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Kollektive Akteure wie Gewerkschaften, Bauern- oder Unternehmensverbände stehen unter dem Verdacht, einseitig die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sind sie zureichend als rent seekers zu beschreiben und schaden daher Wirtschaft und Gesellschaft? Oder nehmen sie notwendige Steuerungs- und Willensbildungsfunktionen wahr?Aus der Perspektive ökonomischer und politikwissenschaftlicher Theorien geht der Autor diesen Fragen nach und klärt die Funktionalität auf Verhandlungen setzender Akteure innerhalb der jeweiligen Theoriekonzepte. Es zeigt sich, dass Effizienzbewertungen zum Verständnis…mehr

Produktbeschreibung
Kollektive Akteure wie Gewerkschaften, Bauern- oder Unternehmensverbände stehen unter dem Verdacht, einseitig die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sind sie zureichend als rent seekers zu beschreiben und schaden daher Wirtschaft und Gesellschaft? Oder nehmen sie notwendige Steuerungs- und Willensbildungsfunktionen wahr?Aus der Perspektive ökonomischer und politikwissenschaftlicher Theorien geht der Autor diesen Fragen nach und klärt die Funktionalität auf Verhandlungen setzender Akteure innerhalb der jeweiligen Theoriekonzepte. Es zeigt sich, dass Effizienzbewertungen zum Verständnis von Verhandlungslösungen weniger beitragen können als ihre Betrachtung unter Effektivitätsgesichtspunkten. Die Arbeit schließt mit einer Anwendung auf Arbeitsbeziehungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2004

Das Heil des Staats
Gewerkschaften und Verbände - Effizienz auf Kosten Dritter

Torsten Niechoj: Kollektive Akteure zwischen Wettbewerb und Steuerung. Effizienz und Effektivität von Verhandlungssystemen aus ökonomischer und politikwissenschaftlicher Sicht. Metropolis Verlag, Marburg 2003, 375 Seiten, 36,80 Euro.

Die individuelle Freiheit für alle Bürger eines Gemeinwesens kann nur durch die Herrschaft des Gesetzes (rule of law) geschützt werden. Durch allgemeine und abstrakte, für alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Gesetze soll sichergestellt werden, daß jeder Mensch - sei er Arbeiter oder Unternehmer, adliger, bürgerlicher oder proletarischer Herkunft, reich oder arm - unabhängig von der nötigenden Willkür durch andere Menschen leben kann. Der Staat ist deshalb eine Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern unter Rechtsgesetze, durch die die gleiche Freiheit für alle hergestellt und gesichert wird.

Weil das Recht mit der Befugnis zur Anwendung von Zwang verbunden ist, muß der mit Gewaltmonopol ausgestattete kollektive Akteur Staat strikt von allen anderen kollektiven Akteuren unterschieden werden. Nur der Staat hat das Recht zur Ausübung von Zwang. Und er hat es auch nur, um eine "Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen" zu errichten und zu sichern, "welche machen, daß jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann (nicht von der größesten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen)" (Immanuel Kant). Daß staatliches Handeln nicht von der größten Glückseligkeit oder der Wohlfahrt ausgehen oder diese verfolgen kann, hat nach Kant eine erkenntnistheoretisch tiefere Ursache. Denn "Wohlfahrt . . . hat kein Prinzip, weder für den, der sie empfängt, noch der sie austeilt (der eine setzt sie hierin, der andere darin); weil es dabei auf das Materiale des Willens ankommt, welches empirisch, und so der Allgemeinheit einer Regel unfähig ist". Deshalb kann in Ansehung von Wohlfahrt oder Glück "gar kein allgemein gültiger Grundsatz für Gesetze gegeben werden". Wohlfahrt und Glück sind ausschließlich Kategorien individueller Lebensführungsprogramme. Deshalb hat kein Mensch, keine Gruppe und auch kein Staat das Recht, Menschen zu zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise glücklich zu sein. Selbst der demokratische Rechtsstaat hat sich diesem Grundsatz der Gerechtigkeit zu beugen. Keine noch so demokratisch gewählte Mehrheit darf dem Bürger sein Recht nehmen, "seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mituntertanen, Abbruch tut" (Kant).

Zum individuellen Streben nach Glück und Wohlfahrt gehört selbstverständlich auch das Recht jedes Menschen, sich mit anderen Menschen zu Gruppen und Organisationen zu vereinigen, um Kooperationsgewinne zu realisieren. Aus diesem Grund ist die Zielsetzung von Torsten Niechoj zu begrüßen, in seiner von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Arbeit die Effizienz und Effektivität von kollektiven Akteuren aus ökonomischer und politikwissenschaftlicher Sicht zu untersuchen. Leider begeht Niechoj hierbei jedoch erstens den Kardinalfehler, den mit Zwangsgewalt ausgestatteten kollektiven Akteur Staat nicht strikt von allen anderen kollektiven Akteuren zu trennen. Für den Autor besteht zwischen Gewerkschaften und dem Staat letztlich kein systematischer Unterschied. Zweitens versucht Niechoj in einer gewagten und letztlich nicht haltbaren Interpretation der Schriften von Mancur Olson und Friedrich August von Hayek das Problem herunterzuspielen, daß kollektive Akteure neben der allseits gewünschten Realisierung von Kooperationsgewinnen auch Vorteile auf Kosten Dritter - also Raubgewinne - zu erbeuten in der Lage sind. Das Herunterspielen dieses Problems im Zuge von Niechojs Argumentation gegen den Rent-seeking-Ansatz ist vermutlich auch der Grund dafür, daß er nicht konsequent zwischen dem kollektiven Akteur Staat und anderen kollektiven Akteuren unterscheiden möchte. Niechoj will erst gar nicht in den Blick bekommen, daß der Staat nicht nur die Aufgabe hat, die Vereinigungsfreiheit zu schützen, sondern auch die Pflicht hat, seine Bürger vor der nötigenden Willkür durch kollektive Akteure - seien es nun Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kirchen, Umweltschutzgruppen oder Ärztelobbyisten - in Schutz zu nehmen.

Diese interessengestützte Ignoranz geht soweit, daß Niechoj die Rolle des Staates im einfachen und einsichtigen System der natürlichen Freiheit von Adam Smith schlicht unterschlägt. Der Moralphilosoph Adam Smith hat in seinem 1776 erschienenen Werk "Der Wohlstand der Nationen" deutlich hervorgehoben, daß die unsichtbare Hand des Marktes auf der sichtbaren Hand des Rechts beruht und daß der Markt nicht ohne Staat funktionstüchtig ist. Zum System von Adam Smith gehört die Aufgabe des Staates, "jedes Mitglied der Gesellschaft soweit wie möglich vor Ungerechtigkeit oder Unterdrückung durch einen Mitbürger in Schutz zu nehmen oder ein zuverlässiges Justizwesen einzurichten" (Smith).

Hätte Niechoj zudem die Schriften des von ihm kritisierten Mancur Olson in der Breite gelesen, dann wäre ihm unmittelbar klar, "daß die Logik der Macht nicht angemessen durch freiwillige Transaktionen erklärt werden kann: Macht - und nicht zuletzt staatliche Macht - ist die Fähigkeit, Gehorsam zu erzwingen, und enthält daher die Befugnis und Fähigkeit, Zwang auszuüben. Wie wir zeigen werden, reicht es nicht, die Theorie des freiwilligen Austausches zu begreifen: Wir müssen auch die Logik des Zwanges verstehen" (Olson). Da Niechoj sich weigert, dieser Logik des Zwanges nachzugehen, vermag er auch nicht zu erkennen, daß die legitime Zwangsgewalt des Staates von Interessengruppen und Parteien dazu mißbraucht werden kann, Sondervorteile auf Kosten Dritter und zu Lasten der Allgemeinheit zu erlangen. Der Staat wird so zur Räuberbande. Wohlstand für alle, wie ihn sich Ludwig Erhard vorstellte, wird so unmöglich.

Dies ist auch der Kern der Parteienstaatskritik, welche in den vergangenen zehn Jahren von Richard von Weizsäcker, Erwin Scheuch, Karl Albrecht Schachtschneider und Hans Herbert von Arnim eindringlich vorgetragen worden ist. Nimmt man den Kern dieser Kritik ernst, dann wird auch deutlich, weshalb Deutschland seit der Wiedervereinigung im Reformstau steckt. Der Staat erfüllt seine Aufgabe nicht, mit Hilfe seiner legitimen Zwangsgewalt nachhaltige Reformen im Sinne von allgemeinen und abstrakten Regeln durchzusetzen. Man verweigert sich der Einsicht, daß nachhaltige Reformen, die zeitgebundene Interessen und individuelle Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen berücksichtigen und damit das genaue Gegenteil von allgemeinen und abstrakten Regeln darstellen, unmöglich sind. Diese Verweigerungshaltung wird dadurch zementiert, daß sich Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände den Staat zur Beute gemacht haben.

Sowohl Mancur Olson als auch Friedrich August von Hayek und andere haben gezeigt, daß die Geschichte des Wirtschaftswachstums identisch ist mit der Geschichte der Entwicklung des Rechts. Deshalb hat die folgende Einsicht von Immanuel Kant auch einen ökonomischen und wachstumstheoretischen Sinn, den Torsten Niechoj in künftigen Arbeiten über die Effizienz und Effektivität von kollektiven Akteuren berücksichtigen sollte: "Das Heil des Staats" liegt in einem "Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprinzipien (. . .), als nach welchem zu streben uns die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich macht."

NORBERT TOFALL

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Norbert Tofall ist mit dem meisten, was Torsten Niechoj in seinem Buch über die Effizienz und Effektivität kollektiver Akteure äußert, nicht einverstanden, und er nimmt sich viel Raum, seine Kritik darzulegen. So begrüßenswert er ein Buch zu diesem Thema findet, so enttäuscht ist er über die "Kardinalfehler", die der Autor seiner Ansicht nach in seiner Argumentation eingebaut hat. So kritisiert der Rezensent nachdrücklich, dass Niechoj in seiner Studie nicht zwischen dem kollektiven Akteur Staat und anderen Interessensverbindungen unterscheidet und trennt. Dass der Autor beispielsweise die verständlichen Auslassungen über den Staat von Adam Smith in dessen "System der natürlichen Freiheit schlicht unterschlägt", sieht er dieser mangelnden Trennung geschuldet, aber nicht entschuldigt. Des weiteren wirft der Rezensent Niechoj vor, in seiner "gewagten und letztlich nicht haltbaren Interpretation" von Texte von Mancur Olson und Friedrich August von Hayek unter den Tisch fallen zu lassen, dass kollektive Akteure auch auf "Raubgewinne" spekulieren können. Sowohl Olson als auch Hayek hätten in ihren Schriften deutlich gemacht, dass Wirtschaftswachstum eng mit der "Geschichte der Entwicklung des Rechts" zusammenhängen. Hier hätte der Autor "in die Breite lesen" müssen, um diese Erkenntnis in seinen Ausführungen angemessen berücksichtigen zu können, so Tofall sehr unzufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH
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