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  • ISBN-13: 9788807813948
  • Artikelnr.: 06933444
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.1996

Komischer Bienenzüchter
Bestimmt zu albern: Stefano Benni glaubt nicht mehr an Italien

Nie hat Stefano Benni den geringsten Zweifel daran gelassen, daß er unsere Erde für einen ziemlich windigen Planeten hält. Vor zehn Jahren hat der Feuilletonjournalist aus Bologna unserer maroden Welt in seinem brillant komponierten und rasant erzählten ersten Roman, der Science-fiction "Terra!", die Utopie einer "Erde 2" entgegengesetzt und sich für das vergnügliche Riesenpuzzle bei allen literarischen Gattungen bedient. Das Buch wurde nicht nur von den revoltierenden Stadtindianern gelesen, die sich an Bennis antiautoritärem Sprachwitz gegen eine technologische Gesellschaft erfreuten, von der er immer wieder sagte, daß sie "zu unkritischem Verhalten" führe und "dem Menschen keine Freiheit mehr" lasse. Und so reichte in seinem Zukunftsopus die Überwachung bis an die Sterne. In den Kabinen der Raumschiffe aber wurde altes Seemannsgarn gesponnen, fabuliert und geträumt. Da waren die letzten Relikte unserer Zivilisation im unterirdischen Paris in Schaukästen zu begaffen, funktionierte ansonsten nur noch das Überflüssige wie etwa "ein Computer, der zweitausend imaginäre Sprachen beherrscht".

Noch lebendig war die Fähigkeit des Menschen, zu träumen, sich aus der Roboter-Existenz hinauszusehnen nach einer anderen Erde, die weniger "verkifft" und "pervertiert" ist als unsere. Und so ließ Benni in seinen "Unterwassergeschichten" mit dem Titel "Die Bar auf dem Meeresgrund" sechs Jahre nach dem Welterfolg von "Terra!" eine kleine Gruppe von Menschen ausufernd fabulieren, Stile imitieren und mit tollen Pointen die Oberwelt persiflieren. Pieke Biermann hatte den ironisch beklemmenden Bilderzauber dieser beiden Bücher in ein so facettenreiches, adäquates Deutsch übersetzt, daß noch die Überzeichnungen wie Überraschungen wirkten.

"Die letzte Träne", Bennis neuester Band von Kurzgeschichten, aber enttäuscht. Der Meister des wohldosierten Unsinns scheint nun mit knapp fünfzig auch in die Jahre gekommen, in denen das Wuchern mit Altbewährtem die Inspiration bremst. Das Jonglieren mit bekannten Versatzstücken scheint Benni ermüdet zu haben, und seine vormals bestechenden Pasticci scheinen nun in einem verklebten Stilmixer durchgerührt. Anscheinend hat kein Lektorat den sonst so sorgfältigen Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel bei seiner diffizilen Aufgabe gestützt - besonders, was den im Deutschen stets prekären Umgang mit italienischen Diminutiven betrifft: Da gerät zum Beispiel Bennis ohnehin laue Attacke auf einen nur noch am Fernsehen orientierten Literaturunterricht ("Ein schlechter Schüler") zu einer peinlich-possierlichen Folge von "Blazerchen, Jeanschen und Mokassinchen". Auf die blickt "das Porträt des Staatspräsidenten mit sanft bescheuertem Lächeln" herab, während an anderer Stelle das Thekendeutsch eines "schmackhaften Weinchens" erreicht wird.

Da wird roh und ordinär Gesellschafts-und Medienkritik hingeschludert und hastig mehr Bluff als Qualität zusammengestoppelt. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreicht das Buch in der Geschichte "Der Ehrengast", wo "Ex-Republikanerlein, ex-extremistische Journalisten, Ex-Schläger und ex-avantgardistische Schriftsteller Schnittchen mit Kaviar aus der Ex-Sowjetunion einträchtig fressen". Als Hauptattraktion dieses "Festes der Neuen Rechten" hat man aus Südamerika einen "einhundertfünf Jahre alten" Bienenzüchter einfliegen lassen. "Willkommen bei uns, alter, weiser Imker, unser Freund Adolf Hitler!" rufen dann mit römischem Gruß die teigigen Mannen, während "ein solider Heil-Hitler-Chor aus dem Hintergrund erscholl".

Müder, monotoner konnte man das historische Heimweh im Lager des Neofaschisten Fini wohl nicht persiflieren. Zu hoffen bleibt nur, daß das wirklich "die letzte Träne" ist, die uns Stefano Benni mit diesem satirischen Kunstgewerbe abpreßt. Er war ein Meister des Sarkasmus, und so hätten wir ihn in seinem nächsten Buch gern wieder. UTE STEMPEL

Stefano Benni: "Die letzte Träne". Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Beck & Glückler, Freiburg 1996. 260 S., geb., 38,- DM.

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