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Kühns Gedichte sind Balanceakte. Auf unsentimentale Weise erzählen sie von bedrohten Idyllen, finden lakonisch genaue Bilder für das fragile Dasein. Johannes Kühn gibt den Dingen Raum, lässt sich von ihnen erheben, nimmt Partei für das Bedrohte, gegen die anmaßende Herrschaft des Menschen über die Welt.

Produktbeschreibung
Kühns Gedichte sind Balanceakte. Auf unsentimentale Weise erzählen sie von bedrohten Idyllen, finden lakonisch genaue Bilder für das fragile Dasein. Johannes Kühn gibt den Dingen Raum, lässt sich von ihnen erheben, nimmt Partei für das Bedrohte, gegen die anmaßende Herrschaft des Menschen über die Welt.
Autorenporträt
Johannes Kühn, 1934 geboren, lebt in Hasborn (Saarland). Kühn veröffentlichte mehrere Gedichtbände und Theaterstücke. Bei Hanser erschien zuletzt Ganz ungetröstet bin ich nicht (Gedichte, 2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1996

Kein Wein, kein Weihrauch
Kleines Auferstehungswunder: Johannes Kühns neue Gedichte Von Harald Hartung

Daß ein Dichter jahrzehntelang verkannt und endlich doch entdeckt und gewürdigt wird, was beweist das? Die These, wonach letztlich doch kein wirkliches Talent der öffentlichen Aufmerksamkeit entgeht? Oder die Auffassung, daß der Literaturbetrieb das Originelle übersieht, sofern es nicht in einer gerade gängigen Manier erscheint? Johannes Kühn, Träger des Horst-Bienek-Preises und mittlerweile über die Sechzig hinaus, könnte wohl Belege für beide Ansichten liefern.

Da ist ein Saarländer des Jahrgangs 1934, der wegen einer aufkommenden Gemütskrankheit die Oberschule abbrechen muß, etliche Jahre in einer Tiefbaufirma arbeitet und über zwei Jahrzehnte für seine Manuskripte keine Verleger findet. Er hatte enorm viel geschrieben: über siebentausend Gedichte, dazu Märchen und dramatische Arbeiten. Nun gab es aber doch Kundige, die sich durch diese Fülle nicht abschrecken ließen und den Genius - so darf man wohl sagen - in dem immer scheuer werdenden Einzelgänger erkannten: der Autor Ludwig Harig und die Freunde Irmgard und Benno Rech, die späteren Herausgeber des Dichters. Und als Kühns Gedichte an sichtbarer Stelle erschienen, gab auch die Kritik ihren Segen: Ecce Poeta! Aber war das nicht ein wenig spät? Im Nachwort zu "Ich Winkelgast", 1989 erschienen, schrieben Irmgard und Benno Rech: "Johannes Kühn ist an den Rand geraten, er ist nicht mehr in unsere Geschäftigkeiten verwickelt." Was über alles Persönliche auch meinte, daß Kühn das Dichten aufgegeben hatte. Endgültig, wie es schien. Drei Jahre später schöpfte der Band "Gelehnt an Luft" dann noch einmal aus dem Fundus vergangener Jahrzehnte.

Nun aber die Überraschung oder gar das "Auferstehenswunder", wie Peter Rühmkorf sagte, dem solche Emphase nicht leicht von der Zunge geht. Die Herausgeber zitieren das nicht ohne Stolz und berichten, daß Johannes Kühn nach über zehnjähriger Pause wieder täglich Gedichte schreibt. Knapp siebzig, entstanden in den Jahren 1993 und 1994, haben sie in dem Band "Leuchtspur" versammelt.

Vor seine Rückkehr in die Poesie hat Johannes Kühn diese Maxime gesetzt: "Jede Rückkehr in ein lautes Leben / sei für mich verboten". Und so scheinen auch seine neuen Verse von jemandem geschrieben, der sich fremd und verwundert in unserer Welt bewegt, wie ein Wiedergänger Hölderlins oder Mörikes. Manches klingt auch von ferne an. Doch ist Kühn unverkennbar ein Zeitgenosse, dem der Gegenwartsalltag nicht fremd ist. Er sieht dessen Dinge und Vorgänge freilich mit einer eigentümlich distanzierten und verfremdenden Präzision. Er hat ein Faible für Maschinen einer älteren Technik, für Dampfwalzen und Mähdrescher. Der Poet, dem die körperliche Arbeit ja nicht fremd ist, rühmt den "Mähdrescher", der "schneidet für zehn Männer oder mehr" - "Ohne Mühsalseufzer, / ohne Fluch bei Disteln, / ohne Schweiß". Kühn gerät dabei jedoch keinen Moment in den Verdacht, einen Nachtrag zur Traktorenlyrik der frühen DDR zu liefern.

Idolisierung und Ideologisierung sind ihm fremd. Und wenn er die brechtisch tönende Frage riskiert "Was wird man später singen / aus unseren Zeiten?", geht er dieser Spekulation gar nicht weiter nach und hält sich lieber an die sichtbare Realität, etwa an den Anblick einer geplatzten Teertonne, einer Dampfwalze mit Motorschaden, an die sich stauende Autokolonne. Solch ein "Haltestau" bietet genügend Material für seine Poesie, auch genügend Rechtfertigung: "Ein Fußgänger nur / geht mit einer Blume im Knopfloch / durch die Verkehrshindernisse. / Zu seinem Schritt / läßt sichs noch singen."

Der Poet als singender Fußgänger - wirkt das nicht etwas harmlos und idyllisch? Das ist eine Frage, die Kühns Gedichte Zug um Zug gegenstandslos machen. Wie Stifter weiß er, daß die Kraft, die die Milch im Töpfchen übergehen macht, dieselbe ist, die die Lava der Vulkane treibt. Daher sind seine Idyllen nicht kleinlich. Manches rührt ans Kosmische: "Die Taube pickt an die Abendröte, / eine große Erdbeere, / reif in den Himmeln". Doch in all der Schönheit liegt auch Bedrohung. Der Poet, der im Gras liegt, fühlt sich besiegt "vom Blau des Firmaments". Und selbst wenn er, beim Anblick des Taubenflugs, sich zuruft "Zieh das Totenhemd aus!", spürt man, welcher Bedrückung diese Befreiung abgerungen ist.

So erscheint uns Johannes Kühn als ein Kleinmeister mit großen Hintergründen. Was früher wohl Hymne oder Elegie geworden wäre, firmiert bei ihm als "Kleine Epistel über die Ewigkeit". Es ist eines der stärksten und bewegendsten Gedichte des Buches, ist Klage über die condition humaine, Klage über die Grenzen der Menschheit: "Es gibt ewige Gedanken, nicht von mir. / Es gibt ewige Flüsse, nicht von mir. / Es gibt ewige Felsen, nicht von mir. / Es gibt ewige Zeiten, die man mißt, / nicht von mir." Diese "Litanei" offenbart einen geradezu prometheischen Anspruch: die Klage, daß der Dichter nicht Schöpfergott ist. Johannes Kühn liebt das Maß, die Nüchternheit. Er verhebt sich nicht an Pappmodellen kosmischer Systeme, geriert sich nicht als Priester und Prophet. Er weiß: "Ich habe keinen Wein, ich habe keinen Weihrauch." Daher kommen viele Verse ohne Aspiration daher, nüchtern, entspannt, manche gar humoristisch und selbstironisch. Der Außenseiter, der seine Rolle mit Altersdistanz sieht, vermerkt mit ironischem Stolz, daß er im Gasthaus seinen Hut noch immer richtig hinhängt. Humorvoll klagt er, daß die Muse ihn nicht besuche und er deshalb Kaffee trinken müsse, um sich zu trösten. Der Kaffee scheint immerhin so wirksam zu sein, daß er dem Schreibenden zu Versen von schöner Leichtigkeit verhilft. So zu dem Gedicht "Die Glatze", das uns scherzend warnt: "Es bete keiner meine Glatze an, / ich habe sie geprüft". Nein, das tun wir auch nicht. Wir halten uns an die Verse. Übrigens trägt der Poet, nach Ausweis eines Fotos, zwar graues, aber doch volles Haupthaar.

Johannes Kühn: "Leuchtspur". Gedichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Irmgard und Benno Rech. Hanser Verlag, München und Wien 1995. 104 S., geb., 28,- DM.

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