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Aus dem Italienischen von Moshe Kahn "Im deutschen Paß meiner Mutter steht, daß Nina Franziska Janeczek, geborene Lis, in Tschenstochau in Polen geboren wurde, aber den Paß sieht niemand. So wie niemand die Nummer auf dem linken Unterarm sieht, die Nummer, die sie sich hat wegmachen lassen, wie man sich irgendeine Tätowierung wegmachen läßt." Eine Fahrt nach Polen. Warschau. Krakau. Auschwitz. Helena Janeczek begleitet ihre Mutter, als diese nach fünfzig Jahren zum ersten Mal an die Orte ihrer Kindheit und der Verfolgung zurückkehrt. Die Mutter hat - wie auch der Vater - als einzige ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Aus dem Italienischen von Moshe Kahn
"Im deutschen Paß meiner Mutter steht, daß Nina Franziska Janeczek, geborene Lis, in Tschenstochau in Polen geboren wurde, aber den Paß sieht niemand. So wie niemand die Nummer auf dem linken Unterarm sieht, die Nummer, die sie sich hat wegmachen lassen, wie man sich irgendeine Tätowierung wegmachen läßt." Eine Fahrt nach Polen. Warschau. Krakau. Auschwitz. Helena Janeczek begleitet ihre Mutter, als diese nach fünfzig Jahren zum ersten Mal an die Orte ihrer Kindheit und der Verfolgung zurückkehrt. Die Mutter hat - wie auch der Vater - als einzige ihrer vielköpfigen Familie den Holocaust überlebt. Seit 1948 wohnen die Janeczeks in München, wo Helena aufwächst. Mit knapp zwanzig Jahren verläßt sie Deutschland, um sich in Italien eine eigene Existenz aufzubauen. Die Suche nach ihren Wurzeln führt die junge Frau jedoch immer wieder zur Mutter zurück. Während der gemeinsamen Reise versucht Helena Janeczek, einen Zugang zu den Erinnerungen ihrer Mutt er zu finden. Doch der Vermittlung von Erfahrungen sind Grenzen gesetzt: Helena wird bewußt, wie sehr sich die Schatten der Vergangenheit über ihre Erziehung, ihr Heranwachsen und ihr Erwachsenwerden gelegt hatten und das ohnehin schwierige Tochter-Mutter-Verhältnis belasteten.
Autorenporträt
Helena Janeczek, 1964 in München als Kind polnischer Juden geboren, studierte seit 1983 in Italien. Sie lebt in Gallarate bei Mailand und arbeitet dort als Lektorin für deutsche Literatur beim Verlag Mondadori. In deutscher Sprache veröffentlichte sie 1989 den Gedichtband 'Ins Freie'. 'Lektionen des Verborgenen' (Premio Letterario Giuseppe Berto 1998) ist ihr erstes Buch in italienischer Sprache.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.1999

Klirrende Vitrinen
Eine jüdische Tochter

Helena Janeczek ist die Tochter zweier polnischer Juden, die dem Holocaust entkamen. Sie selber wurde erst lange nach Mord und Schrecken geboren, 1964 in München, wuchs im prosperierenden Westdeutschland auf, ging nach Italien, heiratete einen Italiener. So ist sie einerseits die Erbin eines großen Entsetzens, andererseits Kind des westeuropäischen Friedens und Aufschwungs. In ihren italienisch geschriebenen "Lektionen des Verborgenen" sagt sie: "Meine Mutter und mein Vater sind am Leben geblieben, daher wollten sie leben. Daher wollten sie mich, ein Kind. Für dieses Kind ist es nicht leicht, die Verkörperung dieses Das-Leben-geht-weiter zu sein, ist es nicht möglich, es sei denn zu dem Preis, daß dieses Leben nicht seines ist."

Damit haben wir das Problem dieser Autorin. Helena Janeczek muß ein Schicksal mittragen, das nicht ihres war, und läuft Gefahr, unter dem Druck der fatalen Überlieferung sich selbst zu verpassen. Hinzu kommt, daß die schwierige Forderung ganz von der Mutter ausgeht; der Vater, dem Bösen mit ruinierter Gesundheit entronnen, überlebte nicht lange. Macht es einen Unterschied, welcher der einst Verfolgten auf die nächste Generation einwirkt? Oft genug und hier gewiß. Hier geht es um das, was jüdische Eltern ihren Kindern zu erzählen haben, und um das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, ein altes Problem, das nicht zwingend dem Holocaust entspringen muß. So erzählt uns die Autorin nicht eine Geschichte, sondern zwei. Beide handeln von denselben Menschen, aber gehorchen verschiedenen Perspektiven.

Die Tochter begleitet ihre Mutter auf einer Reise ins polnische Ursprungsstädtchen und zu den Vernichtungsstätten von Auschwitz. Hier macht sie uns zu Zeugen des mütterlichen Zusammenbruchs, denn die Davongekommene ist nie damit fertig geworden, daß sie nicht bei ihren Eltern ausharrte. Die Autorin notiert: "Wie ein Adler kreischt sie im Museum von Auschwitz, in jenem gediegenen Hotelkomplex, wo weder sie noch die anderen Juden gewesen sind, und vor einem Schaukasten, der ein Muster von Zyklon B zeigt, schreit sie wieder wie ein kleines Kind ,Mama, Mama'." In solchen Augenblicken verschmelzen beide Frauen, sind eins vom jüdischen, vom familiären, vom humanen Standpunkt aus. Die Tochter kommentiert: "Ich habe sie mit bedingungsloser, stolzer Liebe für ihre Szene ,in aller Öffentlichkeit' geliebt."Schon im nächsten Satz dämmert die andere Seite der Beziehung auf, das gewöhnliche Mutter-Tochter-Unbehagen. Da heißt es: "Ich liebe eine Mutter, die überlebt hat, die Brot auf der Straße aufhebt, und viel weniger die andere, die jeden Morgen auf die Waage steigt, und es gelingt mir nicht, sie beide zusammenzufügen, und ich weiß, . . . daß ich sie sogar viel zu gut kenne und daß all unser Streit nicht mehr und nicht weniger ist als der übliche Konflikt und der gewöhnliche Familienwahnsinn."

Das ist kein Anlaß zum Wundern: Im Prinzip sind ehemals Verfolgte und ihre Nachkommen Menschen wie andere auch, und warum sollten sie nicht nach Menschenart aufeinander reagieren? Darauf könnten wir uns mit der Autorin einigen, hätte sie nicht die besondere Aura der jüdischen Familienexistenz in und nach dem Genozid so nachdrücklich zur Geltung kommen lassen. Das macht die moralische Seite der Buchfabel aus. Aber Literatur fordert außer den moralischen auch gestalterische Rücksichten. Zum Beispiel, daß Verhängnis und Alltag einander bedingen, verdeutlichen. Eine schwierige Aufgabe, der die Autorin nicht ganz gerecht wurde. Ihr Handicap ist, daß sie ihre beiden Rollen - belastetes Verfolgtenkind und verärgerte Muttertochter - nicht zur Einheit komponieren konnte. Über Seiten hinweg sind wir Zeugen durchschnittlicher Ärgernisse, wie sie Mütter ihren weiblichen Kindern zu bereiten pflegen, töchterlicher Abwehrversuche und beiderseitiger Niederlagen. So etwas lenkt gefährlich ab vom jüdischen Leidenselement, das dieses Buch nicht ohne Einbußen entbehren kann, und so ist es, bis das Generalthema wieder zur Geltung kommt, eher langweilig.

SABINE BRANDT.

Helena Janeczek: "Lektionen des Verborgenen". Aus dem Italienischen übersetzt von Moshe Kahn. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 191 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Mit erfrischender Selbstironie und einem ganz unaufdringlichen psychologischen Wissen gelingt es der Autorin, den Leser immer tiefer in diese Mutter-Tochter-Beziehungen zu ziehen, die zugleich auch ein nachdenklicher Beitrag zum deutsch-jüdischen Verhältnis liefern." Henning Klüver im 'Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt'

"Ein beeindruckendes Zeugnis." Franz Haas in der 'Neuen Zürcher Zeitung'

"Unerschrocken, unbekümmert, ironisch und gleichzeitig beharrlich und ruhig [...] Der Text fließt leicht und natürlich; doch hin und wieder spüren wir eine schmerzende Wunde, ein quälendes Geheimnis." Corriere della Sera

"Zart, selbstironisch, reich an Anspielungen, kommt 'Lektionen des Verborgenen' zu dem Ergebnis, daß die junge Generation keinen Zugang zur Realität der Vernichtung haben kann." Il Manifesto "Ein Buch, das durch seinen Erzählton fesselt." Il Piccolo