Kiefer dadurch endgültig gerät, illustriert vorzüglich das Thema von Anpassung und Widerstand. Das geschieht allerdings um den Preis, dass Assouline ungebrochen den längst beschädigten Mythos der Résistance beschwört, was dem großen Erfolg des Romans in Frankreich zuträglich gewesen sein dürfte: Kiefer personifiziert den gaullistischen Versöhnungsmythos, dass, bis auf wenige Ausnahmen, alle Franzosen im Widerstand gegen die Nazis standen. Das ändert aber nichts daran, dass Pierre Assouline ein vorzüglicher, gut zu lesender Roman gelungen ist, der seinen Leser zu fesseln versteht. Daran hat auch die deutsche Übersetzung von Wieland Grommes großen Anteil, der nur ein Fehler anzukreiden ist: die lebenden Leichen gleichenden, von Hunger, Erschöpfung und mannigfachen Quälereien ausgezehrten Häftlinge, hießen im Rotwelsch der Konzentrationslager nicht „Mohammedaner”, sondern „Muselmanen”.
Pierre Assouline
Lutetias Geheimnisse
Roman. Aus dem Französischen von Wieland Grommes. Karl Blessing Verlag, München 2006, 444 S., 19,95 Euro.
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