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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.07.2011

Befreiung der Worte
Eine kritische Ausgabe erschließt Klopstocks Oden
Als der Goethepreis der Stadt Frankfurt erstmals vergeben werden sollte, kursierte in der Findungskommission bald auch der Name Stefan Georges. Das passte dem Vertreter der Preußischen Akademie der Künste gar nicht, und so erklärte er: „Ich halte Stefan George für eine Persönlichkeit wie Klopstock“ – der Hieb saß, und George erholte sich in den Diskussionen nur dadurch, dass der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker ihn im Gegenzug zu einer „Goetheschen Persönlichkeit“ erklärte und damit doch zum ersten Goethepreisträger machte. Tatsächlich aber verbindet George sehr viel mit Klopstock: Beiden Autoren begegneten die Zeitgenossen entweder mit unbedingter Verehrung oder mit ebenso vehementer Abneigung; beide sammelten eine Gemeinde um sich, in der die Poesie eine kultisch-sakrale Funktion übernahm; beide widmeten sich mit einer nie zuvor dagewesenen Ernsthaftigkeit den scheinbaren Äußerlichkeiten: dem Papier, dem Layout oder der Typographie ihrer Werke; und beide waren Meister darin, Missverständliches, Schwerverständliches oder gar Unverständliches dem Publikum so darzubieten, dass die Leser den Fehler bei sich selbst vermuteten und sich daher mit umso größerer Leidenschaft in die Werke versenkten.
Aber weder George noch Klopstock konnten verhindern, dass die Leser ihre eigenen Vorlieben entwickelten: Bei Klopstock rückte das Lebenswerk des „Messias“-Epos, an dem er ein halbes Jahrhundert gearbeitet hat, in den Schatten jener Texte, die nun nach über 120 Jahren erstmals wieder vollständig und historisch-kritisch ediert wurden: der Oden. Gegen sie setzten sich auch die „geistlichen Lieder“ nicht durch, die gleichzeitig in der ersten wissenschaftlichen Edition überhaupt erschienen sind.
Die hymnische Rezension von Klopstocks Oden im Sturm-und-Drang-Jahrgang der Frankfurter Gelehrten Anzeigen schloss am 28. Januar 1772 mit den prophetischen Worten: „wir überlassen es unsern Lesern zur Überlegung, ob nicht eine Zeit bei der Nachwelt möglich ist, daß das Rad der Dinge da stehenbleibt, wo es heißt: Klopstock, der größte lyrische Dichter der Neuern, schrieb auch den Messias“. Für Klopstock war es nicht ungewöhnlich, dass er in weite historische Horizonte gestellt wurde. Er selbst bewegte sich am liebsten in Dimensionen der Ewigkeit und schrieb unter Bedingungen des eigenen Todes. „Wenn einst ich todt bin“, beginnt die berühmte „Fanny“-Ode und spannt die Aufmerksamkeit der Leser über sechs Strophen bis zu einer vorläufigen Antwort, die den ersten Satz nach 25 Versen schließt. Sprachlich forderte Klopstock mit solchen Coups das Vertrauen der Leser heraus und vermittelte ihnen in der Sprachbewegung jene Heils- und Erfüllungsgewissheit, die den Inhalt seiner Texte prägte. Zuvor hatte niemand auch nur geahnt, dass so etwas literarisch funktionieren würde. Klopstock experimentierte mit den Bedeutungen, mit der Syntax und vor allem mit der Metrik. Er erprobte die antiken Rhythmen unter den Bedingungen der deutschen Sprache; er entwarf eigene Versmaße und versuchte sich in freien Versen. Er verachtete die Monotonie des Reims, von Jamben oder Trochäen. Schnelligkeit, Mannigfaltigkeit und Abwechslung waren seine Maximen.
Klopstock nutzte die Sprache in ihrer ganzen Beweglichkeit aus, setzte die Energie der Wörter frei, um die Leser und Hörer mit jeder Faser ihres Leibs und jedem Funken ihres Geistes zu berühren. Auch thematisch gab es für ihn keine Grenzen: antike Szenen stehen neben solchen aus der germanischen Vorzeit; es geht um Liebe, Freundschaft und andere irdische Freuden ebenso wie um die gespannte Erwartung des Jenseits; mit gleicher Ernsthaftigkeit verhandeln die Sport-Oden das Eislaufen, die poetologischen und sprachtheoretischen Oden die Einzigartigkeit der deutschen Poesie und die politischen Oden die Ereignisse der französischen Revolution, die Klopstock begrüßte.
Über die Folgen von Klopstocks Befreiung der Worte bemerkte Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ lapidar: „es war keiner, auch der Besten, der nicht augenblicklich irre geworden wäre“. Goethe war es aber auch, der in den „Leiden des jungen Werthers“ am eindringlichsten die zauberische Macht beschrieben hat, die von Klopstocks Oden ausging. Es handelt sich um jene berühmte Szene, in der Werther und Lotte sich das erste Mal begegnen. Sie gehen gemeinsam auf eine Party. Man tanzt, man trinkt, man spielt miteinander – Werther verliert gern, weil Lotte ihm so herrlich kräftige Ohrfeigen gibt. Die Spannung steigt, und falls es der Leser nicht bemerkt haben sollte, signalisiert ein Gewitter, dass hier aufgestaute Erregungen auf ihre Entladung drängen. Endlich finden Werther und Lotte am Fenster zueinander, das Unwetter ist vorübergezogen: „Sie stand, auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock!“
Werther versinkt in einem „Strome von Empfindungen“, er küsst Lotte die Hände und beweint sie ausführlich, sieht ins Auge der Geliebten und denkt nun seinerseits an den Dichter der „Frühlingsfeier“, jener berühmten Gewitter-Ode, die auch Lotte im Sinn gehabt hatte: „Edler! hättest du deine Vergötterung in diesem Blikke gesehn, und möchte ich nun deinen so oft entweihten Nahmen nie wieder nennen hören!“ Nicht nur also flirtet Werther mit einer verlobten jungen Frau, er hat vor allem auch kein schlechtes Gewissen dabei, weil er die Welt im Medium der Poesie wahrnimmt.
Während das Gewitter traditionell das wunde Schuldbewusstsein des guten Lutheraners reizt und an die göttliche Providenz erinnert, wird hier der Blick vom Himmel schnell auf irdische Reize umgelenkt. Zugleich tritt an die Stelle des himmlischen ein menschlicher Schöpfer, dessen Verszeilen den jungen Leuten mehr bedeuten, als es der Welt von Vätern und Müttern recht sein konnte. Die Werke Klopstocks, dieses „vergötterten Edlen“, müssen gar nicht mehr benannt und zitiert werden. Sie sind ganz in den Empfindungen von zwei Menschen aufgegangen, die sich wortlos verstehen.
Bis freilich Klopstocks Oden so eingängig wurden, dass sie sich in Empfindungswerte verwandelten, hatte der Autor harte Arbeit zu leisten: Ebenso wie er den „Messias“ ständig überarbeitete, auf die Ausgabe der letzten Hand noch eine des „letzten Fingers“ folgen ließ, so veränderte Klopstock auch seine Oden. In der ersten Fassung der „Fanny“-Ode wird noch der „Olympus“ als Ziel anvisiert; die spätere Fassung setzt an die Stelle dieser räumlichen Koordinate eine zeitliche: die „Zukunft“. Zeit wird bei Klopstock zum Produktivfaktor. Die einzig angemessene Darstellungsform seines Werks ist daher eine mit größter Kennerschaft und editorischer Sorgfalt erstellte historisch-kritische Ausgabe.
Eben dies haben Horst Gronemeyer und Klaus Hurlebusch geleistet. Sie arbeiten seit nunmehr fast 40 Jahren an der Hamburger Klopstock-Ausgabe. Niemand kennt sich so gut bei dem Dichter aus wie diese beiden Philologen. Sie konnten Klopstock eine größere Anzahl von Texten zuweisen als die alte historisch-kritische Ausgabe aus dem Jahr 1889, sie drucken mehr Parallelfassungen ab und verfolgen das Prinzip der chronologischen Reihung sowie der Edition der autorisierten Fassung mit größter Konsequenz. Aber wie in den Oden steigt dadurch nur die Spannung auf den Kommentar-Band, der erst in vollem Maß die poetische Produktivität Klopstocks und deren Eigenart erweisen wird. Um es mit Klopstocks „Fanny“-Ode zu sagen: „Dann wird ein Tag seyn, den werd ich auferstehn! / Dann wird ein Tag seyn, den wirst du auferstehn! / Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen, / Die du einander, Natur, bestimtest.“
STEFFEN MARTUS
FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Abteilung Werke: Band I,1: Oden (Text). Hrsg. von Horst Gronemeyer u. Klaus Hurlebusch; Band III,1: Geistliche Lieder (Text). Hrsg. von Laura Bolognesi. Walter de Gruyter. Berlin / New York 2010. 651 u. 286 S., 219 Euro u. 125,95 Euro.
„Dann trennt kein Schicksal
mehr die Seelen, /
Die du einander, Natur, bestimtest.“
Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724- 1803), porträtiert von Jens Juel Abb.: epd
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