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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2002

Weltgedächtnis, zu Bildern geronnen
Was in unseren Vorstellungsspeichern und -kellern an historischen Gestalten und Situationen auftaucht, wenn man ein bisschen in ihnen kramt, sieht selten so aus, als hätten es Tizian oder van Gogh, Rafael oder Picasso, Cranach oder Bacon gemalt, von Dürers „Hasen” und „betenden Händen” einmal abgesehen. Im Großen und Ganzen ist dieser Fundus voll mit sozusagen namenlosen Bildern: obskuren Buchillustrationen, Schnappschüssen, Comics oder jenen Sammelbildern, die fahrende Vertreter ausgaben oder die Produkten wie „Liebigs Fleischextrakt”, Zigaretten oder Drogerieartikeln beigepackt waren aus Reklamegründen.
Auf diesen Bilderserien erschien die ganze Welt der Vergangenheit und Gegenwart so, dass sie einem anheimelnd vertraut wurde. Großereignisse wurden genauso griffig und farbig dargestellt wie Sitten und Gebräuche fremder Völker, oder Szenen aus den verschiedensten Aspekten des Berufslebens. Die Bilder dienten der Werbung und waren zugleich Ausdruck der zeitgebundenen Ansichten auf Antikes, Mittelalterliches oder Gegenwärtiges. Liebigs Sammelbilder hielten sich am längsten: von etwa 1875 bis 1940. Von 1933 an verstärkten sich die ,deutschen‘ Themen, von „deutschen Mädchen” 1934 bis zum „deutschen Gold”, dem Bernstein, 1939. Ansonsten aber blieben die Sammelbilder relativ frei von nationalistischen Ambitionen. Die Firma saß in Antwerpen, der Fleischextrakt des Justus von Liebig, dessen Geburtstag sich 2003 zum zweihundertsten Male jährt, wurde einer der ersten international durchgesetzten und hoch geschätzten Markenartikel.
Knapp 7000 Bilder in 1138 Serien umfasst der Gesamtbestand, der als Band 1 des „Atlas des Historischen Bildwissens” erschienen ist, eine CD-Rom- Edition des Max-Planck-Instituts für Geschichte, herausgegeben von Bernhard Jussen (The Yorck Project. Gesellschaft für Bildarchivierung mbH, Berlin 2002 , 39,90 Euro). Der gemütvolle Zauber dieser Einblicke im Format 110 x 70 mm wirkt noch heute: Fern scheinen Szenen aus dem alten Rom oder aus den Indianerkämpfen in ihrer rührenden Farbgebung. Aber näher als so manche Fotografie, weil sich die Phantasie nicht nur in den pittoresken Arrangements gerne fängt, seien es zarte Geräte der Flugpioniere oder der Zug der Vandalen. Sie lässt sich auch von der liebwerten Darstellungsweise fesseln, diesem immer anschaulichen, sanft-dramatischen Realismus mit einem Hauch von, ja, Poesie.
HARALD EGGEBRECHT
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