Beides trifft es.
Es ist ein manchmal melancholisches, oft heiteres, ein immer unterhaltsames und zeitgeschichtlich spannendes Buch. Der Sekretärin aus Berufung ist dabei ein kleines Denkmal für ihren Beruf gelungen, und auch für alle anderen, die in ähnlicher Funktion, ob als Referenten oder Sachbearbeiter, als Assistenten oder sonst wie in der "zweiten Reihe" stehen, wie sie es nennt. Nein, man kann es gewiss nicht besser als die in der ersten Reihe. Aber diese könnten es eben nicht so gut, wenn die dahinter nicht das Beste gäben.
"Im Grunde war ich in all den Jahren meines Daseins als Sekretärin eine Art Wunscherfüllerin." Und dazu gehört "die hohe Kunst: sich zurücknehmen und trotzdem etwas bewirken". Auch in der zweiten Reihe "fiel genügend Glanz auf mich, um mein Geltungsbedürfnis und mein Ego zu befriedigen. Man muss wissen, wo man steht, aber man darf durchaus auch wissen, wer man ist."
Falsche Bescheidenheit kennt Heide Sommer nicht, wie schon aus ihrer Selbstbeschreibung als junge Frau hervorgeht, als sie sich den Blick ihres ersten Chefs vorstellt: "Und nun traf er auf diese große, schlanke, blonde, zehn Jahre jüngere Frau, offen wissbegierig und tüchtig, kurzhaarig wie Jean Seberg in ,Außer Atem', anpassungsfähig und flexibel." Zu den Hauptkünsten jedes Dienstverhältnisses gehört die Kunst der Diskretion. Und wie Heide Sommer über ihre früheren Chefs schreibt, hat man nie das Gefühl, zu einer Schlüssellochperspektive eingeladen zu werden. Nur sieht man durch ihren Blick einige Details genauer; ein Blick, der immer die Hochachtung bewahrt vor "meinen Männern".
Aber Heide Sommer hat ein wenig mehr als andere in deren Inneres und dort fast bei jedem auch tiefe Unsicherheit, ja geradezu Verzagtheit gesehen. Wenn einer vor seinen Artikeln wie ein "tief verunsicherter Mensch, ohne Ur- und Selbstvertrauen" erscheint, dann aber "in diesen langen Nächten" doch noch wieder ein brillanter Artikel in ihrer Gegenwart fertig wird, ist sie stolz auf den Chef - und auch darauf, wieder hilfreich dabei gewesen zu sein. Und wenn sie einen anderen erlebt, wie er "jedes Mal einen Riesenbammel und große Skrupel" hat und sich nach Beendigung eines Buches erst einmal in die Klinik begibt, erfahren wir nicht nur, welch seltsame Angst sich hinter ungebremster Eitelkeit versteckt, sondern wie viel Empathie, ja Liebe dazu gehört, solche Prinzen auf der Erbse zu begleiten, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Die Passagen über den oft todunglücklichen und seinen Tod minutiös planenden Raddatz gehören zu den stärksten.
Ein wenig irritierend sind für heutige Ohren vielleicht die gelegentlich allzu souverän erscheinenden Reaktionen auf "antatschiges" Verhalten mancher Männer, wie sie das nennt. Der starken Heide Sommer glaubt man zwar: "Wir fühlten uns damals . . . durch die Aufmerksamkeit bedeutender, berühmter Männer, in deren Glanz wir uns sonnten, eher geschmeichelt." Aber hatten es wirklich alle Frauen selber in der Hand, "wie weit ansonsten niveauvolle Männer sich in ihrer Gegenwart vergessen oder bemitleidenswert miserabel aufführen"?
Nüchtern schildert sie ansonsten die sexuellen Verklemmungen jener Zeit: Wie sie gemeinsam mit sonst so souveränen Kollegen Ingmar Bergmans "Das Schweigen" ansieht und niemand hinterher auch nur ein Wort herausbringen kann oder wie ein Kollege "einen Nervenzusammenbruch" bekommt, weil seinem neuen Autokennzeichen, das man damals noch nicht wählen konnte, die Ziffer 175 zugeteilt wird, die Nummer des "Schwulen-Paragraphen": "Es machte ihm beinahe unmöglich, den Wagen überhaupt zu fahren."
Eine Menge Zeitgeschichte findet sich hier also, meist anekdotisch pointiert. An Märchen aus uralten Zeiten erinnern Wörter wie Durchschläge, Kohlepapier oder Tipp-Ex-Korrekturstreifen. Telefongespräche mit Korrespondenten müssen Tage vorher beim Fernamt angemeldet und dann vermittelt werden. Und wehe, die Tonbandaufnahme geht schief! Ausnahmslos alle ihre Chefs schreiben noch mit der Hand, Augstein und Gaus in Sütterlin, Schmidt korrigiert bis zum Schluss mit grüner Kanzlertinte. Kaum Konferenzen ohne Alkohol und Nikotin. "Zeit" und "Spiegel" gerieren sich wie ein autoritatives politisch-kulturelles Lehramt.
Heide Sommer war mittendrin, und sie kann es plastisch erzählen - bis hin zum sinnlich erfahrenen Produktionsprozess. Zur Druckerei, damals noch im gleichen Haus wie die Redaktion, hat sie ein "zärtliches Verhältnis, denn nachts, wenn die Maschinen anfingen zu rotieren und ein warmes Summen das Pressehaus wie einen Bienenstock erfüllte, das Gebäude anfing im Rhythmus der Rotationsmaschinen leise zu schwingen, fühlte ich mich wie in Abrahams Schoß. Wir waren am Produzieren und alles war gut."
Auch eine richtige Liebesgeschichte zieht sich von Anfang an durch das Buch. Der einzige "meiner Männer", der noch lebt, ist auch der einzige, mit dem sie mehr verband als ein Arbeitsverhältnis: Theo Sommer. Erst seine Sekretärin, dann seine heimliche Geliebte, dann seine verlassene Geliebte, dann seine Lebenspartnerin, schließlich seine Frau und Mutter ihrer gemeinsamen Kinder, dann seine geschiedene Frau: Wie Heide Sommer, die bis heute seinen Namen trägt und ein offenbar entspanntes Verhältnis zu ihm hat, diese Geschichte erzählt, das erinnert in der Mischung aus sachlicher, abgeklärter Knappheit und dann wieder erinnerungsgesättigter Offenheit von Ferne an Max Frischs "Montauk".
Es ist ein Buch selbstbewusster Dankbarkeit: "Wir teilten das Wichtigste mit denen, für die wir arbeiteten: ihre wertvolle Lebenszeit. Meine Lebenszeit jedenfalls verschmolz mit der Arbeit . . . Ich fühlte mich erfüllt und an Erlebtem reich." Und wenn diese Erfahrung auch oft stellvertretend für viele andere in ihrem Beruf steht, so ist Heide Sommer doch eine sehr besondere Frau, der eine sehr besondere Chance gegeben wurde. Sie hat sie genutzt. Wenn es so etwas wie eine Republik des Geistes in Deutschland wirklich gäbe oder gegeben hätte: Heide Sommer wäre in einem solchen Gemeinwesen The Secretary of State.
MARKUS BARTH.
Heide Sommer: "Lassen Sie mich mal machen". Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer. Ullstein Verlag, Berlin 2019. 256 S., geb., 22,- [Euro].
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