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Als Cassius Clay, alias Muhammad Ali, in den fünfziger Jahren aus Louisville auftauchte, sprengte er alle Maßstäbe. Er veränderte die Welt des Sports, rebellierte von Anfang an gegen alles, was ihn und seine schwarzen Mitmenschen unterdrückte und ließ sich in keine Stereotypen zwingen. Er war ein alles überragender Athlet und Unterhalter, ein Fred Astair der Schwergewichtsklasse, ein Rapper, bevor Rap erfunden wurde. Er war der Spiegel seiner Zeit, eine treibende Figur während der Zeit der Rassenunruhen und stürzte sich innerhalb und außerhalb des Boxrings in zahlreiche Kämpfe. In Remnicks…mehr

Produktbeschreibung
Als Cassius Clay, alias Muhammad Ali, in den fünfziger Jahren aus Louisville auftauchte, sprengte er alle Maßstäbe. Er veränderte die Welt des Sports, rebellierte von Anfang an gegen alles, was ihn und seine schwarzen Mitmenschen unterdrückte und ließ sich in keine Stereotypen zwingen. Er war ein alles überragender Athlet und Unterhalter, ein Fred Astair der Schwergewichtsklasse, ein Rapper, bevor Rap erfunden wurde. Er war der Spiegel seiner Zeit, eine treibende Figur während der Zeit der Rassenunruhen und stürzte sich innerhalb und außerhalb des Boxrings in zahlreiche Kämpfe.
In Remnicks detailreichem, spannendem Porträt tauchen viele Persönlichkeiten der Sechziger auf sowie auch die Ereignisse jener Jahre - die Bürgerrechtsbewegung, die politischen Attentate, der Vietnamkrieg.
Ein Buch, das sich seinem Helden würdig erweisen will.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Keine fest gefügten Vorurteile in der Nähe des Rings
David Remnicks Stil kann nicht mehr eleganter werden: Nur das "Rope-a-dope" überlässt er Cassius Clay / Von Jürgen Kaube

Zwei Anlässe ließen Eltern einst ihre Kinder nachts aus den Betten vor den Fernseher holen: die Mondlandung und die Kämpfe Muhammad Alis. Ali reicht insofern als erster Boxer von weltweiter, generationen- und interessenübergreifender Bekanntheit in seiner Bedeutung über den Boxsport hinaus. Er wurde als Großmaul bekannt, das von sich selbst sagte, er sei der Größte, und dennoch gewann. Als erster bewies er, was danach offenkundig schien: dass man im Ring nicht nur auf den Gegner zu- oder von ihm weg-, sondern auch um ihn herumlaufen kann. Nachdem Sonny Liston das nicht schnell genug begriff und das Großmaul Weltmeister war, änderte - ungewöhnlich für einen Angeber - Cassius Marcellus Clay den Namen, um seine Zugehörigkeit zum afroamerikanischen Islam zu demonstrieren. Er er sich zum schwarzen Separatismus. Aus Widerstand gegen den Vietnamkrieg - "Ich hab keinen Streit mit dem Vietcong" - verzichtete er auf den Titel im Schwergewicht, ging 1967 ins Gefängnis, kam im Oktober 1970 wieder heraus und gewann als einziger Kämpfer den Weltmeistertitel zweimal zurück.

Dieser Boxer, der also mehr als ein Boxer war, stellt ein doppeltes Risiko für Sportessayisten dar. Ali zu beschreiben ist ein eigenes Genre. Entweder ist ein Buch überflüssig, weil schon jeder Aspekt seiner Karriere ausgeleuchtet wurde. Oder der Autor erliegt der Verführung, aus Figur und Stil Alis die Lizenz zu sozialphilosophischem Tiefsinn zu entnehmen, schreibt, um überhaupt etwas Neues zu sagen, in sein Boxen eine ganze Welt hinein. Da boxt dann leicht das Leben oder die Gesellschaft selbst, und der Essayist genießt, anstatt beim Sport zu bleiben, seine Fähigkeit, im denkbar Einfachen - zwei Männer versuchen, einander ins Gesicht zu schlagen - tausend Analogien zu Religion und Kunst und Postfordismus zu entdecken.

Das großartige Buch von David Remnick über Cassius Clay, der Muhammad Ali wurde, vermeidet beides. Es ist nüchtern, enthält sich geschwollener Sinndeutung, ohne doch auf Thesen zu verzichten; und es ist nicht überflüssig, weil es sich ganz auf das entschwundene Boxmilieu der frühen sechziger Jahre konzentriert, in dem Alis Art, Kämpfe zu führen, einen Unterschied machte. Remnick erzählt, wie es war, als wir Ali noch nicht kannten, weil er erst dabei war, sich zu erfinden.

In jenen Jahren gab es zwei Seiten des Boxsports. Remnick sieht sie in Floyd Patterson und Sonny Liston verkörpert. Beide boten ein Karrieremodell für Angehörige der schwarzen Unterschicht. Patterson war der zurückhaltende, von Selbstzweifeln belastete Boxer, der den Kampf als prekäre Chance empfand, sich in einer von Weißen beherrschten Kultur zu bewähren. Er boxte ohne Wut, traute seinen Siegen nicht und vergrub sich in jenen Ängsten, die zu haben jeder Boxer allen Grund besitzt. Ein Reporter nannte ihn Freud Patterson.

Liston stand für die Seite des Boxens, die an die Unterwelt grenzt. Den Sport lernte er im Gefängnis, wo er wegen Raubüberfällen einsaß. Der Kraftboxer Liston kam unter die Aufsicht des Mörders John "Frank" Carbo, der am Wettgeschäft verdiente, Kämpfe und ihren Ausgang arrangierte, den Journalisten Umschläge auf ihre Plätze legen ließ, widersätzliche Boxer oder Trainer drangsalierte. Liston drosch Patterson zweimal in zwei Minuten k. o. "Endlich", schrieb ein Kolumnist, "haben wir einen Champion, der das moralische Niveau der Männer besitzt, die über ihn verfügen." Cassius Clay hebt diese Unterscheidung zwischen dem braven und dem bösen Schwarzen auf. Brav ist er nicht. Er reist zum Trainingslager Listons, als dieser sich auf Patterson vorbereitet, und pöbelt ihn vor der einbestellten Presse an. Er teilt lyrische Tiefstschläge aus - "this guy must be done, I'll stop him in one". Beim Wiegen markiert er hysterische Anfälle. Aber böse ist er auch nicht. Er kommt nicht aus den Unterschichten, was in den Südstaaten hieß: Er hatte in seiner Kindheit regelmäßig zu essen. Er saß nicht vor seiner Boxkarriere wegen eines Verbrechens im Gefängnis, sondern nach der Weltmeisterschaft aus Protest. Und er war der erste Weltmeister ganz außerhalb des mafiosen Umkreises. Nicht untypisch, dass er zum Boxen durch einen Polizisten fand, bei dem er einen Fahrraddiebstahl anzeigte.

Clay war vielleicht der erste große Boxer, dessen Physiognomie nicht vom Leiden bestimmt war. Er war lebhaft, aufgekratzt. Nicht brav, nicht böse, aber verrückt, schlossen die Reporter. Remnick zeigt, dass genau dies beabsichtigt war. Auch die Gegner sollten glauben, sie hätten es mit einem Irren zu tun. Der als brutal geschmähte Liston suchte durch Boxen Respekt, und darum verweigerte Clay ihm den. Sein Geschwätz war Spaß und Strategie. Dass viele wollten, dem vorlauten Neger möge das Maul gestopft werden, wurde als Stimmungsfaktor des Kampfes genutzt; die Gegner wurden mittels einer Theatralisierung des Sports überfordert.

Das Überraschende dieser Strategie lag nicht nur in ihrer Frechheit. Joyce Carol Oates hält in ihrem unübertroffenen Essay "On Boxing" fest, man "spiele" nicht Boxen. Clay führte Spielelemente ein, weil er vor allem eins sein wollte: nicht auszurechnen. Er demonstrierte, wie wenig professionell die Lebensweise seiner Vorgänger war, indem sie im Boxen das Schicksal suchten, ihr Leben zu sehr mit dem Kampf verquickten, anstatt es ganz auf ihn auszurichten. Exakt schildert Remnick die organisatorischen Aspekte: das Syndikat, das Clays Kämpfe vorfinanzierte, die verschiedenen Arten, ein Trainingslager zu beziehen, zu trainieren, Pressekonferenzen zu halten.

Über die Genauigkeit der Beschreibungen von Milieu und Kämpfen hinaus sind es zwei Punkte, die an diesem Buch bestechen. Es zeigt, dass Boxer mehr als alle anderen Sportler eines Stützkontextes bedürfen, in dem sie Antworten auf die Frage finden, was sie da tun. Muhammad Ali fand ihn in der rebellischen Variante des schwarzen Protests, den Gnostizismen der "Nation of Islam", die ihm als eine Religion der Stärke plausibel war, in der zeitweiligen Freundschaft mit Malcolm X. Zum anderen weiß Remnick, einst Sportreporter der "Washington Post", dass die Geschichte des Boxens auch die Geschichte seiner Beschreibung ist. Es sind die ganz rhetorischen und die ganz unrhetorischen Sportarten, welche die engste Verbindung mit dem Journalismus eingehen - Baseball und Cricket auf der einen, Boxen und Radfahren auf der anderen Seite. Ali war der erste Boxer, der das nutzte. Weil Remnick den Sportjournalismus genau so aufmerksam studiert hat wie das Boxen, gelingt ihm eine vollkommen durchtrainierte, raffinierte, treffsichere Darstellung. Wäre es 1969 und dies die Boxkolumne des "New York Journal-American", könnte man sagen: eine Mondlandung der Sportpublizistik.

David Remnick: "King of the World". Der Aufstieg des Cassius Clay oder Die Geburt des Muhammad Ali. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Berlin Verlag, Berlin 2000. 494 S., 18 Abb., geb., 44,- DM.

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