Marktplatzangebote
17 Angebote ab € 0,58 €
  • Gebundenes Buch

Der dreißigjährige Fotograf Rudolf verläßt seine Heimatstadt Salzburg, um nach Wien zu ziehen. Schon die Zugfahrt dorthin eröffnet ein neues Lebensgefühl. Mit der Kamera in der Hand erobert er die neue Stadt. Er mietet ein Zimmer in der luxuriösen Altbauwohnung des jungen Architekten Schiebel und lernt eine Frau kennen. Die schöne Schauspielerin Marie, die ihn im Kunsthistorischen Museum vor Correggios "Jupiter und Io" verführt, wird die große Liebe, an die er nie glauben wollte. Rudolf ist glücklich. Dann erschüttert ein tragischer Unfall die Stadt, und Rudolf entdeckt in einem Café ein Liebespaar: seinen Mitbewohner Schiebel und Marie...…mehr

Produktbeschreibung
Der dreißigjährige Fotograf Rudolf verläßt seine Heimatstadt Salzburg, um nach Wien zu ziehen. Schon die Zugfahrt dorthin eröffnet ein neues Lebensgefühl. Mit der Kamera in der Hand erobert er die neue Stadt. Er mietet ein Zimmer in der luxuriösen Altbauwohnung des jungen Architekten Schiebel und lernt eine Frau kennen. Die schöne Schauspielerin Marie, die ihn im Kunsthistorischen Museum vor Correggios "Jupiter und Io" verführt, wird die große Liebe, an die er nie glauben wollte. Rudolf ist glücklich. Dann erschüttert ein tragischer Unfall die Stadt, und Rudolf entdeckt in einem Café ein Liebespaar: seinen Mitbewohner Schiebel und Marie...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1999

Schwarz sind alle Bilder
Tote Vögel in Wien: Hans Weiss' Roman "Kulissen des Abschieds"

Wie der Weinexperte sein Geschmackserlebnis, so besingt der Lichtbildner sein Filmmaterial. Rudolf, ein dreißigjähriger Berufsfotograf, siedelt nach einem Beziehungsfiasko von Salzburg nach Wien über. Für die Ankunft in der großen Stadt hat er "einen Fuji Velvia eingelegt, einen provozierend langsamen Film . . . mit geradezu hysterischen Qualitäten". So lässt es sich gut mit der Leica aus der rechten Hüfte schießen, während die Linke den Gepäckwagen schiebt. Im Zugrestaurant hat der Voyeur vom Dienst das Objektiv auf die ergiebigsten Körperzonen seiner Tischnachbarin gerichtet und ihr vorgeschwindelt, er werde die Negative vernichten. Bald darauf ereilt ihn der Albtraum jedes Kameraprofis: Die Filme, die er ins Labor gebracht hat, sind "vollkommen durchsichtig und leer", ein paar Absätze später hingegen "schwarz, schwarz".

Jedenfalls sind über zweihundert Aufnahmen verloren, nicht nur Brust und Schenkel aus dem Speisewagen, auch die Abschiedsfotos von Salzburg und die couragiert erkämpfte Bildserie von zwei pöbelnden Frauen in der Wiener Straßenbahn. Rudolf, wer könnte es ihm verdenken, muss sich ein Glas Wasser geben lassen. Die Filmkatastrophe ist nur eines von vielen ominösen Ereignissen, die den Zugereisten beunruhigen. Kurz vor seinem Eintreffen hat die Pummerin, die große Glocke des Stephansdoms, sich mitten im Läuten losgerissen und ist "mit einem ungeheuren Knall" auf dem Pflaster zersplittert. Die Kunstlehrerin Irene, bei der Rudolf für einige Wochen Unterschlupf und Zuwendung findet, verfährt sich auf dem Heimweg, als sie den Gast vom Bahnhof abgeholt hat, und sagt: "Das ist mir noch nie passiert." Später, auf einer Vernissage, leugnet sie, ihn jemals gesehen zu haben. Der Fotograf kann es verschmerzen, denn er ist inzwischen bei einem Magazin unter Vertrag, lebt in luxuriöser Wohngemeinschaft mit dem Architekten Schiebel und hat die Frau seines Lebens kennen gelernt, die verführerische Schauspielerin Marie. Dann brechen Häuser ohne erkennbaren Grund zusammen, gigantische Vogelschwärme suchen die Stadt heim und verdunkeln den Himmel, bis es tote Krähen regnet, kurz: Die Atmosphäre changiert zwischen Jakob van Hoddis und Hitchcock, das Weltende wirft seinen Schatten voraus. Was geht vor hinter den Kulissen Wiens, die der Titel, pathetisch genug, "Kulissen des Abschieds" nennt?

Leider nichts Aufregendes. Hans Weiss, der sich als Sachbuchautor mit pharmaziekritischen Publikationen einen Namen gemacht hat, wollte zur Abwechslung einen Roman schreiben. Wenn jemand Psychologie und Fotografie studiert hat und in Wien wohnt, liegt es nahe, dass er diese Ingredienzien in seinem belletristischen Debüt zusammenrührt. Der Autor war selbst einmal dreißig, und wer weiß, ob er nicht noch heute davon träumt, dass ihn eine blonde Schönheit aus dem Ensemble des Burgtheaters zum Rendezvous ins Kunsthistorische Museum bittet, um ihn vor Correggios "Jupiter und Io" in Wallung zu bringen und sich anschließend von ihm das Kleid zerreißen zu lassen, in einem Sinnestaumel, der auch die Sprache aus der Bahn wirft: "Er griff mit beiden Händen zu, und mit einer einzigen Bewegung klaffte der Stoff an ihrer Taille auseinander." Indes scheint Weiss ob solcher Fantasien ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn er bestraft die erotischen Sehnsüchte und die seelische Unreife seines Helden gleich mit einem halben Weltuntergang. Die unbelichteten Filme und die einstürzenden Altbauten, die zerborstene Glocke und die Vogelkadaver sind nur Requisiten eines platten Psychodramas. Sie sollen Rudolfs Defizite und Ängste illustrieren. Das nimmt man dem Autor übel, auch wenn man sich streckenweise nicht ungern in seine österreichische Schwarzmalerei hineinziehen lässt.

Da gibt es die Szene, in der Rudolf und Marie das böhmische Dorf Osek aufsuchen, wo Kafkas Großvater aufwuchs. Das Schloss, "dessen Ausstrahlung in den Roman eingeflossen war", ist jetzt ein Irrenhaus, und im Hof liegt ein totes Schwein. Daraus hätte man etwas machen können, aber stattdessen muss das Paar beim Picknick ernst gemeinte Banalitäten über Gefühl und Rollenspiel, Theater und Leben austauschen. Rudolf, der seinen Beruf nur deshalb ergriffen hat, weil er sich als Primaner in Portraitfotos seiner früh verstorbenen, blonden Mama verguckt hat, und der den Aufenthalt in der Dunkelkammer liebt, weil er sich dort "die Stimme der Mutter" am besten vergegenwärtigen kann - Rudolf lässt sich gern hinters Licht führen, was ihm naturgemäß zum Verhängnis wird. Nachdem die schwangere Marie von einem Balken des eingestürzten Burgtheaters erschlagen worden ist, stöbert er ihr Tagebuch auf und findet dort die erzbanale Erklärung für alle sinistren Vorfälle.

Mit Kanonen hat der Psychologe auf Krähen geschossen. Die bittere Pille, die er am Ende seinem Helden verabreicht, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Schade um den schönen, untergangssüchtigen Schauplatz Wien, um die ganze brüchige Welt, die hier, wie Kollege und Landsmann Michael Köhlmeier wohl wollend anmerkt, "zur Fußnote wird". Auf dem Höhepunkt der Krise nimmt Rudolf übrigens "ein Beruhigungsmittel". Zu gern wüsste man, was der renommierte Arzneikritiker Hans Weiss in diesem Fall empfohlen hätte.

KRISTINA MAIDT-ZINKE

Hans Weiss: "Kulissen des Abschieds". Roman. Ullstein Verlag, Berlin 1999. 270 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr