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Eine ebenso amüsante wie tiefgründige Geschichte des Genusses und der Lust im klassischen Athen.
Warum haben die Helden der Homerischen Epen keinen Fisch gegessen? Warum gab es ein Sonderrecht des Tyrannen auf den besten Fisch am Markt? Was geschah bei den Trinkgelagen im "Männerraum"? Stand die griechische Gesellschaft "im Zeichen des Phallus", wie Foucault behauptet? Mit literarischem Witz und scharfsinniger Argumentation zieht Davidson aus den Komödien des Aristophanes, politischen Reden, aus Vasen und Artefakten seine ganz eigenen Schlüsse. Wir erfahren etwas über die Welt der Antike,…mehr

Produktbeschreibung
Eine ebenso amüsante wie tiefgründige Geschichte des Genusses und der Lust im klassischen Athen.
Warum haben die Helden der Homerischen Epen keinen Fisch gegessen? Warum gab es ein Sonderrecht des Tyrannen auf den besten Fisch am Markt? Was geschah bei den Trinkgelagen im "Männerraum"? Stand die griechische Gesellschaft "im Zeichen des Phallus", wie Foucault behauptet? Mit literarischem Witz und scharfsinniger Argumentation zieht Davidson aus den Komödien des Aristophanes, politischen Reden, aus Vasen und Artefakten seine ganz eigenen Schlüsse. Wir erfahren etwas über die Welt der Antike, aber auch über uns selbst.

Rezension:
- " 'Kurtisanen und Meeresfrüchte' ist brillant und originell." (Richard Jenkyns, The New York Times Book Review)
- "Davidson zeichnet ein lebensvolles, differenziertes Bild der Antike." (Die Zeit)
Autorenporträt
James N. Davidson studierte Alte Geschichte und lehrt an der University of Warwick. Sein neues Buch über Griechen und griechische Liebe erscheint demnächst im Siedler Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Grieche sucht Griechin, Griechin sucht Griechen
Was, beim Zeus, zirkuliert denn hier? James Davidson stürzt sich in den Trubel der Begierden in Athen/Von Uwe Walter

Die Dekonstruktion tradierter Differenzen von Ökonomie und Politik, privaten und öffentlichen Räumen verändert den Blick auf die Vergangenheit. Was das klassische Athen betrifft, so finden zwei in der Forschung eingeführte Unterscheidungen heute das erneuerte Interesse der Altertumswissenschaftler. Da ist zum einen die von Hannah Arendt vorgetragene, von Christian Meier weiterentwickelte und zu beinahe kanonischer Geltung gebrachte Abgrenzung eines politischen Raumes der bürgerlichen Gleichheit inmitten einer Fülle von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Zum anderen steht die Annahme strikt getrennter Geschlechtersphären und -rollen auf dem Prüfstand, die Foucault und andere zu einer omnipotenten phallozentrischen Unterscheidung von Penetrierenden und Penetrierten zugespitzt haben; Sexualität wurde in dieser Sicht zur Funktion eines Machtdiskurses. Für den jungen Oxforder Althistoriker James N. Davidson ist die Schnittmenge der Räume von Oikos und Polis, Frauen und Männern dagegen mit verzehrenden Begierden nach Essen, Trinken und Sex gefüllt.

Zum Glück für ihn und die Leser seines Buches vermochten die Athener ihre bedrohlichen Passionen weder asketisch abzutöten noch schamvoll zu verschweigen. Sie haben sie im Gegenteil mitunter ziemlich exzessiv ausgelebt und darüber auch immer wieder nachgedacht, gespottet, polemisiert und geschrieben, vor allem in der Alten Komödie, den öffentlichen Reden vor Gericht und vor der Volksversammlung sowie in der vielfältigen Symposion-Literatur von Xenophon bis Athenaios. Zusammen mit subtil und originell interpretierten Vasenbildern und anderen Kunstwerken erlauben es diese Texte dem Autor, eine reiche und zugleich überaus differenzierte Phänomenologie und Topographie der verzehrenden Leidenschaften zu entwerfen, bevor er ihre politischen Implikationen untersucht.

Beim Essen war es in erster Linie der Fisch, auf den sich die Begierden der Athener richteten. Das lag an seiner Modernität. Weil Fisch anders als Fleisch nicht in den rituellen Kontext des Tieropfers und des anschließenden egalitären Verzehrs - jeder bekam ein gleich großes Stück vom Opfertier, ohne Rücksicht auf die Qualität - eingebunden war, konnte er zum Objekt von Feinschmeckerei aufsteigen. Fleisch musste verteilt werden, in Fisch konnte man sich verlieben und die besten Stücke für sich herausgreifen. Er bildete in den verschiedenen Preis- und Qualitätskategorien geradezu das Sinnbild der nicht sättigenden "Zukost". Dem griechischen Wort "opson" widmet Davidson in diesem Zusammenhang eine instruktive philologische Analyse. Der außer Kontrolle geratene "Zukostesser" (opsophagos) verzehrte nicht Riesenmengen und hielt auch nicht das Auffahren seltenster Leckerbissen für ein Statussymbol, sondern verriet seine haltlose Ergebenheit durch rasches Verschlingen von Fisch. Kein Wunder, dass Platon Fische und Meeresfrüchte von der Festtafel des Goldenen Zeitalters verbannte.

Noch deutlicher zeigen die Regelungen für das gemeinsame Trinken während des Symposions, wie ernst man die Bedrohungen durch ungehemmten Konsum nahm. Störungen im angemessenen Ablauf des Trinkens konnten auf allen Ebenen des sympotischen Rituals vorkommen, wie noch der sublimierteste Text zu diesem Thema zeigt: In Platons "Gastmahl" kommt Alkibiades stark angetrunken in eine noch intakte Gesellschaft und zwingt die Symposiasten, durch schnelles Trinken das Niveau seiner eigener Alkoholisierung in kurzer Zeit zu erreichen. In der Praxis gewann der Wein den Wettstreit mit der Konversation wohl meistens, und es kam zum Trinken um des Trinkens willen - mit unkalkulierbaren Folgen. Das von vornherein rauschorientierte, individualistische Trinken hatte seinen Platz in den Tavernen und wurde in den Texten meist mit dem einfachen Volk verbunden, bis hin zu einer binären sozialen Kodierung der beiden Arten des Alkoholkonsums.

Dies funktionierte auf beiden Seiten; Dem elitistischen Vorurteil über die anonymen Trinker in der Kneipe entsprach das Misstrauen des einfachen Volkes gegenüber den exklusiven Gelagen der Aristokraten. Debatten über die Trinksitten etwa der Spartaner konnten auch in hohem Maße politisch aufgeladen sein. Insgesamt lasen die Athener den Wein aber auch anthropologisch, als Droge oder als Katalysator für alle möglichen Transgressionen. Diese äußerten sich, einerlei ob in der Kneipe oder beim Symposion, immer in bestimmten Praktiken. Ungemischten, körperreichen Wein aus großen und tiefen Bechern in langen Zügen und ohne Atemholen zu konsumieren war in dieser Sicht eine zerstörerische Bedrohung der fein austarierten Rituale der Geselligkeit.

Die Affinität des Buches zur "neuen Kulturgeschichte" und die gleichzeitige Distanz zur monistischen Diskursgeschichte kommen am ehesten in den Abschnitten zur Sexualität zum Vorschein. Davidson verwirft alle antiken und modernen Versuche, die athenischen Frauen kategorial scharf in Ehefrauen, Konkubinen, Hetären und gewöhnliche Prostituierte zu trennen. Ihn interessiert im Gegenteil "die Verschiedenartigkeit und Komplexität des Sexmarktes von Athen", wodurch zugleich die Vorstellung von einer primär homosexuellen Ausrichtung der Gesellschaft ins Reich der Fabel verwiesen wird. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der proteushaften Erscheinung der Hetäre, die kaum von der Konkubine (pallaké) zu unterscheiden war. Beide grenzten sich von der "einfachen" Prostituierten in erster Linie dadurch ab, dass die Beziehungen zu ihnen als Gabentausch, nicht aber als Warentausch interpretiert werden konnten.

Konstitutiv für den Status der Hetäre und Angelpunkt ihrer Strategie waren die bewusste Missdeutung der Gabe und der Versuch, durch Erscheinung und Habitus die Käuflichkeit zu umgehen. Sie verhüllte ihren Körper und suchte den Zeitpunkt der sexuellen Vereinigung und ihren Partner dabei selbst zu bestimmen, während Huren jederzeit zur Verfügung standen und oftmals nackt angepriesen wurden, reduziert auf ihre Geschlechtsorgane. Die Hetäre ("Gefährtin") hingegen beherrschte die Kunst der mehrdeutigen Konversation; das Vokabular der Freundschaft, der Gefälligkeiten und der Dankbarkeit nutzte sie, um Fremdbestimmung, Bemessung und Verwertung zu vermeiden. Ihr besonderer Reiz erwuchs aus ihrer Mittelposition auf der Skala der Sichtbarkeit und Verfügbarkeit.

Davidson entwickelt eine Ökonomie des stimulierenden Betrachtens, welches alle Frauen unterschiedlichen Graden und Stadien der Entkleidung zuweist; in Athen, so seine überzeugend belegte These, drehte sich heterosexuelle Erotik als Feld gesteigerten und perpetuierten Verlangens weder um Sex in der Ehe noch um kurze Bordellbesuche, sondern spielte sich im vagen, undeutlichen Bereich der Verführung und Versuchung von Frauen ab, deren Verfügbarkeit nicht eindeutig war. Meisterhaft wurde diese Ökonomie von einer der bekanntesten athenischen Hetären beherrscht: Phryne nackt zu sehen war nicht leicht, trug sie doch auch beim rituellen Bad im Meer ein dünnes, enges Untergewand und glich so, wie Davidson vermutet, wahrscheinlich am ehesten "einer Miss Wet-Shirt". Als der Redner Hypereides sie vor Gericht gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit verteidigte, erreichte er, so wird berichtet, allein dadurch einen Freispruch, dass er ihre Brüste entblößte.

Weil die überwältigenden Verlockungen des Genusses in den Augen der Griechen nicht an bestimmte Genussmittel gebunden waren, konnte sich kein psychopathologischer Diskurs um Sucht und Abhängigkeit entwickeln. Die Wonnen der Sinnenwelt lauerten hinter der nächsten Ecke, immer bereit, Männer mit zu geringer Selbstbeherrschung zu überwältigen, sie ins gesellschaftliche Abseits und in den ökonomischen Ruin zu befördern. Esser und Trinker waren leicht zu erkennen, und der Mann, der nur an Frauen dachte, outete sich, indem er laut Aristoteles zur falschen Zeit am falschen Ort und mit der falschen Person Verkehr hatte. Ganz nebenbei räumt Davidson auch noch mit der andernorts kaum noch kritisierten bipolaren Theorie von Foucault auf, bei der Bewertung der Sexualität als einer Machtbeziehung sei es einzig um die Rolle des Mannes bei der Penetration gegangen. Allein schon wegen dieses Kapitels wird das Buch hoffentlich erregte Diskussionen auslösen.

Für die Polisgemeinschaft bedeuteten genussergebene Mitbürger eine Gefahr, weil diese sich nicht mehr um ihre eigene Lebensgrundlage, den Oikos, kümmerten und überhaupt durch Gleichgültigkeit gegenüber allen Dingen außer ihrer eigenen Lust auffielen. Denn diese wuchs erst an, wenn der Kampf um sie lange dauerte und eine intensive Beziehung zwischen dem Begehrenden und dem Objekt seiner Begierde hergestellt wurde. Genau an diesem Punkt vereinigte sich die Luststeigerung des Konsumenten mit dem sphinxhaften Verhalten der Hetären zu einem endlos stimulierenden Ringen, das alle Normen und Pflichten zu verschlingen drohte. Dem konnte keine Tabuierung entgegengesetzt werden, allenfalls ein "Nichts allzu sehr!", bewehrt durch Gesetze und soziale Kontrolle. Diese konnte freilich in der Offenheit der demokratischen Kultur Athens unberechenbare und tyrannische Züge annehmen, weil sich der Einzelne kaum gegen Gerüchte und Unterstellungen zu wehren vermochte.

Den egalitären Grundzug der athenischen Gesellschaft, in der Reichtum eher heruntergespielt wurde und keine dauerhafte Stratifizierung zu begründen im Stande war - zu rasch konnte er erworben werden und sich wieder verflüchtigen -, erklärt Davidson auch mit der prinzipiellen Egalität der Genüsse. Auf beinahe jeder Ebene des Wohlstandes gab es Möglichkeiten, seinen Gelüsten nachzugeben, jeder konnte, so eines der vielen schönen Bonmots, lernen, degeneriert zu sein, den Reichen fiel es nur leichter. In der verbreiteten Wahrnehmung ging es bei allen Unterschieden in Ort, Preis, Menge und Häufigkeit des Konsums letztlich immer um animalische Leidenschaften, die allen Menschen gemeinsam schienen, Verführungen, denen jeder erliegen konnte. Der Markt für Wein, Sex und gutes Essen war ein überaus komplexes System mit einem weiten Preisspektrum von sehr billig bis ganz teuer und dazwischen für jeden etwas. Und immer wieder versammelten sich die Athener im Theater und ließen sich von den Komödiendichtern darüber ins Bild setzen, dass die ganze Welt von den allen Menschen gemeinsamen Körperfunktionen des Füllens und Entleerens bewegt wurde, ebenso wie die Metaphorik des Genusses um das Füllen und Gefüllt-werden kreiste. Dem sozioökonomischen Kontinuum der athenischen Gesellschaft entsprach jedenfalls ein Kontinuum des Konsums, der allen Männern ebenso Lust bereitete, wie er sie bedrohte. Umgekehrt war damit die Möglichkeit gegeben, Vornehmheit durch Selbstbeherrschung als klassenloses Prädikat zu erwerben.

Das Gegenbild war natürlich der aus der Zwietracht erblühende und seinen Gelüsten nach Macht ergebene Tyrann. Konsequenterweise widmet Davidson das letzte Kapitel seiner politischen Geschichte der athenischen Begierden dieser Figur. In einer Gesellschaft, welche die Gleichheit in der Bürger- und Kultgemeinschaft immer wieder in der Verteilung des Opferfleisches zelebrierte, mussten etwa Anspielungen auf gierig essende Politiker automatisch Misstrauen hervorrufen. Die gigantische Festtafel des Perserkönigs mochte weit entfernt sein, doch es traf die Polis ins Mark, wenn einem Alkibiades Begierden nachgesagt wurden, die größer waren als sein Vermögen. In diesem Punkt trafen sich "Privates" und Politik. Nicht die überdurchschnittlichen Genüsse an sich ließen einen Mann mit tyrannischem Lebensstil bedrohlich erscheinen, sondern die unabweisbare Tatsache, dass seine Begierden bald die Mittel eines noch so reichen Privatmannes übersteigen und ihn - mächtig, wie sie waren - zwingen mussten, den Weg des Umsturzes zu beschreiten. Der Dämon, der die Polis von innen her zu zerstören vermochte, schien im Oikos geboren zu werden, in der Gesellschaft Gleichgesinnter bei heißen Fischhäppchen, mächtig viel Wein und in der Begleitung von Hochpreishetären.

Das - übrigens vorzüglich übersetzte - Buch lässt den Streit zwischen Sozial- und Kulturgeschichte, zwischen Makro- und Mikrohistorie vergessen. Es eröffnet ordnende Blicke auf eine unendlich reiche Tafel von Geschichten, Bildern und Verhaltensweisen, die anschaulich dargestellt, glänzend interpretiert und souverän vernetzt werden. Mit bewundernswerter Trittsicherheit findet der Autor dieses subtilen Meisterwerkes auch seinen Weg im Labyrinth der methodologischen -ismen. Vor allem aber bietet "Kurtisanen und Meeresfrüchte" genussreiche intellektuelle Stimulation von der ersten bis zur letzten Seite - und dies fast völlig gefahrlos. Was gibt es über ein Werk mit diesem Thema Besseres zu sagen?

James N. Davidson: "Kurtisanen und Meeresfrüchte". Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen. Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Siedler Verlag, Berlin 1999. 416 S., 15 Abb., 1 Karte, geb., 49,90 DM.

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