
Ostberlin im Sommer 1989: Mirco Watzke steckt in der Klemme. Der sonst so vorbildliche Schüler der Klasse 7a hat Ärger mit den blöden FDJlern, und der Einzige, der ihm dabei helfen kann, ist ausgerechnet dieser unheimliche Neue aus der Parallelklasse...
Mawil zählt zu den erfolgreichsten Akteuren der deutschen Comicszene. Für seine DDR-Coming-of-Age-Erzählung KINDERLAND erhielt er 2015 den Max und Moritz-Preis für den 'Besten deutsch- sprachigen Comic'. 2021 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem renommierten Wilhelm-Busch-Preis geehrt.
Produktdetails
- Verlag: Reprodukt
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 291
- Erscheinungstermin: 6. Mai 2014
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 164mm x 40mm
- Gewicht: 808g
- ISBN-13: 9783943143904
- ISBN-10: 3943143902
- Artikelnr.: 40139005
Herstellerkennzeichnung
Reprodukt
Gottschedstraße 4 /Aufg.1
13357 Berlin
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die meisten DDR-Comics sind belehrend, bemüht aufklärerisch, anklagend, findet Christian Gasser, nicht so aber Mawils "Kinderland", freut sich der Rezensent, denn die Geschichte um den kleinen, bebrillten Streber Mirco Watzke ist eine großartige Coming-of-Age Geschichte, die beinahe zeitlos wäre, gäbe es nicht allerorten Hinweise auf das nahende Ende der DDR. Die fallen Mirco und seinen Freunden aber kaum auf, zu sehr sind sie mit Tischtennis und Jugendsorgen beschäftigt, verrät der Rezensent. Ganz beiläufig entwirft Mawil den charakteristischen Hintergrund der DDR in Klassenzimmer, Kirche und FDJ, und verknüpft subtil die kleinen Umbrüche in Mircos Leben mit den großen in der Gesellschaft, lobt Gasser, der sich nicht zuletzt an der "bonbonbunten Überschwänglichkeit" dieses Comics berauscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Sieben dunkle Jahre überstanden
Der Zeichner Mawil tritt mit seinem Comicroman "Kinderland" zurück ins Rampenlicht. Heute Abend könnte er den Lohn für dieses Großwerk einstreichen.
Heute Abend werden auf dem Comicsalon von Erlangen die Max-und-Moritz-Preise vergeben, Deutschlands wichtigste Auszeichnungen für Comics. Unter den Favoriten befindet sich mit "Kiesgrubennacht" die autobiographische Kindheitsgeschichte von Volker Reiche, den Lesern dieser Zeitung durch "Snirks Café" und "Strizz" wohlbekannt. Aber auch ein zweiter hochgehandelter Comic unter den Finalisten erzählt eine Jugendgeschichte: "Kinderland" von Mawil.
Bürgerlich heißt der 1976 geborene Berliner Zeichner Markus Witzel. Als er 2002 einen
Der Zeichner Mawil tritt mit seinem Comicroman "Kinderland" zurück ins Rampenlicht. Heute Abend könnte er den Lohn für dieses Großwerk einstreichen.
Heute Abend werden auf dem Comicsalon von Erlangen die Max-und-Moritz-Preise vergeben, Deutschlands wichtigste Auszeichnungen für Comics. Unter den Favoriten befindet sich mit "Kiesgrubennacht" die autobiographische Kindheitsgeschichte von Volker Reiche, den Lesern dieser Zeitung durch "Snirks Café" und "Strizz" wohlbekannt. Aber auch ein zweiter hochgehandelter Comic unter den Finalisten erzählt eine Jugendgeschichte: "Kinderland" von Mawil.
Bürgerlich heißt der 1976 geborene Berliner Zeichner Markus Witzel. Als er 2002 einen
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Comic als Diplomarbeit im Fach Kommunikationsdesign anfertigte, war das immer noch ungewöhnlich. Dass diese autobiographische Bildergeschichte namens "Wir können ja Freunde bleiben" dann publiziert und zu einem der berühmtesten Werke einer jungen deutschen Comiczeichnergeneration wurde, war noch überraschender. Denn anders als in Frankreich hatte sich damals das autobiographische Erzählen in Bildern bei uns noch nicht durchgesetzt. Was Mawils Erinnerungen an seine ersten Liebeserfahrungen aber so eindrucksvoll machte, war deren Ehrlichkeit und das Talent der Zeichners für formale Innovationen, ohne dass diese aufdringlich gewirkt hätten. Da schien ein Stern aufzugehen.
Dann verglühte er. Nicht, weil Mawil nichts mehr publiziert hätte, sondern weil er das zu schnell tat und sich selbst unbedingt als wilder Künstler beweisen wollte, der für eine sich betont jugendlich gerierende Szene zeichnete, die in den Berliner Vorlesebühnen und Clubs zu Hause war. Das große, aber nicht hippe Publikum, das Mawil mit "Wir können ja Freunde bleiben" für sich gewonnen hatte, konnte er mit jungforschen Comics wie "Die Band", "Das große Super-Hasi-Album" oder "Action Sorgenkind" nicht begeistern, und irgendwann war gar nichts mehr zu lesen von diesem Talent, satte sieben Jahre lang. Bis jetzt "Kinderland" erschienen ist.
Und was ist das für ein Comeback! Dreihundert Seiten stark, sehr witzig und endlich auch wieder experimentierfreudig in dem Sinne, dass die Form zwingende Lösungen für inhaltliche Fragen schafft. Wenn man sich in "Kinderland" ansieht, wie Mawil die für die Handlung zentralen Tischtennispartien auf dem Schulhof inszeniert, kann man noch einmal das Staunen lernen. Was da an physiognomischen Verzerrungen vorgeführt wird, um die Dynamik des Spiels zu veranschaulichen, ist unglaublich und zugleich zutiefst überzeugend. Ein Comic gelingt dann, wenn man über dessen prinzipielle Künstlichkeit keinen Gedanken verliert, weil das, was er zeigt, authentischer Ausdruck des Erzählten ist.
Dem Erzähler Mawil glaubt man jedes Wort und jedes Bild seiner fiktiven, gleichwohl erkennbar durch eigene Erlebnisse geprägten Geschichte. Mit deren Protagonisten, dem Siebtklässler Mirco Watzke, hat Mawil nicht nur Geburtsjahr und Anfangsbuchstaben des bürgerlichen Namens gemein, sondern auch den Lebensmittelpunkt der Kindheit: Ost-Berlin. Die Handlung spielt nach den Sommerferien 1989. Die DDR ist im Umbruch, aber noch ahnt es keiner. An der EOS, auf die Mirco geht, haben Pioniere und FDJ das Schulleben im eher müden Griff, ein junger Punk wie der frisch hierher versetzte Torsten Maslowski darf aber unverändert auf wenig Sympathie bei Lehrern und Mitschülern setzen. Ausgerechnet der als Streber verspottete Mirco freundet sich mit Torsten an.
Klassischer Schulromanstoff also, doch was Mawil daraus macht, ist alles andere als vertraut. Das Lebensgefühl einer DDR-Kindheit jenseits von plakativer Dissidenz oder Willfährigkeit wird in diesem Buch leichthändig heraufbeschworen, weil es um Kinder geht, die auf der Schwelle zum Erwachsenenalter stehen: Spiegelbilder ihrer Gesellschaft. Am Schluss schilt ein Erwachsener Mirco aus: "Ihr seid doch keine Kinder mehr!" Aber genau das sind sie noch, wie die dreihundert Seiten zuvor gezeigt haben. Deshalb ist der nostalgisch anmutende Titel "Kinderland" auch ein bitterer Kommentar zur Situation der DDR an ihrem Ende. Niemand war dort reif für das, was kam. Das ist der pessimistische allegorische Gehalt dieses Comics.
Er ist aber auch eine Hommage an jugendliche Unschuld. Dass Mawil sich dafür in Farben wie Formen von dem Franzosen Baru hat anregen lassen, ist nur konsequent, denn einen großartigeren Chronisten von Kindheits- und Jugendjahren kennt der Comic nicht. Es gehört Größe dazu, von den Größten zu lernen. Vor allem Barus vierbändige "Sputnik-Jahre" klingen in "Kinderland" bei Sujet und Stil an, auch wenn zeitlich drei Jahrzehnte zwischen den beiden Geschichten aus Lothringen und Ost-Berlin liegen - ebender Altersunterschied zwischen den Zeichnern, die sich da erinnern.
Mawil findet aber auch eine ganz eigene Rhythmik des Erzählens, wenn er auf dialogreiche Passagen stumme Seiten folgen lässt, die allein der Stimmungsvermittlung dienen: im katholischen Gottesdienst, am FKK-Strand, an der Tischtennisplatte oder schließlich nach dem Mauerfall im Trubel West-Berlins. Kontraste werden bewusst eingesetzt, so mittels eingescannter Details wie Plattencover, Zeitungstitelseiten oder Honecker-Porträts im Klassenzimmer. Mawil führt immer wieder neu vor, wie man eigentlich Unvereinbares doch schlüssig zusammenbringen kann. Das ist der hoffnungsfrohe allegorische Gehalt dieses Comics.
Vor allem aber ist "Kinderland" das Werk eines Autors, der wieder Zutrauen zu sich selbst und wie im Überschwang gezeichnet hat. Es ist ein Comic, wie er in Deutschland nur alle Jubeljahre erscheint. Einer, der auf der Höhe dessen steht, was diese Erzählform zu leisten vermag.
ANDREAS PLATTHAUS
Mawil: "Kinderland".
Reprodukt Verlag, Berlin 2014. 296 S., br., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dann verglühte er. Nicht, weil Mawil nichts mehr publiziert hätte, sondern weil er das zu schnell tat und sich selbst unbedingt als wilder Künstler beweisen wollte, der für eine sich betont jugendlich gerierende Szene zeichnete, die in den Berliner Vorlesebühnen und Clubs zu Hause war. Das große, aber nicht hippe Publikum, das Mawil mit "Wir können ja Freunde bleiben" für sich gewonnen hatte, konnte er mit jungforschen Comics wie "Die Band", "Das große Super-Hasi-Album" oder "Action Sorgenkind" nicht begeistern, und irgendwann war gar nichts mehr zu lesen von diesem Talent, satte sieben Jahre lang. Bis jetzt "Kinderland" erschienen ist.
Und was ist das für ein Comeback! Dreihundert Seiten stark, sehr witzig und endlich auch wieder experimentierfreudig in dem Sinne, dass die Form zwingende Lösungen für inhaltliche Fragen schafft. Wenn man sich in "Kinderland" ansieht, wie Mawil die für die Handlung zentralen Tischtennispartien auf dem Schulhof inszeniert, kann man noch einmal das Staunen lernen. Was da an physiognomischen Verzerrungen vorgeführt wird, um die Dynamik des Spiels zu veranschaulichen, ist unglaublich und zugleich zutiefst überzeugend. Ein Comic gelingt dann, wenn man über dessen prinzipielle Künstlichkeit keinen Gedanken verliert, weil das, was er zeigt, authentischer Ausdruck des Erzählten ist.
Dem Erzähler Mawil glaubt man jedes Wort und jedes Bild seiner fiktiven, gleichwohl erkennbar durch eigene Erlebnisse geprägten Geschichte. Mit deren Protagonisten, dem Siebtklässler Mirco Watzke, hat Mawil nicht nur Geburtsjahr und Anfangsbuchstaben des bürgerlichen Namens gemein, sondern auch den Lebensmittelpunkt der Kindheit: Ost-Berlin. Die Handlung spielt nach den Sommerferien 1989. Die DDR ist im Umbruch, aber noch ahnt es keiner. An der EOS, auf die Mirco geht, haben Pioniere und FDJ das Schulleben im eher müden Griff, ein junger Punk wie der frisch hierher versetzte Torsten Maslowski darf aber unverändert auf wenig Sympathie bei Lehrern und Mitschülern setzen. Ausgerechnet der als Streber verspottete Mirco freundet sich mit Torsten an.
Klassischer Schulromanstoff also, doch was Mawil daraus macht, ist alles andere als vertraut. Das Lebensgefühl einer DDR-Kindheit jenseits von plakativer Dissidenz oder Willfährigkeit wird in diesem Buch leichthändig heraufbeschworen, weil es um Kinder geht, die auf der Schwelle zum Erwachsenenalter stehen: Spiegelbilder ihrer Gesellschaft. Am Schluss schilt ein Erwachsener Mirco aus: "Ihr seid doch keine Kinder mehr!" Aber genau das sind sie noch, wie die dreihundert Seiten zuvor gezeigt haben. Deshalb ist der nostalgisch anmutende Titel "Kinderland" auch ein bitterer Kommentar zur Situation der DDR an ihrem Ende. Niemand war dort reif für das, was kam. Das ist der pessimistische allegorische Gehalt dieses Comics.
Er ist aber auch eine Hommage an jugendliche Unschuld. Dass Mawil sich dafür in Farben wie Formen von dem Franzosen Baru hat anregen lassen, ist nur konsequent, denn einen großartigeren Chronisten von Kindheits- und Jugendjahren kennt der Comic nicht. Es gehört Größe dazu, von den Größten zu lernen. Vor allem Barus vierbändige "Sputnik-Jahre" klingen in "Kinderland" bei Sujet und Stil an, auch wenn zeitlich drei Jahrzehnte zwischen den beiden Geschichten aus Lothringen und Ost-Berlin liegen - ebender Altersunterschied zwischen den Zeichnern, die sich da erinnern.
Mawil findet aber auch eine ganz eigene Rhythmik des Erzählens, wenn er auf dialogreiche Passagen stumme Seiten folgen lässt, die allein der Stimmungsvermittlung dienen: im katholischen Gottesdienst, am FKK-Strand, an der Tischtennisplatte oder schließlich nach dem Mauerfall im Trubel West-Berlins. Kontraste werden bewusst eingesetzt, so mittels eingescannter Details wie Plattencover, Zeitungstitelseiten oder Honecker-Porträts im Klassenzimmer. Mawil führt immer wieder neu vor, wie man eigentlich Unvereinbares doch schlüssig zusammenbringen kann. Das ist der hoffnungsfrohe allegorische Gehalt dieses Comics.
Vor allem aber ist "Kinderland" das Werk eines Autors, der wieder Zutrauen zu sich selbst und wie im Überschwang gezeichnet hat. Es ist ein Comic, wie er in Deutschland nur alle Jubeljahre erscheint. Einer, der auf der Höhe dessen steht, was diese Erzählform zu leisten vermag.
ANDREAS PLATTHAUS
Mawil: "Kinderland".
Reprodukt Verlag, Berlin 2014. 296 S., br., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Eine Kindheit in Ostdeutschland im Sommer 1989. Mirco ist in der siebten Klasse, ein vorbildlicher Schüler und sicher nicht der Beliebteste. Heimlich geht er in die Kirche- von Mutter angeleitet- zum Klavierunterricht und macht hübsch seine Hausaufgaben. Ziemlichen Trubel in sein Leben …
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Eine Kindheit in Ostdeutschland im Sommer 1989. Mirco ist in der siebten Klasse, ein vorbildlicher Schüler und sicher nicht der Beliebteste. Heimlich geht er in die Kirche- von Mutter angeleitet- zum Klavierunterricht und macht hübsch seine Hausaufgaben. Ziemlichen Trubel in sein Leben bringt der Neue aus der Parallelklasse, der sich wenig um geltende Regeln schert und mit Mirco letztlich das Tischtennis an der Schule ganz groß rausbringen wird.
Welch herrliche Charaktere sind hier vereint: der vielschichtige Streber, die coolen Angeber, echte Freunde, Lehrer mit Ecken und Kanten und tolle Mädels. Hier sind sie alle verdichtet und immer mit einem Augenzwinkern vereint, gerade da, wo sie eben nicht perfekt sind.
Wunderbar kommen sie durch mawils frechen Stil raus, die Blicke sagen unglaublich viel, haben („BLAM!“ und „HUUP“) große Comicdynamik und die Farben sind so gedeckt gehalten, wie ich es mir von der DDR vorstelle. So wird alles zu einer echt stimmigen Leseerfahrung.
Eine Jugend ganz kurz vor dem Mauerfall ist mir hier sehr plastisch geworden- das Alltägliche, das für uns jetzt das Besondere ist. Wunderbare Unterhaltung!
potzblog.de
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