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»Nichts Neues unter der Sonne«? Im Angesicht radikaler Veränderungen, die uns mit zunehmender Häufigkeit zu ereilen scheinen, wirkt die biblische Weisheit heute überholter denn je. Oder gerade nicht? Jan Eike Dunkhase folgt der Spur eines Geschenks des Historikers Reinhart Koselleck an Carl Schmitt und bietet eine Auswahl aus dem vergessenen Werk des Abts Rupert Kornmann. In einer kritischen Wendung gegen das historische Denken der Aufklärung setzte der bayerische Benediktiner dem beschleunigten Wandel um 1800 das Prinzip der Wiederholung entgegen, um die Geschichte als Lehrmeisterin des…mehr

Produktbeschreibung
»Nichts Neues unter der Sonne«? Im Angesicht radikaler Veränderungen, die uns mit zunehmender Häufigkeit zu ereilen scheinen, wirkt die biblische Weisheit heute überholter denn je. Oder gerade nicht? Jan Eike Dunkhase folgt der Spur eines Geschenks des Historikers Reinhart Koselleck an Carl Schmitt und bietet eine Auswahl aus dem vergessenen Werk des Abts Rupert Kornmann. In einer kritischen Wendung gegen das historische Denken der Aufklärung setzte der bayerische Benediktiner dem beschleunigten Wandel um 1800 das Prinzip der Wiederholung entgegen, um die Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens zu restituieren und eine politische Prognostik aus ihr abzuleiten.
In seinem geistreichen Essay beleuchtet Jan Eike Dunkhase den dramatischen Hintergrund von Kornmanns Geschichtslehre im Zeichen der Säkularisation und erkundet ihre Erneuerung durch Koselleck anderthalb Jahrhunderte später - eine überraschende Wahlverwandtschaft, die unsere gängigen Vorstellungen von Geschichte und Fortschritt infrage stellt.
Autorenporträt
Jan Eike Dunkhase, 1973 in München geboren, ist Historiker und forscht zur neueren Ideen- und Kulturgeschichte. Zuletzt erschienen seine Edition des Briefwechsels von Reinhart Koselleck und Carl Schmitt und seine Geschichte des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gustav Seibt schreibt beim Lesen mit, so sehr begeistern ihn Kornmanns Wahrheiten. Worum eght's? Reinhart Koselleck hatte als junger Historiker als Geschenk für Carl Schmitt die Schriften des im Revolutionszeitalter um sein Kloster gebrachten Abts Rupert Kornmann editiert, dessen Gedankenwelt Kosellecks Arbeit grundlegend prägte. Jan Eike Dunkhase folgt in seinem Essay Kornmanns Spuren bei Koselleck, wie Seibt erklärt, für den das viel Sinn ergibt: Kornmann sah in der Revolution nicht etwas Neues in der Geschichte, lediglich eine Beschleunigung, auch Aufklärung und Humanismus waren für ihn nur Neuauflagen von Kreuzzug und Inqusition. Seibt erkennt hierin c Theorie historischer Zeiten. Die Wiederentdeckung des skeptisch-scharfzüngigen Katholiken behagt Seibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2022

Nicht neu,
nur schneller
Wie Reinhard Koselleck einen
frühen Bruder im Geiste fand
Im Frühjahr 1961 sandte der junge Historiker Reinhart Koselleck seinem Mentor Carl Schmitt eine 1947 erschienene Auswahl aus den Schriften eines Benediktinerabts namens Rupert Kornmann zu. Kornmann lebte von 1757 bis 1817 und hatte 1803 bei der großen Enteignung des deutschen Kirchenbesitzes im „Reichsdeputationshauptschluss“ seine Abtei – Prüfening bei Regensburg – verloren. Seither lebte er als gelehrter Schriftsteller, der sich in scharfzüngiger Zeitdiagnostik übte. Es galt die Umbrüche der Epoche, die Kornmann ganz unmittelbar betroffen hatten, zu begreifen. Als philosophisch geschulter Katholik besaß Kornmann eine exzentrische Beobachterposition, die ihn zu einer ungewöhnlichen, nur ihm eigenen Analyse des Revolutionszeitalters führte.
Das Buchgeschenk von 1961 löste beim Adressaten keine Resonanz aus, obwohl ein apokrypher katholischer Geschichtsdenker für Carl Schmitt eine passende Gabe war. Umso auffälliger ist die konstante Anwesenheit Kornmanns in Kosellecks theoretischen Abhandlungen bis in seine letzte Lebenszeit. Ausgehend von der erfolglosen Buchsendung hat nun Jan Eike Dunkhase alle publizierten und etliche unpublizierte Kornmann-Spuren bei Koselleck – darunter Exzerpte und Lektürespuren im Nachlass – ausgewertet und zusammen mit einer kleinen Auswahl aus den Schriften des Benediktiners vorgelegt. Daraus wurde ein brillanter ideenhistorischer Krimi, der bis in das Bielefelder Schwimmbecken führt, in dem Koselleck ein paar tausend Bände seiner riesigen Bibliothek lagerte.
Was machte Kornmann für Koselleck so interessant? Kornmann war einerseits ein scharfsichtiger Diagnostiker der Beschleunigung, die mit dem Revolutionszeitalter in die Geschichte gekommen war. Andererseits bestritt Kornmann, dass diese Beschleunigung auch eine grundsätzliche Neuartigkeit der rasend schnell gewordenen Abläufe bedeute. Immer noch nichts Neues unter der Sonne, nur zehnmal so schnell wie früher, lautet Kornmanns Überlegung in knappster Form: „Unsere Zeitgeschichte ist eine kurze Wiederholung der allgemeinen Weltgeschichte.“
Diesen Gedanken entfaltete Kornmann in zahlreichen Parallelen, die sich zu einem System von „Wiederholungsstrukturen“ bündelten, um es mit Koselleck zu sagen. So beobachtete Kornmann, dass die „Befehlshaber der großen Aufklärung“ – also Politiker, die im Namen des Fortschritts agierten – „in ihrem Wirkungskreise das Nämliche taten, worüber sie die vergangenen Zeiten angeklagt hatten.“ Kornmann nannte Kreuzzüge, Inquisition, Gewissenszwang, Kolonisierung. „Aber lasst uns die Namen ändern und wir finden alle diese Erscheinungen unter der brennenden Sonne der Aufklärung wieder.“ Besonders abstoßend: „die lügenhafte Gestalt der Humanität“, in deren Namen Terror geübt wurde.
Man kommt bei der Kornmann-Lektüre schnell ins Mitschreiben, so scharfzüngig ist er: „Siege über Andächteleien und Missbräuche alter Weiber waren ebenso wenig eines Trompetenstoßes wert als Domitians Triumphzüge über erlegte Fliegen.“ Beschleunigung, aber kein „Fortschritt“, damit besetzte Kornmann genau die strategische Stelle, an der Koselleck seine Theorie historischer Zeiten angesiedelt hatte: Sie vereinte die Wahrnehmung eines alle Lebensbereiche erfassenden Veränderungsdrucks mit gleichzeitiger Skepsis gegen optimistische oder apokalyptische Geschichtsphilosophie. Geschichte rast, aber sie hat immer noch kein Ziel.
Diese Skepsis sollte vor jenen totalitären Selbstermächtigungen bewahren, mit denen revolutionäre Akteure im Namen „der Geschichte“ über Leichen gingen. Und womöglich hatte der „im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte“ aufgelöste Topos von Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens („Historia magistra vitae“), dem Kosellecks berühmteste Abhandlung galt, doch nicht ausgedient. Er musste eben um eine Theorie historischer Zeiten ergänzt werden, dann konnte er immer noch gegen die gewalttätigen Anmaßungen der Geschichtsphilosophie dienen.
In dem skeptischen, scharfzüngigen Katholiken, der sich gegen alle restaurativen Versuchungen verwehrte – ein Zurück in eine heile Vormoderne konnte es auch für Kornmann nicht geben – hatte Koselleck einen Bruder im Geiste gefunden. Und auch für heutige Leser enthält der kaustische Abt immer wieder beunruhigend Treffendes: „Gott hat nicht gesprochen: Zerstöret die Erde, sondern füllet sie.“
„Je mehr Polizey (Regelung) die Sprache bindet, desto weniger weiß sie.“
„Der Geist der Erfindung hat in den Zeiten der Verfeinerung neue Mordmaschinen erfunden und die alten verbessert.“
„Die Gegenwart kann man wohl zum Schweigen bringen; nicht so die Nachwelt.“
Einen solchen Schriftsteller sollte man nicht liegen lassen.
GUSTAV SEIBT
Geschichte rast,
aber sie hat immer noch
kein Ziel
Jan Eike Dunkhase:
Kornmanns Wahrheit. Eine Geschichte aus der Sattelzeit. Matthes & Seitz, Berlin 2022.
111 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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