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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Im Licht der Pyramiden
Das Gesamtwerk von Louis I. Kahn / Von Niklas Maak

Manche Architekten brauchen über fünfzig Jahre, bis sie zu dem Stil finden, mit dem sie später die Architekturgeschichte prägen. Frank O. Gehry jobbte als Lastwagenfahrer, bis ihm die Heirat mit einer reichen Apothekerstochter das Architekturstudium ermöglichte, schlug sich dann mit Gelegenheitsbauten durch, bis er - schon fünfzig Jahre alt - der Architekturwelt mit seinem verbastelten Privathaus auffiel. Auch das, wofür der amerikanische Architekt Louis Isadore Kahn heute berühmt ist, entstand nach seinem fünfzigsten Geburtstag: die monumentalen, geometrisch strengen Bauten wie die Olivettigebäude in Harrisburg oder das Salk-Institute in San Diego, radikale Architekturskulpturen, über deren Vorbilder noch heute, 27 Jahre nach Kahns Tod, gestritten wird. Die Historikerin Anne Tyng hat einmal geschrieben, in diesen Kolossen der modernen Architektur spiegele sich die finstere Bischofsburg der estländischen Insel Saarema wider, auf der Kahn am 20. Februar 1901 geboren wurde - aber an die mittelalterliche Festung wird sich Kahn kaum erinnert haben: Schon 1906 sind seine Eltern, ein Glasmaler und eine Harfenistin, in die Vereinigten Staaten nach Philadelphia ausgewandert. Kahn studierte in Pennsylvania, gründete eine Vereinigung arbeitsloser Architekten, baute ein paar Häuser, die wie holzverschalte Varianten deutscher Bauhausarchitektur aussahen, wurde schließlich fünfundvierzig Jahre alt, ohne daß die Welt von ihm Kenntnis genommen hätte. Aber der Architekt, der in seiner Jugend als Wunderkind galt, war unzufrieden; er fühlte sich zu Höherem berufen, zweifelte an seinen Bauten, wollte alles noch einmal neu beginnen. Einmal schrieb Kahn, er fürchte, "daß die größten Menschen in dem Gefühl gestorben sind, nichts erreicht zu haben, weil sie es an dem messen, was ungesagt in ihnen schlummert" - und vielleicht war es diese Angst, die Kahns mit der Zeit immer stärker werdenden Hang zum Monumentalen, zum Zeitlosen, zum Unzerstörbaren begründete, vielleicht sahen deshalb seine besten Werke wie archaische Nekropolen aus.

Im Jahr 1947 gründete Kahn ein eigenes, von Partnern unabhängiges Büro, begann seine Lehrtätigkeit an der Yale University, die eine ganze Generation von Architekten beeinflußte, reiste nach Ägypten und entwickelte eine Architektur, deren heimliches Vorbild die Pyramiden von Gizeh waren. Das Leichte und Ephemere, was Ernst Bloch als das "abreisefertige Aussehen" moderner Architektur und Hans Sedlmayr als Ausdruck einer entwurzelten Moderne kritisiert hatten - all das Schwebende und Abgehobene und Entmaterialisierte der reinen weißen Bauhaus-Luftigkeit fand sein monumentales Gegenbild in Kahns Bauten: Wie versteinerte, tonnenschwere Zeugen einer archaischen Welt wirken sie, wie Monolithen, denen die Jahrtausende nichts anhaben können. Menschen sehen in Kahns Gebäuden genau so störend aus wie in einer Skulptur von Donald Judd; es sind reine Räume, die Kahn baute, keine Hüllen für das Alltagsleben, sondern Trutzburgen gegen den Zerfall und das Chaos.

Dem Salk-Institute für biologische Forschung in San Diego, wo an den Grundfesten des Menschen und der Natur geforscht wird, gab Kahn einen architektonischen Rahmen, der die elementaren Gesetze beschwört - das Licht, die Massen und ihre Organisation zueinander. Klaus-Peter Gasts umfangreiche Monographie gibt einen reich bebilderten Überblick über das Gesamtwerk des Architekten von der Ahavath-Israel-Synagoge in Philadelphia über das Alfred Newton Richards Medical Research Building, mit dem Kahn seinen Weltruhm begründete, bis zu seinem letzten Werk, dem Korman-House von 1974 in Philadelphia. In diesem vergleichsweise kleinen Projekt inszenierte Kahn, der am 17. März 1974 einem Herzanfall erlag, wie in einer Abschiedsvorstellung noch einmal sein wichtigstes Baumaterial, das Licht.

Klaus-Peter Gast: "Louis I. Kahn". Das Gesamtwerk/Complete Works. Deutsch und Englisch. Deutsche Verlags-Anstalt, München, Stuttgart 2001. 208 S., 166 Farb-Abb., 73 Pläne, geb., 148,- DM.

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