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Ludwig van Beethoven (1770-1827) steht in seiner Zeit und zugleich über ihr. Sein Werk - ein Wunder an Prägnanz, Vielfalt und Differenziertheit - wurde angeregt von der Französischen Revolution und der Weimarer Klassik. Den Zeitgenossen und Nachfahren galt sein Oeuvre als Inbegriff von Musik.

Produktbeschreibung
Ludwig van Beethoven (1770-1827) steht in seiner Zeit und zugleich über ihr. Sein Werk - ein Wunder an Prägnanz, Vielfalt und Differenziertheit - wurde angeregt von der Französischen Revolution und der Weimarer Klassik. Den Zeitgenossen und Nachfahren galt sein Oeuvre als Inbegriff von Musik.
Autorenporträt
Martin Geck, 1936-2019, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie in Münster, Berlin und Kiel. 1962 Dr. phil., 1966 Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, 1970 Lektor in einem Schulbuchverlag, nachfolgend Autor zahlreicher Musiklehrwerke, 1974 Privatdozent, 1976 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der deutschen Musik im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Autor der Rowohlt-Monographien über Bach, Beethoven, Brahms, Mendelssohn Bartholdy, Wagner und die Bach-Söhne.
Rezensionen
Im Alter hat er wieder beten gelernt

Komponieren mit Herrschaftsgesten: Martin Geck fragt, was aus Beethoven wurde, als er nicht mehr an den musikalischen Endsieg glaubte.

Von Jan Brachmann

Die musikalische Treffsicherheit von Ludwig van Beethoven kann man sportlich beschreiben, wie es der Musikwissenschaftler Elmar Budde einmal in der Berliner Philharmonie getan hat: "In fast jedem Finalsatz gibt es einen Punkt, da setzt er an zum Schuss, und der geht dann rein wie ein Elfmeter." Beethoven ist - als Komponist - zielstrebig und auf den Endsieg fixiert gewesen, philosophisch gesprochen: der Finalist und Teleologe schlechthin.

"Stimmt alles und ist doch nur die halbe Wahrheit", will uns nun Martin Geck in seinem neuen Beethoven-Buch klarmachen. Geck unternimmt dabei den recht anspruchsvollen Versuch, Beethovens Musik weiterhin als einen Gegenstand von Größe zu verteidigen, jedoch in Abwehr eines doppelten Finalismus, der das Nachdenken über Beethoven lange dominiert hat. Zum einen - so formuliert es Geck mit Sympathie für Claude Debussy und Igor Strawinsky - die "hypertrophe Vorstellung, Beethoven weise einen Königsweg der Musikgeschichte, dem jeder zu folgen habe". Zum andern der Glaube an die alternativlose Schlüssigkeit des Einzelwerks, der Ehrgeiz einer analytischen Musikwissenschaft im Gefolge von Carl Dahlhaus, den Nachweis zu erbringen, dass "ein Werk, zumindest ein geglücktes, nicht anders sein kann, als es ist".

Beides will Geck nicht mehr - und dennoch Beethovens Musik nicht kleinreden. Vielmehr geht es ihm - mit einem Wort von Michel Foucault - darum, "Sagbarkeitsräume" zu eröffnen, in denen Beobachtungen zu Beethovens Musik, auch Hörerfahrungen, Erlebnisse der Verzauberung, der Überforderung, des Schocks, der Einsicht, zur Sprache kommen können. Und er beneidet musikalische Literaten des neunzehnten Jahrhunderts wie E. T. A. Hoffmann, Robert Schumann oder Wolfgang Robert Griepenkerl, deren Korridore eines angemessenen Redens über Musik so viel breiter waren als jene der (west-)deutschen Musikwissenschaft, an deren - zumeist verstorbenen - Autoritäten sich Geck hier neuerlich abarbeitet.

Denn Harry Goldschmidt, der Schweizer Beethoven-Forscher, der bis zu seinem Tod 1986 in der DDR lebte, dachte und schrieb ganz anders über Beethoven als Dahlhaus. Er bemühte sich durchaus, die biographischen Verwerfungen, Beethovens gescheiterte Versuche, eine eigene Familie zu gründen, seine stets neuen Positionierungen der eigenen Religiosität in ihren analytisch fassbaren Auswirkungen auf das Komponieren zu betrachten. Geck folgt Goldschmidt vielfach und zitiert ihn, was sein Buch sympathisch macht.

In dreizehn Kapiteln, die man in beliebiger Reihenfolge lesen kann, weil sie keiner finalen Konsequenzlogik mehr gehorchen, fliegt Geck gewissermaßen durch das im Titel evozierte Universum rund um Beethoven, hin zu anderen Fixsternen wie Napoleon, Rousseau und Thomas Mann, also lauter alten Bekannten des Beethoven-Diskurses; aber er gönnt uns auch die eine oder andere neue Bekanntschaft mit Exkursen zur amerikanischen Kulturkritikerin Lydia Goehr, zum Schweizer Schriftsteller Paul Nizon oder zum französischen Poststrukturalisten Gilles Deleuze.

Am packendsten ist Gecks Buch immer dann, wenn es ganz konkret wird, entweder hinsichtlich der Erfahrungen oder der Quellen. So beschreibt er recht überzeugend am Beispiel der fünften Symphonie, dass Beethoven feldherrnhafte Gesten - Gesten der Macht, des Herrschens - zur Verfügung gestanden haben, die frühere Komponisten in dieser Form noch nicht kannten. Sie sorgen für Überraschungen: Geck beruft sich auf Kategorien, die Karl Heinz Bohrer ins Zentrum seines ästhetischen Denkens gerückt habe, "des Jetzt, des Plötzlichen, der Epiphanie, des Schreckens". Genau diese Gestalten des Jähen und Explosiven verbinden - so Geck - Beethovens musikalische Setzungen mit Napoleons Technik der Kriegführung. In ihr fänden weitsichtige Strategie und das Zulassen von Kontingenz zusammen.

Äußerst umfangreich und im Detail überraschend wird Beethovens Nähe zu Jean-Jacques Rousseau belegt, die sich nicht nur in der Liebe zur Natur als heilende Kraft gegen die Verderbnis der Zivilisation zeigt, sondern auch in den Ansichten über Sittlichkeit und Keuschheit in der Ehe, die Beethoven ab 1817 mit seiner ehemaligen Verlobten Therese von Brunswick erörtert hat. Eine Fundgrube ist auch das Kapitel über den katholischen Theologen Johann Michael Sailer, den späteren Bischof von Regensburg, an dessen Schriften sich Beethoven in den letzten Lebensjahren offenbar so emphatisch orientierte, dass man geradezu von Erwachsenenkatechese reden könnte.

Allerdings zieht Geck hier methodologisch einen Kurzschluss, wenn er Beethovens "Missa solemnis" op. 123 nun "im Zeichen romantischer Kunstreligion" zu verstehen sucht. Einen klaren Begriff von Kunstreligion hat er nicht. Deren Kennzeichen nämlich ist, dass sie die höhere oder bessere Welt, in die sie entrückt, selbst erschafft. Sie ist Mittel und Ziel der Erhebung zugleich, mithin - das haben die Romantiker schmerzlich reflektiert - selbstbezüglich. Genau das ist Beethovens "Missa" nicht, Geck weist es selbst nach: Hier wird Musik wieder adressiertes Gebet, das sich - wie angestrengt kunstvoll und hochindividuell auch immer - an einen Gott außerhalb der Kunst richtet. Nur weil Religiosität sich jenseits tradierter Dogmen äußert, ist sie noch lange keine Kunstreligion.

Befremdlich ist auch Gecks Behauptung, dass Beethovens Klaviersonaten "weitaus erkennbarer als die seiner Vorgänger und Zeitgenossen narrative Züge tragen". Daraus spricht die traditionelle Fixierung auf Beethoven und das Ausblenden ebenjener Zeitgenossen, die hochgradig narrative, geradezu dramatische Klaviersonaten geschrieben haben: Johann Ladislaus Dussek und Muzio Clementi.

Doch ganz wunderbar - übrigens im deutlichen Echo auf Harry Goldschmidt - gelingt Geck die Engführung von Lebenserfahrung und kompositorischer Arbeit Beethovens in dessen später Beschäftigung mit der Fuge, welche die Dominanz der Sonatenform ablöst. Am Ende gibt Beethoven seine Fixierung auf ein Endziel und den Endsieg preis und ist bereit, das Unverfügbare hinzunehmen. Die "Wundmale des Unbewältigten" tragend, beschwöre Beethovens Kunst - so Geck in seinem schönen Fazit - "die Endlichkeit und Unfertigkeit des Menschen, ohne der Sehnsucht nach dem Fertigen, Unendlichen abzuschwören".

Martin Geck: "Beethoven". Der Schöpfer und sein Universum.

Siedler Verlag, München 2017.

512 S., geb., 26,- [Euro].

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