Produktdetails
  • Verlag: Picador
  • ISBN-13: 9780330439596
  • Artikelnr.: 26473651
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2005

Die Beseelung einer Vorstadt durch den Schrecken
Von wegen Rückzug in die Idylle: „Lunar Park“, der neue Roman von Bret Easton Ellis, erscheint in den Vereinigten Staaten
Es waren nie die Schriftsteller und Rockstars selbst, die sich zur Stimme ihrer Generation erklärten. Im Gegenteil, J.D. Salinger und Jack Kerouac empfanden ihre Rolle genauso als unerträgliche Bürde wie Bob Dylan und Kurt Cobain. Bret Easton Ellis geht es da ähnlich, nur dass er sich etwas lässiger damit auseinandersetzt. In seinem neuen Roman „Lunar Park“, der in der kommenden Woche in den Vereinigten Staaten erscheint (Knopf, New York, 308 Seiten, $ 24,95), packt er das Thema mit Verve in die ersten dreißig Seiten, um sich dann aus der literarischen Nabelschau heraus ohne Vorwarnung in eine Satire auf die Herausforderungen an das Leben im mittleren Alter zu katapultieren, in der er sich statt einem alter ego eine alter vita zimmert.
Der Kunstgriff klingt prätentiöser, als er ist, auch wenn das nicht einmal ein berechtigter Kritikpunkt wäre – schließlich ist Bret Easton Ellis die literarische Stimme jener Zwischengeneration, für die neben ideologischem Stilbewusstsein, Clubkultur, Madonna und Jim Jarmusch vor allem eine chronische Selbstüberschätzung stand, die mit großer Geste das eigene Mittelmaß als historisches Ereignis feierte und die sich ansonsten mit entwaffnender Ironie aus der Verantwortung stahl. Das mag prinzipiell unterhaltsam sein, hat sich aber gerade in der Literatur oft genug als Blindgänger erwiesen.
Mangelnde literarische Qualität hat man auch Bret Easton Ellis oft genug vorgeworfen, außerdem Oberflächlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Selbstverliebtheit sowie die Verherrlichung von Drogen und Gewalt. In Deutschland kam sein Roman „American Psycho“ für letzteres sogar auf den Index für jugendgefährdende Schriften. Ellis mokiert sich über die Kritik denn auch gleich von der ersten Zeile an, indem er die ersten Sätze seiner Romane analysiert und dabei seinen Werdegang als Schriftsteller psychologisiert. So landet er mitten in seinem aufregenden Leben als Jungstar der Literatur, der Mitte der achtziger Jahre gemeinsam mit Jay McInerney, Tama Janowitz und einer neuen Generation hipper, erfolgsbewusster Lektoren das New Yorker „Literary Bratpack“ bildete, das sich mit seinen ironie- und drogengeschwängerten Büchern aufmachte, die Welt des Pop zu erobern.
Mit Wucht für die Empfindung
Ellis war dabei die entscheidende Stimme, der Autor, der eine ganze Generation gleichaltriger und nachfolgender Schriftsteller prägte, auch wenn er das selbst natürlich abstreitet. Ohne Ellis hätte es keinen Christian Kracht, keinen Michel Houellebecq und keinen Irvine Welsh gegeben – und wahrscheinlich auch nicht seine umso freundlicheren Antipoden wie Douglas Coupland, Nick Hornby und Dave Eggers. Ellis war es auch, der mit jedem Roman einen passenden Ton zum momentanen Lebensabschnitt seiner Altersgenossen fand, egal ob er in „Less Than Zero“ und „Rules Of Attraction“ den Hedonismus des Collegelebens auseinandernahm, den zynischen Kern des Karrierismus in „American Psycho“ oder die planlose Sinnsuche in Pop und Politik der neunziger Jahre in seinem jüngsten Roman „Glamorama“. Dabei täuschte er mit der Wucht von Popsongs, Comicstrips und Actionfilmen über eine zunehmende Empfindlichkeit hinweg, die dem etablierten Literaturbetrieb verschlossen bleiben musste.
Natürlich war auch immer eine Portion Neid dabei, schließlich genoss das „Literary Bratpack“ ein kosmopolitisches Glamourleben, wie es sich zuletzt höchstens Hemingway und Capote hatten erlauben können. Nach der kurzen Introspektion beschleunigt Ellis deswegen auch gleich um ein Vielfaches und beschreibt sein Leben als Erfolgsliterat mit einer Aneinanderreihung von großen Namen und Ereignissen, als hätte er zwanzig Jahrgänge New Yorker Klatschkolumnen ausgewertet.
Er erzählt von Ausflügen nach Mailand, Singapur und Köln, von einem Abendessen bei George W. Bush und einer Freundschaft mit Keanu Reeves, von Tête-à-têtes mit Christy Turlington und George Michael, von durchfeierten Nächten mit Bono, Michael Stipe und Bruce Springsteens Band sowie von Bodyguards, die ihm sein Verlag zur Seite stellt, damit er keine Drogen nimmt. Ganz bewusst verwischt er dabei Stück für Stück seine eigene Biographie mit dem überzeichneten Bild eines Sitten- und Kulturverfalls.
Die rasante Vermischung aus wahrer und unwahrer Lebensgeschichte dient jedoch nur der Charakterbildung für die eigentliche Handlung des Romans. Der Bret Easton Ellis, den er sich da in „Lunar Park“ zusammendichtet, heiratet trotz sexueller Ambivalenz eine ehemalige Geliebte mitsamt einem gemeinsamen Sohn. Jayne Dennis heißt seine Gefährtin, eine mittelmäßige Hollywoodschauspielerin, mit der er sich zerstritten hatte, weil sie eine Affäre mit Keanu Reeves anfing. Er lässt sich ausnüchtern, und das Paar zieht mit dem elfjährigen Knaben und der sechsjährigen Tochter aus einer anderen Beziehung der Schauspielerin in eine jener McMansions, wie man die protzigen, seelenlosen Fertigvillen in den Luxusvororten der amerikanischen Großstädte nennt.
Ein Aufbäumen des Wahns
Ellis beschreibt zunächst das perfekte Bild eines Glamourpaares, das kurz vor der Mitte seines Lebens steht. Da sind die quengelnden Kinder, das bequeme Leben mit Personal, die etwas zu großen Autos und die Vergangenheit, die mit all ihren Verlockungen und psychologischen Fallen hinter jeder der manikürten Hecken lauert. Der Ellis aus „Lunar Park“ schreibt an einem semi-pornografischen Roman, unterrichtet lustlos Literatur an einem College, lässt sich vom zotteligen Campusdealer hin und wieder mit Drogen versorgen, beginnt mit einer Studentin eine Affäre und versucht, das letzte Aufbäumen seines Suchtverhaltens und übergroßen Egos im Zaum zu halten. Doch bald wandelt sich die erfundene Lebensgeschichte von der Suburbia-Satire zu einem Horrorszenario, in dem der massenmordende Patrick Bateman aus „American Psycho“genauso eine Rolle spielt wie die verhasste Figur des verstorbenen Vaters und die geheimnisvolle Vogelpuppe der Stieftochter. Bret Easton Ellis hat aus seiner Bewunderung für Stephen King nie einen Hehl gemacht.
Man kann sich auch dieses Mal über seinen Roman streiten, darüber auch, ob er sich seinem Vorbild zu stark angenähert, von der eigenen Person zu weit entfernt oder doch eigentlich nur den eigenen Narzissmus befriedigt hat. Das rätselhafte erste Kapitel tut jedenfalls schon seine Wirkung. Die ersten Rezensenten suchen nach Fakten. Hat der kinderlose Ellis nicht vor zwei Jahren seinen Lebensgefährten verloren? Hat ihn dieser Tod nicht aus der Bahn geworfen? Verbringt er seither nicht viel Zeit bei seiner Mutter in Los Angeles? Versucht er etwa, mit dem familiären Suburbia-Idyll auf falsche Fährten zu führen? Und Ellis lässt schon verlauten, er denke gar nicht daran preiszugeben, wo die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit in „Lunar Park“ verlaufen.
„Ich fand mich plötzlich als Stimme meiner Generation wieder“, schreibt Ellis über den Erfolgsstrudel nach seinem Erstling „Less Than Zero“. Dann demontiert er seinen Status gleich mit der abfälligen Bemerkung: „Es schien keine Rolle zu spielen, dass ich erst 21 Jahre alt war und es eben gerade keine anderen Stimmen gab.“ Er schreibt auch: „Ich war ein Rätsel, und das war es, was zählte. Das verkaufte Bücher und machte mich immer berühmter.“ Mit all dem Glamour, der aufgezwungenen Bedeutungsschwere, der mysteriösen Aura spielt Ellis in „Lunar Park“ mit einer fast verachtungsvollen Lässigkeit.
Doch auch diesmal können seine Tricks und Finten, seine Blendereien und Pirouetten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er weiterhin für seine Generation spricht. Vielleicht lässt sich der Horror der Erkenntnis, dass da draußen in der Suburbia nur die Lebensumstände, aber nicht der eigene Kopf erwachsen geworden sind, nur als Horrorkomödie ertragen. Vielleicht ist das kaum verhohlene Vergnügen darüber, dass das Idyll jäh von äußerer Gewalt zerfetzt wird, größer als die Zufriedenheit des Erfolges. Das wäre eine fast schon altmodische Rebellion gegen das Bürgerliche, das Gesetzte, das gesellschaftlich Erstrebenswerte. Aber gerade darin findet Bret Easton Ellis zu sich selbst. Denn in seinem tiefsten Inneren bleibt er ein Moralist. Auch wenn das manchmal nur schwer zu erkennen ist.
ANDRIAN KREYE
„Ich fand mich plötzlich als Stimme meiner Generation wieder“ – und damit kann man Grausames anstellen: Bret Easton Ellis.
Foto: Michael Oreal / Visum
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2005

Von der Unmöglichkeit, endlich erwachsen zu werden
In seinem neuen Roman "Lunar Park" erforscht Bret Easton Ellis, der große Gesellschaftskritiker der amerikanischen Gegenwartsliteratur, seine eigenen Abgründe

Als ich Bret Easton Ellis für ein Interview traf, wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September in seiner völlig unterkühlten Wohnung in Manhattan, in der er heute nicht mehr lebt, erzählte er von dem Roman, den er gerade schreibe und der so ganz anders sei als alles, was er zuvor geschrieben habe. Es sei eine Familiengeschichte, sagte er, und daß er dafür, für dieses neue Buch zum ersten Mal alle seine Bücher wieder gelesen habe, "American Psycho", "Unter Null", "Glamorama", Romane, die ihn zu einem der berühmtesten Schriftsteller unserer Gegenwart werden ließen, und daß ihn das in eine Schreibkrise gestürzt habe; so verzweifelt sei er darüber geworden, nein, das habe ihm alles gar nicht gefallen. Er erzählte außerdem, daß sein neues Buch das erste sei, das er in der Vergangenheitsform schreibe. Daß Gewalt diesmal nur in Form von emotionaler Gewalt vorkomme, wie es sie in Familien eben gebe. Und daß er die kalte Wut nicht mehr in sich spüre, die ihn bislang getrieben habe.

Vier Jahre später erscheint dieser Roman nun in Amerika. Er heißt "Lunar Park" und ist tatsächlich vollkommen anders als alles, was Ellis bisher geschrieben hat. Es gibt zwar auch Morde in "Lunar Park", aber sie lesen sich wie ein Echo aus einer vergangenen Zeit, wie eine schlechte Bret-Easton-Ellis-Imitation. "Lunar Park" ist die Abkehr von allem, für das Ellis bisher stand. Es ist nicht länger die Oberfläche, die er mit kaltem Blick seziert, es ist das, was darunter liegt. Oder was er dort vermutet. "Wir gleiten die Oberfläche der Dinge hinab", hieß es in "Glamorama" als immer wiederkehrendes Motto - in "Lunar Park" erkennt der Held: "Da war etwas unter der Oberfläche der Dinge." Aber was?

Man merkt dem Buch an, daß sein Verfasser ziemlich viele Therapiesitzungen hinter sich hat. Bret Easton Ellis, Autor einiger sehr düsterer Romane, die wegen pornographischer Gewaltphantasien und detaillierter Schilderungen brutalster Morde teilweise auf dem Index standen - und sogar, im Falle von "American Psycho", einen Nachahmer in der Wirklichkeit fanden, welcher nach Vorbild des Romanhelden Patrick Bateman zum Serienmörder wurde -, dieser Bret Easton Ellis, der seine Wut und seinen Haß bislang in seinen Büchern ungezügelt auslebte, hat sich auf die Suche nach sich selbst begeben. Und ist als ein anderer Schriftsteller daraus hervorgegangen.

Und den sollen auch wir jetzt kennenlernen, den anderen, den wahren Ellis. Der Ich-Erzähler von "Lunar Park" heißt Bret Easton Ellis, ist Schriftsteller und hat "Unter Null", "American Psycho" und "Glamorama" geschrieben, drei der wichtigsten Romane der letzten zwanzig Jahre. Er ist am selben Tag geboren wie der reale Bret Easton Ellis (7. März 1964), ist gleich groß (1,83 Meter); sein Vater hieß Robert Martin Ellis, wie der des Autors, und starb am selben Augusttag des Jahres 1992. Kurzum, Bret Easton Ellis stellt sich in seinem neuen Roman "Lunar Park", der am Dienstag in Amerika erscheint, selbst als Hauptfigur zur Verfügung - und so radikal und ungeniert narzißtisch hat das noch kein anderer Schriftsteller getan.

Im ersten Kapitel, das als dreißigseitige Introduktion gelesen werden kann, erzählt Ellis in einem atemlosen Crescendo sein Leben bis zum Ausgangspunkt des Romans, der nach einem Zusammenbruch beginnt. Und auch wenn einige Details zweifelsohne erfunden sind - so ist der Ellis im Buch verheiratet und hat einen Sohn, während der echte ledig, kinderlos und erklärtermaßen homosexuell ist -, so liest sich das Ganze doch extrem autobiographisch, was den Reiz natürlich erhöht und sicherlich auch beabsichtigt ist. Sogar die aktuelle Werbekampagne in Amerika spielt mit der Vermischung von Wahrheit und Fiktion: auf der Homepage des Verlages ist der echte Ellis dem Roman-Ellis gegenübergestellt (kleiner Witz am Rande: der echte wiegt deutlich weniger); seiner fiktiven Ehefrau, einer Filmschauspielerin namens Jayne Dennis, hat man im Internet eigene fiktive Star-Sites gewidmet. Das Spiel mit Rollen, die Frage, wer man wirklich ist - und wer hier spricht -, steht ganz am Anfang des Romans: You do an awfully good impression of yourself, ist der erste Satz - du gibst eine verdammt gute Vorstellung von dir selber ab.

Im ersten Kapitel erfahren wir, wie der junge Bret Easton Ellis, der nach der Scheidung seiner Eltern bei der Mutter aufwuchs, unter seinem Vater litt, den er als alles verdunkelnden Einfluß wahrnahm und dem er die Schuld dafür gibt, daß er in einem ungewöhnlich frühen Alter eine "dunkle Seite des Lebens" entdeckt habe; wir erfahren, daß er gegen den Willen des Vaters Literatur studierte, ja, gegen ihn zum Schriftsteller wurde. Daß er "Unter Null", den Roman über eine Jugend ohne Moral, der ihn mit 21 Jahren berühmt und zur Stimme seiner Generation machte, innerhalb eines achtwöchigen Drogenrauschs auf dem Fußboden seines Jugendzimmers geschrieben hatte. Wir lesen von seinem dekadenten Leben als gefeierter Schriftsteller in New York, von Champagner, Celebrity-Freunden, Drogen und noch mehr Drogen.

Um seine Werke geht es auch. Der Reihe nach nimmt Ellis die Anfangssätze seiner Romane auseinander, die mit den Jahren immer komplizierter und gleichzeitig banaler geworden seien ("Mein Leben erdrückte mich, und die ersten Sätze schienen zu spiegeln, was falschgelaufen war"); er wundert sich, daß "Rules of Attraction", sein zweiter Roman, von der Kritik ernst genommen wurde, wo es darin doch buchstäblich um nichts gegangen sei ("aber an diesem Punkt meiner Karriere hätte ich die Notizen aus meinem Virginia-Woolf-Kurs an der High School vorlegen können und immer noch höchste Aufmerksamkeit bekommen"). Und natürlich geht es auch um "American Psycho", seinen bekanntesten Roman. Dessen Protagonisten Patrick Bateman habe er nach dem Vorbild seines Vaters anlegen wollen, schreibt er, doch dann habe sich der Charakter ("jemand - etwas - übernahm die Kontrolle") verselbständigt: "Selbst Jahre später konnte ich das Buch nicht ansehen, geschweige denn zur Hand nehmen oder noch mal lesen - es hatte etwas, nun ja, Böses an sich."

Das Böse. Jemand. Etwas. Ellis drückt sich auch genauer aus: "Das war es, was geschah, wenn du die Vergangenheit nicht aufsuchen und dich ihr stellen wolltest: die Vergangenheit begann, dich aufzusuchen und stellte dich. Mein Vater verfolgte mich." Als Das Böse in seinem Leben hat Ellis seinen Vater ausgemacht, den er als "egoistischen, Mißbrauch treibenden, eitlen, wütenden, paranoiden Alkoholiker" beschreibt; "Lunar Park" handelt von seinem Versuch, sich von ihm zu befreien. Daß der Ellis im Buch dafür sogar die Hilfe eines Exorzisten in Anspruch nimmt, gehört nicht zu den plattesten Einfällen.

Die Handlung: Bret Easton Ellis, Autor von "American Psycho" und so weiter, ist mit der Schauspielerin Jayne Dennis verheiratet, mit der er einen elfjährigen Sohn, Robby, hat. Der war zwar nicht geplant, aber nun ist er halt da, und nachdem Ellis, der eine unglückliche Neigung zu Drogen hat, auf einer Lesetour einen Zusammenbruch erlitten hat, besinnt er sich seines Vaterseins und zieht zu Frau, Sohn und Stieftochter aufs Land in die Nähe von New York. Mit seiner Ankunft beginnen sich dort seltsame Dinge zuzutragen. Kleine Jungen verschwinden, es gibt vereinzelt Mordfälle, Gegenstände entwickeln ein unerklärliches Eigenleben - je weiter die Handlung voranschreitet, desto unwahrscheinlicher wird das Geschehen: Eines Nachts entdeckt Ellis im Garten neben dem Pool einen Grabstein, in den der Name seines Vaters graviert ist; es tauchen Personen auf, in denen er Figuren aus seinen Romanen zu erkennen meint; das Stofftier seiner sechsjährigen Stieftochter, ein Rabe, Terby mit Namen, spielt eine immer größere - und unheilvolle - Rolle; und da wir das Geschehen nur durch die Augen des Ich-Erzählers wahrnehmen, sind wir auf Hinweise angewiesen, die Rückschlüsse auf dessen Glaubwürdigkeit geben könnten.

Es sind wenige Nebensätze, Bemerkungen seiner Frau oder von Nachbarn, die nahelegen, daß dessen Glaubwürdigkeit doch zumindest zweifelhaft ist. "Sieh dich an, deine Augen sind total rot, du bist betrunken und stinkst nach Gras", sagt seine Frau zu ihm, nachdem er versucht hat, jemanden, der aussieht wie Patrick Bateman aus "American Psycho", mit einem Gewehr aus seinem Haus zu jagen; auf einer Halloweenparty nimmt er, der zuvor behauptet hatte, seit vier Monaten clean zu sein, Kokain und merkt trotzig an: "Notiz an den Leser - ja, ich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr technisch clean"; gegen Ende heißt es einmal beiläufig: "Es fiel mir schwer, wach zu bleiben, was am Heroin lag, das ich nun täglich nahm."

So liefert Ellis zumindest eine handfeste Deutungsmöglichkeit für Geschehnisse, die sonst nur mit Übernatürlichem zu erklären wären und die Lektüre streckenweise wie eine Art Stephen King für Arme wirken lassen. Möbel, die sich wie von Geisterhand umstellen (bis Ellis merkt, daß die neue Anordnung genauso ist wie im Hause seiner Kindheit); ein cremefarbener Mercedes 450 SL, der immer wieder auftaucht (bis Ellis merkt, daß es dasselbe Modell ist, das sein Vater in Ellis' Kindheit fuhr); Anstrichfarbe, die vom Haus abblättert (bis Ellis merkt, daß die darunterliegende Schicht aussieht wie das Haus seiner . . . genau). So viele Hinweise gibt Ellis seinen Lesern, und noch einen und noch einen, bis man schließlich fast darum betet, es möge doch alles noch eine verblüffendere Wendung nehmen als nur die, daß der Ich-Erzähler von seiner Kindheit eingeholt wird. Aber nein: der Ich-Erzähler wird also von den Dämonen seiner Kindheit heimgesucht, vom Einfluß seines übermächtigen Vaters. "Lunar Park" ist die Coming-of-age-Geschichte eines Mannes in seinen Vierzigern.

Die Symbolik, die Ellis auffährt, scheint dabei einem Psychologievolkshochschulkurs für Anfänger zu entstammen. Da ist der Mond, schon im Titel "Lunar Park", der für das Unbewußte steht. Er kommt an vielen Stellen im Roman vor, unter anderem glüht er als Bildschirmschoner des Computers von Ellis' Sohn (der ja denselben Vornamen trägt wie Ellis' Vater). Dann gibt es den Vogel, Symbol für die Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits. Und es gibt das Peter-Pan-Motiv, stellvertretend für das Nicht-erwachsen-werden-Wollen: die verschwundenen Jungen, "The Lost Boys", verschwinden nach Neverland, vermutet der Ich-Erzähler (verlegt sich dann aber auf Neverneverland). Besonders raffiniert ist das nicht. Es sind auch nicht so wunderwunderschöne Sätze im neuen Roman, wie Ellis sie beispielsweise in "Glamorama" schrieb. "Lunar Park" ist ein Abschied. Von Bret Easton Ellis, dem großen Gesellschaftskritiker und zynischen Stilisten der achtziger und neunziger Jahre.

Es ist auch ein Abgesang auf die Welt, die er bisher beschrieb. In "Lunar Park" zeichnet er ein düsteres Post-9/11-Szenario einer Welt, in der Markennamen und andere Statussymbole längst keine Rolle mehr spielen: Selbstmord-Attentäter jagen sich in Kaufhäusern und vollbesetzten U-Bahn-Zügen in die Luft, die Menschen fliehen aus den großen Städten, überall Feinde ohne Gesicht; täglich explodieren Bomben, die Innenstädte sind voll Stacheldraht, wegen der vielen Sniper sind kugelsichere Westen überall im Angebot. Was in "Glamorama" noch Teil der Handlung war - Terroristen formieren sich gegen das Wertesystem der Konsumgesellschaft -, ist hier nur Kulisse, wird, höchstens ein Achselzucken wert, auf einer Seite erwähnt. Nichts spielt in dieser Welt mehr eine Rolle, es gibt keine erkennbaren Ziele, für oder gegen die es sich zu kämpfen lohnt; Kinder werden mit Psychopharmaka ruhiggestellt, Erwachsene betäuben sich mit Alkohol und Drogen: "So viele Menschen hatten ihre Fähigkeit zum Lieben verloren."

Bret Easton Ellis, der so oft mißverstandene Moralist, der das völlige Fehlen von Werten und Idealen in unserer westlichen Gesellschaft anprangerte, indem er es in seinen Büchern auf die Spitze trieb, indem er seine fürchterlichsten Ausgeburten zu literarischem Leben erweckte, hat Vivisektion an sich selbst betrieben - und ist mit einer bestürzend banalen Erkenntnis zurückgekehrt: In jedem Menschen steckt ein Kind, das sich nach Liebe sehnt.

Mittlerweile ist Ellis an den Ort seiner Kindheit zurückgezogen, nach Los Angeles. Dort ist es wärmer. Zumindest an der Oberfläche.

JOHANNA ADORJÁN

Bret Easton Ellis: "Lunar Park". Alfred A. Knopf, 320 Seiten, ca. 22 Euro. Auf deutsch Anfang 2006 bei Kiepenheuer & Witsch.

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