Schriftsteller in eigener Sache auf. Frankfurt war die vierte Station seiner triumphalen Lesereise mit seinem jüngsten Roman.
Unter dem Titel "Landnahme" ist das Buch bei Suhrkamp erschienen. Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz stellte den Schriftsteller, den der Luchterhand Verlag 1983 als "Kultautor der DDR" entdeckt hatte, denn auch als Freund Siegfried Unselds vor. Der Suhrkamp-Verleger hatte lange um Hein geworben. Aber erst vor vier Jahren war dieser mit seinem Roman "Willenbrock" zu Suhrkamp umgesiedelt, wo inzwischen sein Gesamtwerk betreut wird. Nach Richard von Weizsäcker, Jutta Limbach und Peter Turrini führte diesmal Frank Schirrmacher, Feuilleton-Herausgeber dieser Zeitung, in das Werk des Schriftstellers ein. Er hob die "Entemotionalisierung" der Sprache des Verfassers sowie den Humor in diesem Buch über die Leiden der Vertreibung und Assimilation hervor.
Die klassische Einfachheit seiner Sprache weist Hein tatsächlich als den Suhrkamp-Autor aus, für den Unseld ihn gehalten hatte. Die Rollenprosa, mit der er sich 1982 in seiner Novelle "Der fremde Freund" ("Drachenblut") einen Namen gemacht hatte, ist und bleibt seine Spezialität. Fünf Personen erzählen von Bernhard Haber, der nach dem Krieg als Vertriebener mit seinen Eltern von Schlesien ins sächsische Städtchen Bad Guldenberg kommt und sich dort, allen kleinbürgerlichen Demütigungen und sozialistischen Realitäten, trotzend zum erfolgreichen Unternehmer entwickelt. Das geht nicht ohne ein Opfer, und dieses Opfer hat Schirrmacher in Umkehrung jüdisch-christlicher Tradition in dem ermordeten Vater des Protagonisten ausgemacht. Muß die "schuldige Vaterwelt" also erst ausgelöscht werden, damit Haber wieder heimisch werden kann? Der Text legt diese Lesart zumindest nahe.
Ungewiß bleibt, ob dies die "Landnahme" ist, auf die sich der Titel des Buchs bezieht. Hein hält sich wie immer bedeckt. "Wir wissen nicht, wozu er gehört, worauf er schwört", sagte Schirrmacher. Was wir aber wissen, ist, daß er einen wunderbar trockenen Humor hat, eine Mischung aus Berliner Unverfrorenheit und angelsächsischem Understatement. Wohl nicht zufällig, sondern zu seinem eigenen und zum Vergnügen des Publikums las der Autor gleich zwei Passagen aus dem vorletzten der fünf Kapitel, in dem sich Habers Schwägerin Katharina Hollenbach daran erinnert, wie sie einst den Freund ihrer prüden Schwester getröstet hatte: ein Schelmenstück, eine Eulenspiegelei im biederen Alltag einer Republik, in der alles seinen sozialistischen Gang gehen durfte, sofern es der oligarchische Kegelverein des Ortes zuließ.
CLAUDIA SCHÜLKE
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