Produktdetails
  • Verlag: Primus
  • ISBN-13: 9783896782298
  • ISBN-10: 3896782290
  • Artikelnr.: 03275125
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.1997

Zorn des Berserkers
Zum Neudruck einer Germanen-Edition des NS-Ideologen Otto Höfler

Die Germanen-Forschung nimmt sich wie ein Spiegelbild der deutschen Geschichte aus. Die "Germania" des Tacitus wurde bereits von der ersten Generation deutscher Humanisten zur nationalen Mythenbildung benutzt, die barocke Reichspublizistik bastelte daran weiter, die Romantik erfand die Germanistik als Wissenschaft. Nach der Etablierung des ersehnten deutschen Nationalstaats endete die Ahnensuche keineswegs, sondern trat in ihre heiße Phase ein. Verschiedene Dienststellen der NSDAP und ihrer Suborganisationen versuchten, den Superioritätsanspruch ihrer vermeintlichen Herrenrasse auf ein historisches Fundament zu stellen.

Das Ende des NS-Staates führte zu einer Stagnation der germanischen Mythenproduktion, ein populäres Interesse blieb jedoch weiterhin bestehen. Der Buchmarkt muß natürlich auf diesen Bedarf reagieren, unverständlich aber ist die regelmäßig unkommentierte Neuauflage von ideologisch kontaminierten Publikationen. Tacitus' "Germania" wurde in der Edition des radikal antisemitischen Wiener Germanisten Rudolf Much durch den Reclam-Verlag nachgedruckt, obwohl die Kommentierung wegen ideologischer Voreingenommenheit zweifelhaft ist. Die "Altgermanische Religionsgeschichte" des Skandinavisten Jan de Vries von 1935 wurde nach dem Krieg zweimal unverändert durch den Berliner Verlag Walter de Gruyter nachgedruckt, "Die geistige Welt der Germanen" desselben Autors wurde 1964 in das Angebot der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt übernommen.

Amt Rosenberg

Der Klassiker "Kultur und Religion der Germanen" des dänischen Religionswissenschaftlers Vilhelm Grønbech befand sich da bereits seit zehn Jahren im Programm der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Sechzig Jahre nach der deutschen Erstauflage bringt sie nun die 12. unveränderte Auflage auf den Markt, es dürfte mithin die gegenwärtig am weitesten verbreitete Germanendarstellung auf dem deutschsprachigen Buchmarkt sein.

Herausgegeben und eingeleitet wird Grønbechs Werk seit der deutschen Erstauflage in der NS-lastigen Hanseatischen Verlagsanstalt durch den Much-Schüler Otto Höfler (1901-1987). Die Buchgesellschaft beruft sich darauf, daß dessen Vorwort keine direkt rassistischen Aussagen enthalte. Dies zeugt aber von einem wenig problembewußten Umgang mit der deutschen Vergangenheit, wie die Anwendung einfachster hermeneutischer Regeln auf dieses Vorwort offenbart.

Otto Höfler war kein akademischer Irgendwer, sondern der wissenschaftliche Apologet der SS. Bereits als Student seit 1923 Mitglied des illegalen Saalschutzes (der späteren SA) in Wien, trat er Anfang der dreißiger Jahre nicht nur der in Österreich verbotenen NSDAP bei, sondern lieferte mit seiner Habilitationsschrift "Kultische Geheimbünde der Germanen" eine auf die zeitgenössische Gegenwart zielende Programmschrift. Germanische Männerbünde wurden als die Träger der Kultur und des Staates vorgestellt.

Das Buch wurde von Freund und Feind als Rechtfertigung der Totenkopfverbände der SS verstanden. In Deutschland trug sie dem Österreicher Höfler noch im Publikationsjahr 1934 eine Professur für Germanistik an der Universität Kiel und dauerhafte Protektion ein. Höfler profilierte sich durch sein Engagement bei der SS-Organisation "Ahnenerbe" und lieferte ihr Argumente in der Auseinandersetzung mit dem "Amt Rosenberg" und im sogenannten "Kirchenkampf". Höflers Beförderung auf einen Lehrstuhl in der "Hauptstadt der Bewegung" war unter solchen Umständen Chefsache. Der Dekan der Münchener Philosophischen Fakultät und spätere Rektor der Universität, Walter Wüst, Präsident des "Ahnenerbe" und SS-Hauptsturmführer, schaltete dafür mit Erfolg Heinrich Himmler ein, wie Höflers Personalakte im Berlin Document Center beweist. Im Januar 1938 konnte der "Völkische Beobachter" Vollzug melden. Bis zum Ende der NS-Diktatur versah Höfler in München einen Lehrstuhl für "Germanische Philologie und Volkskunde".

Höchst blamabel

Gleichzeitig mit der Herausgabe von Grønbechs Germanenbuch entfaltete Höfler eine Vielzahl von Aktivitäten, mit denen er seiner Rolle als ideologischer Vordenker gerecht zu werden versuchte. Neben Vorträgen vor dem NS-Dozentenbund gehörten dazu regelmäßige Artikel in der Zeitschrift "Germanien", dem "offiziellen Organ des Ahnenerbe e.V.". Er nutzte dieses Forum zur Auseinandersetzung mit einem anderen NS-Germanenforscher, dem von Rosenberg protegierten Nordisten Bernhard Kummer. Dessen Leipziger Dissertation "Germanischer Kult und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten" hatte eine friedvolle Germanenwelt beschrieben, die durch die Walhall- und Odinsreligion der Wikingerzeit und das Christentum zerstört worden sei. Rosenberg übernahm diese These in seinen "Mythus des 20. Jahrhunderts".

Diese "Wodanfeindschaft" erschien Höfler infam. Kummer reihe sich mit seinen Argumenten ein in "die antivölkischen Kreise, zu denen die Semitophilen wie die Ultramontanen und die Zivilisationsliteraten gehören". Gegen Kummers Vision der Germanen als friedliche Bauern stellte Höfler das martialische Eroberervolk mit seiner "Fähigkeit zur kämpferischen Ekstase", die "ein hervorragendes Merkmal der nordischen Rasse" sei und "deren Vater Wodan ist". Darin bestehe "Kontinuität" - so das Schlüsselwort Höflers - bis in die Gegenwart, wie "die Sturmmänner der Bewegung" bewiesen - Himmlers SS ("Germanien", Heft 6/1937).

In diesem Zusammenhang mag es erstaunen, daß Höfler mit Grønbechs "Kultur und Religion der Germanen" ein Werk in deutscher Übersetzung edierte, das Kummers Theorie des friedlichen Bauernvolkes zu bestätigen schien. Ein wesentlicher Grund dafür lag sicher in Höflers Absicht, die Interpretation dieses Standardwerks zu monopolisieren, das "zu den verborgenen Kraftquellen des Altertums" hinabsteige und "nicht das atomisierte Individuum als die wahre Lebenswirklichkeit" ansehe, sondern die "Blutsgemeinschaft", die "große völkische Einheit", wie Höfler in seiner Vorbemerkung zur ersten Auflage der deutschen Übersetzung hervorhebt. Wären die Germanen ein friedliches Bauernvolk "wie die Isländer - niemals hätten sie Europa und halb Asien erobert und die Welt unter die Führung der nordischen Rasse gebracht!" Grønbech verteufele Wodan nicht, vielmehr sei sein Werk geeignet, "unsere eigene deutsche Vergangenheit in ein ganz neues und helles Licht" zu stellen.

Während Höfler als Wissenschaftler die Maske des Biedermannes zur Schau trug, betätigte er sich unter Pseudonym als Brandstifter. Gezeichnet mit "Hugin und Munin" - den mythologischen Namen von Wotans Raben - pries er in der Zeitschrift "Germanien" (Heft 9, 1937) das germanische Gefolgschaftswesen: "Blut und Sippe", "Lebensraum", Ahnenerbe und "wehrhafte Männerbünde", deren Kennzeichen der ekstatische Kampfeszorn des "selbstvergessenen Berserkers" sei. In einem Leitartikel über den "Verfall der Kampfmoral", in dem er wieder auf seine Grønbech-Edition anspielt, spricht Höfler von der Verteidigung des gemeinsamen Erbes "gegen die Macht des Untermenschentums, die sich in dem ewigen Juden verkörpert" (Heft 10, 1937).

1945 wurde Höfler nicht nur die ideologische Grundlage, sondern auch sein Münchner Lehrstuhl entzogen. Als ihm die Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1954 eine Neuauflage seiner Grønbech-Edition ermöglichte, war dies Teil einer schleichenden Rehabilitation, die ihn drei Jahre später auf einen Lehrstuhl für Germanistik in Wien führte. Die nun erschienene "12., unveränderte Auflage" von Grønbechs "Kultur und Religion der Germanen" enthält nicht mehr Höflers sechzig Jahre altes Vorwort von 1937, sondern eine modifizierte Version zur "5., unveränderten Auflage" von 1954. Auch diese Einführung ist in höchstem Maße blamabel, läßt sie doch hinter dem Wortgeklingel einer verquasten Terminologie die alten Standpunkte Höflers erkennen.

Von Kulten, Ekstasen und der "Herrschaftsgewalt des Numinosen" ist hier die Rede, von einem "unverbrüchlichen Gefüge von Normen und Gesetzen", das in einem "System von anerkannten Wertungen über dem einzelnen" stehe. Zwar sind die direkt antisemitischen und rassistischen Bezüge gestrichen, doch finden sich Töne des "Kirchenkampfes" und vor allem aus der Auseinandersetzung mit dem namentlich nicht mehr genannten Kummer, also die alte Frontstellung zwischen SS-Ahnenerbe und dem Amt Rosenberg. Wegen ihrer Insellage hätten die Isländer, auf deren Sagas sich Grønbech stützt, "nie einen gemeinsamen Krieg zu führen" gebraucht, daher "keinen gemeinsamen Heeresverband besessen, und so waren hier die Sippen die obersten Kampfeinheiten".

Falscher Eindruck

Die Neuausgabe der Höflerschen Grønbech-Edition ist ein bedenkliches Beispiel für eine Vergangenheit, die nicht vergehen will und die daher mit besonders kritischer Sorgfalt behandelt werden muß. Aus heutiger Sicht erscheint es leicht erklärlich, daß die 1949 gegründete Wissenschaftliche Buchgesellschaft unter ihrem damaligen Geschäftsführer Ernst Anrich (1906-1979), dessen Biographie als aktiver NS-Wissenschaftler mit völkisch-antisemitischer Argumentation und Dienstleistungen für das SS-Ahnenerbe Gemeinsamkeiten mit der Höflers aufweist, dieses Buch in ihr Programm aufnahm. Anrichs rechtsradikale Gesinnung auch nach 1945 ist gut dokumentiert, und von Höfler hat man nie eine eindeutige Distanzierung von seiner ekstatischen Frühzeit zu lesen bekommen, vielmehr versuchte der Ideologe der SS bei seinen Schülern in den sechziger Jahren den Eindruck zu erwecken, er habe der NSDAP nie angehört.

Wenn man schon diese alten Germanenkompendien immer wieder auflegen muß, sollte eine Einführung hinzugefügt werden, die die alten Phantastereien korrigiert und auf die Folgen hinweist, die mit dieser veralteten Form der "Germanistik" verbunden gewesen sind. WOLFGANG BEHRINGER

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