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Katja wächst als Tochter russisch-britischer Emigranten in Tientsin in China auf. Es sind die 1940er Jahre und später, die Spuren von Krieg und Gewalt überall spürbar. Als junges Mädchen wird sie die Entscheidung treffen, fortan in der Sowjetunion zu leben, und reist mit dem Zug nach Taschkent. Während draußen Schnee und Landschaft vorbeiziehen, wallen in ihr die Erinnerungen an das privilegierte Leben in der ausländischen Konzession auf, an die Wunder und Wunderlichkeiten, die Drachen, Stoffe, Texturen, an das oft rätselhafte Verhalten der Erwachsenen, deren Leben von der Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Katja wächst als Tochter russisch-britischer Emigranten in Tientsin in China auf. Es sind die 1940er Jahre und später, die Spuren von Krieg und Gewalt überall spürbar. Als junges Mädchen wird sie die Entscheidung treffen, fortan in der Sowjetunion zu leben, und reist mit dem Zug nach Taschkent. Während draußen Schnee und Landschaft vorbeiziehen, wallen in ihr die Erinnerungen an das privilegierte Leben in der ausländischen Konzession auf, an die Wunder und Wunderlichkeiten, die Drachen, Stoffe, Texturen, an das oft rätselhafte Verhalten der Erwachsenen, deren Leben von der Geschichte durchgewirbelt wurde.

Und dann ist da noch der Erzähler, der die sanften, auch absonderlichen Bilder jener russischen Kindheit in China immer wieder mit der eigenen im trüben sowjetischen Plattenbau verschaltet, als die Moskauer »Patriarchenteiche« gerade zu »Pionierteichen« geworden waren.

In seinem letzten Roman erforscht Dmitri Prigow den fremden Kontinent einer Kindheit und birgt die kindliche Wahrnehmung, Welterfahrung, in wunderbar zarte poetische Bilder.
Autorenporträt
Dmitrij Prigow, geboren 1940 in Moskau, war Dichter, Künstler und eine prägende Gestalt des Moskauer Konzeptualismus sowie des literarischen Undergrounds. Zu Sowjetzeiten galt Prigow als Dissident und wurde 1986 für mehrere Monate in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Dmitri Prigow starb 2007 in Moskau.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Die Erzählung "Katja chinesisch" stammt aus dem Nachlass des 2007 verstorbenen Dmitri Prigow, erfahren wir von Jörg Plath, und sie handelt vom Leben russischer Emigranten in China. Die Protagonistin Katja sei dabei eine "Gedächtniskünstlerin", denn nicht nur von ihrer Kindheit in China und ihrer späteren Auswanderung nach Usbekistan wisse sie zu berichten, auch an Dinge, die vor ihrer Geburt passiert sind, könne sie sich erinnern. Neben dem filmischen Kaleidoskop der Erinnerungen, die von Drachen, von japanischen Soldaten, von Mao handeln, sticht für den Rezensenten auch der Erzähler hervor, der Ähnliches wie Katja erlebt hat und sich immer wieder kommentierend einmischt. Als "Gegenwart einer Erinnerung" äußert empfehlenswert, schließt Plath.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2022

Dieses Wunderkästchen plustert Erinnerungen auf
Dmitri Prigows fulminante Erzählung über das Fremdsein, die Erinnerung und die Utopie

Die "chinesische Katja" ist gar keine Chinesin, sie lebt nur in China und auch das nicht so ganz. Sie ist die in China geborene Tochter eines zaristischen Offiziers, der nach einer Odyssee durchs postrevolutionäre Bürgerkriegsrussland von einem englischen Geschäftsmann irgendwo in der mongolischen Wüste halb tot aufgelesen und gerettet wird. Später heiratet er die Tochter dieses reichen Briten und übernimmt dessen florierendes Business in Tientsin. Man lebt mit den Kindern, darunter die kleine Katja, in einem Compound für Ausländer und frönt dem Luxus und der Exilanten-Nostalgie.

Doch irgendwo in Europa geht gerade ein Krieg zu Ende, in China ist es die japanische Besetzung. Es brodelt in der Welt und in Katjas Phantasie. Diese plustert den winzigen japanischen Wachsoldaten zu einer grinsenden Katze auf, im leuchtenden Meeresplankton erkennt sie die Seelen der Ertrunkenen, und Meeresvögel mutieren zu Unterwassermonstern. Die Neujahrsprozession schreitet als exotische Gruselparade feuerspeiender Drachen an ihr vorbei. Auch ihre Vorstellungskraft für Vergangenes ist besonders. Sie reicht weit vor die eigene Geburt zurück und tauscht die nostalgischen Erinnerungen des Vaters gegen "leuchtende Konkretisierungen idyllischer Phantome" wie bei Tolstoi oder Turgenjew, deren Bände die Bibliothek im Russischen Klub füllen.

Doch was heißt das schon - der Mensch ist überall gleich. Nur die Zeiten sind ein bisschen anders, verkündet der Erzähler im Plauderton. Und so schnurren Zeit und eurasischer Raum im nun auf Deutsch vorliegenden letzten Prosawerk des Moskauer Konzeptkünstlers Dmitri Prigow (1940 bis 2007) munter zusammen. Dieses von Christiane Körner mit all seinem Sprachwitz und avantgardistischem Charme fulminant übertragene Wunderkästchen hält allerlei Kunsträtsel bereit, bei deren kurzweiliger Auflösung das kluge Nachwort der Übersetzerin hilfreich Unterstützung leistet.

Denn es geht natürlich nicht nur um Katja im Wunderland, sondern um Parallelwelten - und Leben, die das Fremde entzaubern und das Eigene verfremden. Es geht um Tradition, die, wie Prigow in einem Interview sagte, immer ein Phantom der Tradition sei. Der Erzähler, der uns die wundersame Geschichte der verblüffend angstfreien Katjas erzählt, versichert immer wieder, in den fernen schäbigen, doch unschlagbar frohen Nachkriegsjahren seiner Moskauer Außenbezirkskindheit "Ähnliches" oder "Derartiges" erlebt zu haben, was freilich eher unwahrscheinlich klingt. Denn während man in China aus Angst vor Drachen und Überschwemmungen den Hintereingang bevorzugt, hat Derartiges im Moskau der Stalinzeit ganz andere Gründe. Prigow-Fans sind diesem Verfahren bereits in seinem Roman "Moskau-Japan und zurück" (2007) begegnet, in "Katja chinesisch" bekommt die überfremdende Ironie einen weiteren Dreh. Hier geht es nicht nur vor und zurück, sondern auch im Zickzack.

Was in China die exaltierte Emigrantengemeinde ist, ist in Moskau die zänkische Kommunalwohnungsgemeinschaft. Während der Erzähler "trotz aller zur Verfügung stehenden ideologischen Straffheit", und mit Zeitverzug, die aus den feindlichen Vereinigten Staaten herüberschwappenden Disneyfilme mit den "nur äußerlich unschuldigen" Schneewittchen-Zwergen sah, begeistert sich Katja in der inzwischen von den Sowjets übernommenen russischen Bibliothek an kommunistischen Jugendromanen. Schlussendlich besteigt sie, unerschrocken, wie sie ist, die Transsibirische Eisenbahn ins Heimatland des Vaters. Ihre Eltern zieht es hingegen in die unspektakuläre englische Provinz der Mutter. Auf der wochenlangen Zugfahrt offenbart sich Katja dann doch noch der ganze Schrecken dessen, was sie angerichtet hat. Sie sieht sich als Figürchen "in einer einsaugenden Röhre verödeten grauen Raumes".

In Taschkent, wo ihr Großvater einst als Gouverneur residierte, lebt sie bei einer Tante und dem liebenswerten Onkel Mitja. Der einstige Gouverneurspalast gehört jetzt den Lenin-Pionieren. Jahre später, als Katja längst in Moskau studiert, besucht ihr Chronist jene Residenz und recht sonderbare Exemplare aus dem weit verzweigten und nun sowjetisierten Familienclan. Bei allem bleibt Katja eine "Uneinbezogenheit ins Dasein", die sie überall und immer zur Außenseiterin macht, bis ihr gar die Exmatrikulation aus der Moskauer Universität droht. Irgendwann entschwindet sie in weitere Exile, wo ihre Spuren verblassen und sie dem beständigen Auge ihres nur scheinbar allwissenden Beobachters entkommt.

Dmitri Prigow selbst ist nie in China gewesen. Als Inspiration für diese Erzählung diente ihm die Lebensgeschichte seiner Ehefrau Nadeschda Burowa. Sein Prosatext, kurz vor seinem frühen Tod 2007 vollendet, ist nicht nur die berührende Jahrhundertgeschichte von Russen in der Fremde. Hinter der Maske der chinesischen Katja und ihres notorisch persiflierenden Lebensbegleiters verbergen sich Alter Egos dieses Autors, der Bildhauer, Dichter, Dramatiker, Schauspieler, Performance-Künstler und Romancier in einem war, ein multimediales wandelndes Gesamtkunstwerk. Seine Katja ist eine Bewahrerin von Geschichten und in ihrer hinter-nationalen, kindlichen "Uneinbezogenheit" in die Realien der Konventionen eine utopische Lichtgestalt. Wahrhaftigkeit ist ein Schlüsselbegriff der prigowschen Poetik, Authentizität war es nie.

Ähnlich wie in seinen bildnerischen Arbeiten dekonstruierte Dmitri Prigow in seiner Prosa die niemals unschuldige politische Ikonographie der Sowjetzeit und die bizarren "historischen Perturbationen", die nicht nur Katjas Leben auseinanderwirbeln. Seine Kunstfigur hat es aus der einsaugenden Röhre des autokratischen Raumes geschafft, während die Trugbilder der Traditionen bis heute immer wieder neue Phantome erzeugen. SABINE BERKING

Dmitri Prigow: "Katja chinesisch". Eine fremde Erzählung.

Aus dem Russischen und mit einem Vorwort von Christiane Körner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 330 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es ist ein Kaleidoskop, das Dmitri Prigow hier geschaffen hat. Ein fabelhaft poetisches Kaleidoskop, das den Zauber der Kindheit und der kindlichen Wahrnehmung einfängt. Und den trügerischen Zauber der Erinnerungen.« Uli Hufen WDR 5 20221007