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Kurt Schwitters (1887-1948), der als Maler, Dichter und Werbegrafiker in beinahe allen Kunstformen aktiv war, ist ein Pionier der Moderne. Mit dem Lautgedicht "Ursonate" schockierte er Bourgeoisie und Dadaisten gleichermaßen, mit seinem Gesamtkunstwerk "Merzbau" war er seiner Zeit weit voraus. Unter dem Kennwort "Merz" entwickelte Schwitters ein dadaistisches "Gesamtweltbild". Den "Merzbau", eine grottenartige Collage-Skulptur mit Erinnerungsstücken, schuf Schwitters in zwanzigjähriger Arbeit in seiner Heimatstadt Hannover, im Haus seiner Eltern. Als die Nazis die Macht in Deutschland…mehr

Produktbeschreibung
Kurt Schwitters (1887-1948), der als Maler, Dichter und Werbegrafiker in beinahe allen Kunstformen aktiv war, ist ein Pionier der Moderne. Mit dem Lautgedicht "Ursonate" schockierte er Bourgeoisie und Dadaisten gleichermaßen, mit seinem Gesamtkunstwerk "Merzbau" war er seiner Zeit weit voraus. Unter dem Kennwort "Merz" entwickelte Schwitters ein dadaistisches "Gesamtweltbild". Den "Merzbau", eine grottenartige Collage-Skulptur mit Erinnerungsstücken, schuf Schwitters in zwanzigjähriger Arbeit in seiner Heimatstadt Hannover, im Haus seiner Eltern. Als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen und seine Kunst als "entartet" verfemt wurde, emigrierte er nach 1937 nach Norwegen, wo er noch zwei weitere Merz-Bauten anfertigte, bevor er 1940 weiter nach England fliehen musste. Lars Fiske legt den Schwerpunkt seiner Erzählung auf die Jahre des Künstlers im norwegischen Exil und nutzt die radikale Skulptur des "Merzbau" als Grundlage für die Erzählstruktur seiner Comic-Biographie.Dernorwegische Comic-Künstler Lars Fiske (Jahrgang 1966) studierte Illustration und Grafikdesign in Stockholm und Los Angeles. Er publizierte zahlreiche Comics und Kinderbücher und arbeitet als Illustrator für verschiedene Zeitungen. Gemeinsam mit Steffen Kverneland schuf er die Künstlerbiographie Olaf G., die auf deutsch ebenfalls im avant-verlag vorliegt."Emigration, Flucht aus Norwegen und Exil in England, alles ist da: wunderbar dabei die grafische Umsetzung von Lars Fiske, der die schwittersche Formensprache comicgerecht adaptiert - und mit jeder Seite wieder überrascht." (Henning Queren, Neue Presse)"Inhaltlich wie grafisch grandios "gemerzt"." (Christoph Huber, Die Presse)"Eine empfehlenswerte Comic-Biographie, die Schwitters' künstlerische Prinzipien virtuos zitiert." (taz)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2013

Die ungleichen Geschwister
In vielen Comicverlagen erscheinen in diesen Monaten Künstler-Biografien. Wo sie gelingen, zeigen sie die Querverbindungen
zwischen vermeintlich hoher und niederer Kunst, besonders in den klassischen Avantgarden
VON THOMAS VON STEINAECKER
Die Beziehung zwischen Bildender und Neunter Kunst ist, um es vorsichtig auszudrücken, einigermaßen komplex. Vielleicht umschreibt es folgender Vergleich ganz gut: Während sich auf den Gemälden die Reichen, Schönen und Wichtigen in Pelz und Samtgewänder kleideten, waren im Comic die meist jugendlichen Protagonisten ganz zufrieden damit, in Fetzen herumzulaufen, so wie das segelohrige „Yellow Kid“ mit seinem Nachthemd im ersten Comic der Geschichte. Am Underdog-Status des kleinen zerlumpten Bruders der vermeintlich großen Kunst änderte sich auch dann nichts, als die Maler der Pop-Art in den 1960ern Sprechblasen, klare Linien und Raster übernahmen. Glücklicherweise ist das Wertschätzungsgefälle der beiden Verwandten seit längerer Zeit in Auflösung begriffen: In Ausstellungen hängen Comickünstler wie Robert Crumb oder Art Spiegelman ganz selbstverständlich neben Picasso oder Miró. Bei all der Freude, dass einem lange verkannten Medium nun endlich die verdiente Aufmerksamkeit widerfährt, bleibt ein gewisses Unbehagen: Comics sind nun mal keine Gemälde, genauso wenig wie sie Literatur sind. Hergé, der Schöpfer von „Tim und Struppi“, war ein bahnbrechender Comiczeichner und -autor, aber ein lausiger Maler. Auch wenn ein vergrößertes Superman-Cover ästhetisch reizvoll sein mag, sind Comics Bilderzählungen. Isoliert man ihre Panels, verlieren sie ihre ureigene Qualität als Element in einem narrativen Medium. Dieses bezieht sich zudem auf eine völlig andere und wesentlich jüngere Tradition als der große Bruder aus der Hochkultur: Comics wurden groß in einem Umfeld der Populärkultur, ohne Berührungsängste mit dem Schmuddligen und derb Slapstickhaften.
  Nirgendwo lässt sich das Verhältnis der beiden Geschwister besser beobachten als an einem eigenartigen Phänomen dieses Buchjahres. In nahezu allen anspruchsvollen Comicverlagen erschienen in den vergangenen Monaten, angeregt von manchmal etwas zweifelhaften Jubiläen, Künstler-Biografien, als wolle die Neunte Kunst in einer konzertierten Aktion einen Angriff auf jenes Reich starten, das ihr so lange verschlossen blieb. Die Fallhöhe solcher Projekte liegt höher als bei Biografien von Dichtern oder Musikern. Denn wie soll sich Munchs, Picassos, Schieles oder Schwitters Stil mit jenem des jeweiligen Comiczeichners vertragen? Ja, wie soll das überhaupt gehen, ohne Gesichtsverlust für die Neunte Kunst: „Der Schrei“ oder Picassos blaue Periode als Comic? Ganz abgesehen davon, dass sich hier wie bei jeder Biografie die Gretchenfrage stellt: Wird das Leben, wie in den Zeiten des Reenactments bevorzugt, ungebrochen identifikatorisch beschrieben oder eher sachlich anhand von Dokumenten, dafür aber weniger unterhaltsam? Und warum dann nicht gleich ein Roman oder eine „normale“ Monographie? Wozu Comics über Künstler?
  Weil Munchs illustriertes Tagebuch und sein Lebensfries Vorformen der Bildgeschichte sind! So lautet die Antwort des Norwegischen Comickünstlers Steffen Kverneland. Von allen aktuellen Künstler-Biografien ist sein „Munch“ die ambitionierteste. Die über 270 großformatigen Seiten sprudeln nur so über vor klugen Reflexionen, irren Episoden und unterschiedlichen Stilen. Kverneland legt dabei gleich am Anfang die Karten auf den Tisch. Nach einem Besuch des Munch-Museums in Oslo diskutiert er mit seinem Kollegen Lars Fiske, wie eine gute Comic-Biografie über den Künstler aussehen müsste. Dabei sind die beiden sich einig: „Diese aktuellen romantischen Künstlerbiografien à la Im-Kopf-von-Munch sind echt ein richtiger Scheiß.“ Stattdessen sollen nur die Quellen sprechen, also Munch selbst sowie Zeitgenossen wie Strindberg oder der Osloer Bohème Hans Jæger. Aus dem Konstruktcharakter dieser Biografie wird nie ein Hehl gemacht: In regelmäßigen Abständen sind die Comiczeichner auf Fotos oder im hyperrealistischen Deix-Stil zu sehen, wie sie über Munch und das Projekt diskutieren.
  Das ist manchmal erhellend, etwa wenn sich die beiden auf die Suche nach der Strandkulisse des Gemäldes „Melancholie“ machen, manchmal aber auch in seiner allzu ausgestellten polternden Respektlosigkeit gegenüber dem Maler, der doch immer blau gewesen sei, enervierend. Vielleicht würden diese Einschübe als humoristisches und zugleich reflektorisches Moment besser funktionieren, wenn Munch als Mensch ansonsten ernst genommen werden würde. Doch auch wenn sich Kverneland in den Textblöcken streng an die Quellen hält, verwandelt sich Munch in den Zeichnungen zur überdrehten und letztlich lächerlichen Witzfigur mit hervorquellendem Kinn. Zwar ist der Informationswert der Episoden groß, die achronologisch Munchs traumatische Kindheit, seine Lehrjahre in Oslo und seine Freundschaft mit Strindberg in Berlin umreißen; auch fügen sich Munchs Hauptwerke bewundernswert problemlos in die Zeichnungen ein; aber das Projekt einer Annäherung an den komplexen Charakter der Hauptfigur wird schon nach wenigen Seiten aufgegeben. Die existenzielle Erschütterung hinter Gemälden wie „Der Schrei“ bleibt nur ahnbar.
  Wo „Munch“ mit seinen schrillen Tönen provoziert, ist der erste von vier Bänden über „Pablo“, geschrieben von Julie Birmant und gezeichnet von Clément Oubrerie, zahm und poetisch. Das liegt zum einen an der besonderen Perspektive: Erzählt wird die Biografie aus der Sicht der alten Fernande Olivier, Picassos Muse von 1904 bis 1912. Schon im Prolog, der in der Gegenwart spielt, beginnt die Greisin, über die Stufen Montmartres in den Himmel zu schweben. Und nicht zufällig erinnern die charmanten, leicht karikierenden Zeichnungen mit ihrer angenehm gedeckten Kolorierung an Kinderbücher: Oubrerie war lange in diesem Bereich tätig. In einer Parallelhandlung erleben wir die unglückliche erste Ehe der selbstbewussten Fernande mit anschließender Flucht sowie Picassos wilde Zeit zwischen Alkohol und Huren und seine Freundschaft mit dem sensiblen schwulen Dichter Max Jacob. Nichts irritiert hier; die Nachricht vom Selbstmord Carlos Casagemas’, ein einschneidendes Erlebnis in Picassos Leben, kippt durch die rauen, aber herzlichen Sprüche seiner Freunde schnell ins Sentimental-Humoristische, bis sich Fernande und Pablo schließlich durchnässt vom Regen zum ersten Mal küssen, als wär’s eine Szene aus „Moulin Rouge“. Richtig böse sein kann man diesem Band freilich nicht. Dazu sind die Zeichnungen zu nett und die Haltung gegenüber Picasso, die ihn zwar nicht mystifiziert, aber auch vor seinen Abgründen zurückscheut, zu freundlich. Wie bei einer Überdosis Zuckerwerk kommt das Unwohlsein erst hinterher. Ein gut gemachter Jugendcomic, der einige wenige brauchbare Informationen liefert und dabei sämtliche kunsthistorische Ausflüge ausspart. Das exzessive Genie aus Spanien mit den vielen verschiedenen Stilen bleibt zumindest am Ende dieses ersten Bandes ein recht austauschbarer Fremder.
  Ärgerlicher ist da schon Xavier Costes „Egon Schiele“, das auf knapp 70 Seiten die Biografie dieses großen Unvollendeten auf den Untertitel „ein exzessives Leben“ reduziert. Coste ist ein hervorragender Zeichner, dessen in warmen Tönen gehaltenen realistische Bilder sofort überzeugen. Umso bedauerlicher ist der dürftige Plot, der nur die bekannten Fakten illustriert, aber darüber hinaus Schiele, stets im weißen Hemd und mit Krawatte, zum Wiener James Dean stilisiert. Noch dazu wird hier vorgegeben, dass wir Schieles vermeintliche innere Stimme hören. Diese gibt dann am Ende seines kurzen Lebens ohne Rücksicht aufs österreichische Idiom Klischees von sich wie: „Es ging alles zu schnell, als dass es mir real erscheinen konnte.“ Bezeichnenderweise gelingt es Coste nicht wie etwa Kverneland, die originalen Gemälde und Zeichnungen korrekt wiederzugeben, stattdessen wirken Schieles erotische Skizzen wie weichgezeichnete Softsexszenen. Nach der allzu experimentellen und der poetischen Variante befinden wir uns nun also am anderen Ende der biografischen Annäherung, bei einer dieser „aktuellen romantischen Künstlerbiografien“, wie Kverneland in seinem Comic schimpfte.
  Und schon fast könnte man ein wenig den Glauben an dieses wunderbare Medium und seine Möglichkeit zur Lebensdarstellung verlieren, gäbe es nicht noch „Herr Merz“, von Kvernelands Freund Lars Fiske. Eigentlich verfolgt jener ein sehr ähnliches Konzept bei seiner Darstellung des schrulligen Hannoveraners Kurt Schwitters, dem Erfinders der Merz-Kunst, der über seine Collagen sagte, sie sollten „Beziehungen herstellen, bestenfalls zwischen allem, was auf dieser Welt existiert“: Fiske und Kverneland machen sich in Hannover, Norwegen und England auf die Spuren von Schwitters Merzbauten, dazwischen wird in kurzen Episoden und allein anhand von Quellen dessen Leben erzählt, von seinen Anfängen in Hannover, seinen Scharmützeln mit den Dadaisten und dem Exil während des Zweiten Weltkriegs. Anders als Kverneland gestattet sich aber Fiske nur wenige Abweichungen von seinem klaren, formalistischen Stil, etwa bei einem Schnellkurs in Sachen Dadaismus, der aussieht, als hätte ihn George Grosz gezeichnet. Der entscheidende Punkt hier ist: Das ist nicht nur brillant gemacht, sondern entspricht mit seinem feinen Humor auch der Hauptfigur, wie überhaupt Schwitters mit seinen Collagen und seinem nerdigen Charakter der Neunten Kunst näher steht als Munch, Picasso und Schiele. Fiske gelingt das, was die anderen Autoren und Zeichner vielleicht im Sinn hatten und Künstler-Biografien als Comic rechtfertigt: „Herr Merz“ ist überaus informativ, unterhaltsam und sogar mit seinem Protagonisten, der unbeirrt auf das scheinbar Nutzlose setzt, anrührend; vor allem aber macht es die Querverbindungen anschaulich, die sich zwischen der vermeintlich hohen und niederen Kunst besonders im Klima der klassischen Avantgarden sponnen. Von Schwitters’ „Ursonate“ ist es nur ein kleiner Schritt zu Soundwords und der Unsinnswelt des frühen Comics „Krazy Kat“, den James Joyce und Gertrude Stein verehrten: „Fümms bö wö tää zää“. So sei es.
Steffen Kverneland : Munch. Avant Verlag, Berlin 2013. 271 Seiten, 34,95 Euro.
Julie Birmant / Clément Oubrerie: Pablo. 1. Max Jacob. Reprodukt Verlag, Berlin 2013. 88 S., 20 Euro.
Max Coste: Egon Schiele. Ein exzessives Leben. Knesebeck Verlag, München 2013. 72 S., 19,95 Euro.
Lars Fiske: Herr Merz. Avant Verlag, Berlin 2013. 112 Seiten, 29,95 Euro.
Die Fallhöhe liegt höher
als bei Biografien von
Dichtern oder Musikern
Picasso bleibt ein Fremder;
und Schieles Skizzen wirken wie
weichgezeichnete Softsexszenen
Von Kurt Schwitters’ „Ursonate“
ist es nur ein kleiner Schritt zur
Unsinnswelt der frühen Comics
Kurt Schwitters, der Erfinder der Merz-Kunst, sagte über seine Collagen, sie sollten „Beziehungen herstellen, bestenfalls zwischen allem, was auf dieser Welt existiert“: Ausschnitt aus „Herr Merz“ von Lars Fiske.
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