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Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts existierte ein moderner katholischer Antisemitismus, der ebenso wie der protestantische zur Vorgeschichte von Auschwitz gehört. Diese brisante These Olaf Blaschkes steht im Gegensatz zur gängigen Sichtweise: Der moderne Antisemitismus des 19. Jahrhunderts sei im Protestantismus zu verorten, während die Katholiken nicht antisemitisch, oft sogar judenfreundlich gewesen seien. In dieser Studie wird deutlich, daß die Haltung des Katholizismus zu den Juden von Abneigung und Feindseligkeit geprägt war. Blaschke, Historiker an der Universität Trier, stützt sich auf…mehr

Produktbeschreibung
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts existierte ein moderner katholischer Antisemitismus, der ebenso wie der protestantische zur Vorgeschichte von Auschwitz gehört. Diese brisante These Olaf Blaschkes steht im Gegensatz zur gängigen Sichtweise: Der moderne Antisemitismus des 19. Jahrhunderts sei im Protestantismus zu verorten, während die Katholiken nicht antisemitisch, oft sogar judenfreundlich gewesen seien. In dieser Studie wird deutlich, daß die Haltung des Katholizismus zu den Juden von Abneigung und Feindseligkeit geprägt war. Blaschke, Historiker an der Universität Trier, stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial; interregionale und internationale Vergleiche erhärten seine Thesen.
Autorenporträt
Olaf Blaschke, geboren 1963, Promotion 1996 in Bielefeld, Habilitation für Neuere und Neueste Geschichte 2006 in Trier. Dort von 1997 - 2012 Hochschulassistent und Lehrstuhlvertreter, Gastforscher und Lehre in Cambridge (2001 - 02) sowie Lund (2004 - 05), Lehrdozent in Heidelberg 2012 - 14, seit 2014 Professor für Geschichte des 19./20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Theorie und Methodik der Geschichtswissenschaft in Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.1998

Konstruierte Kontinuitäten
Über Katholizismus und Antisemitismus im Kaiserreich

Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 122. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich 1997. 443 Seiten, 78,- Mark.

Die Frage, ob der Katholizismus im 19. Jahrhundert zur Vorgeschichte von Auschwitz gehört, enthält politischen Sprengstoff. Olaf Blaschke entwickelt in einer bei Hans-Ulrich Wehler entstandenen Dissertation die These, ein endogener moderner Antisemitismus sei für den damaligen Katholizismus kennzeichnend gewesen. Aber seinen forschen Behauptungen, daß die herkömmliche Kirchen- und Katholizismusforschung das Problem mit dem Mantel des Schweigens umhülle, daß die Antisemitismusforschung es unterschätzt und die Sozialgeschichte es übersehen habe, ist schon deshalb zu widersprechen, weil es inzwischen durchaus, wie der Autor im einleitenden Kapitel konzediert, eine breite Literatur zum Thema "Katholiken und die Judenfrage" gibt.

Blaschkes These, aus dem traditionellen Antijudaismus habe sich im Kaiserreich ein spezifisch katholischer und rassisch begründeter moderner Antisemitismus entwickelt, widerspricht freilich auch in anderer Hinsicht gängigen Lehrmeinungen. Diese differenzieren zwischen älterem christlichen Antijudaismus und neuem, gerade von der katholischen Kirche verworfenen rassischen Antisemitismus; sie argumentieren, der Katholizismus habe sich im Kaiserreich selbst in einer Minderheitensituation befunden, aus der heraus er sich mit dem Judentum partiell solidarisch gefühlt habe: Das während des Kulturkampfes gewachsene Bewußtsein, "Reichsfeind" zu sein, der ebenfalls durch die Kulturkampferfahrungen geschärfte Sinn für Rechtsstaatlichkeit und das christliche Gebot der Nächstenliebe hätten sich zu einer differenzierten Haltung in der "Judenfrage" verbunden. Demgegenüber hat Wehler, an dessen Forschungen sich Blaschke orientiert, betont, der Katholizismus und das Zentrum als seine politische Speerspitze seien wesentlich "vergangenheitsorientiert" gewesen. Tatsächlich sahen sich jedoch die Verfechter einer ideologisch konservativen Kirche, die ihre Zuflucht in ultramontanen Tendenzen suchte, gerade in Deutschland erheblichen Vorbehalten gegenüber. Die von Rom ausgehende Neuscholastik war im deutschen Episkopat umstritten. Dies begünstigte eine innerkirchliche Spaltung in eine ultramontane und eine liberale Richtung - das Signum einer innerlich verunsicherten und sich auch äußerlich bedroht fühlenden Religionsgemeinschaft. Erst diese Herausforderungen ermöglichten es dem Katholizismus, aus seiner antimodernen Erstarrung auszubrechen: Die Emanzipation von überkommenen Denkschablonen erfolgte unter dem Zwang einer sich verändernden Welt als weitgehend "ungeplante Modernität".

Es ist einseitig, die lebhaft, ja giftig ausgetragenen Debatten über den politischen Kurs der katholischen Kirche (in welcher der Antisemitismus niemals eine zentrale Rolle spielte) als marginal abzutun: Blaschke verkennt die Ernsthaftigkeit dieses Disputs, wenn er von "instrumenteller Modernisierung" und lediglich "liberaler Rhetorik" spricht. Von "Instrumentalisierung" spricht der Autor oft - immer dann, wenn Sachverhalte seiner Hauptthese widersprechen. Wenn Ludwig Windthorst in einer berühmten Reichstagsdebatte 1880 vehement gegen den Antisemitismus protestierte, dann, so Blaschke, stand er nicht nur allein auf weitem Feld, sondern benutzte diese Debatte vornehmlich für eigene Zwecke. Warum Windthorst, wenn er in dieser aufwühlenden Diskussion so isoliert war, in seiner Partei immer die Oberhand behielt, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, ob katholische Politiker und Kirchenführer nicht auch Überzeugungen jenseits von Parteiinteressen hatten.

Diese Problematik, die zur Erhellung der jeweiligen Motive für eine Judenfreundschaft oder den Antisemitismus dienen könnte, wird allerdings systematisch umgangen. Schwerwiegender ist freilich ein anderer Aspekt: Akribisch wird jede irgend gegen "Juden" gerichtete Stellungnahme, und sei sie auch noch im letzten Provinzblatt erschienen, herangezogen, um einen latenten oder auch offenen Antisemitismus des katholischen "Milieus" zu beweisen. Die einseitige Vorgehensweise eröffnet der Beliebigkeit in der Auswertung zeitgenössischer Quellen Tür und Tor: Würde man beispielsweise ähnliche Erklärungen in der Angelegenheit der polnischen Minderheit in Preußen herausfiltern, könnte man mit einer ähnlichen Methode zu dem gerade abenteuerlichen Schluß kommen, es sei dem deutschen Katholizismus um die Vereinigung mit Polen gegangen.

Ähnlich willkürlich gerät die Behandlung der Sekundärliteratur: Wichtige Arbeiten aus den siebziger Jahren sind "apologetisch", neuere Arbeiten wie die von Uwe Mazura über Zentrumspartei und Judenfrage werden kurzerhand für verharmlosend erklärt, eine für das Thema so zentrale Studie wie die von Wolfgang Altgeld über die Dynamik im Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus, Säkularisierung und Konfession lediglich im Anmerkungsapparat erwähnt. Es versteht sich von selbst, daß diese Forschungen den Thesen Blaschkes diametral widersprechen.

Es ist ein besonderes Anliegen des Autors, die prägende Wirkung des Antisemitismus in allen katholischen Lagern oder "Milieus" nachzuweisen. Freilich, wenn man die antisemitischen Tendenzen im Katholizismus des Kaiserreichs nachzeichnet, sollte man hinzufügen, daß das Zentrum als politische Kraft schon im Kaiserreich eine tendenziell interkonfessionell angelegte Volkspartei mit Zügen einer Verfassungspartei gewesen ist, was sich in der aufstrebenden Vereinskultur niederschlug und in den christlichen Gewerkschaften die Konfessionsgrenzen überstieg. Und neben der Sozialdemokratie war es das Zentrum, das die Barriere gegen den politischen Antisemitismus bildete. Dem reformwilligen "Kulturkatholizismus" und seinen Exponenten werden indessen lediglich einige Alibiseiten gewidmet.

Wer den von Blaschke als "Apologeten" abgetanen Historikern, die dieses Feld ebenso umfassend wie abgewogen untersucht haben, nicht vertraut, sollte die entsprechenden, die Forschung zusammenfassenden Abschnitte bei einem "unverdächtigen" Autor wie Thomas Nipperdey nachlesen. In einer Welt, in der, so schrecklich es klingen mag, sich ein Antisemitismus fast als Norm einzubürgern begann, blieb keine gesellschaftliche Großgruppe von antisemitischen Tendenzen frei. Die Implikationen der Thesen von Blaschke betreffen auch die katholische Kirche im "Dritten Reich". Es wundert nicht, daß der Kurs des Episkopats, in Fortführung der aufgestellten These, in erster Linie auf "Ignoranz" gegenüber den Menschenrechten und einen endogenen Antisemitismus zurückgeführt wird.

Die schöpferische Unruhe, die Blaschkes Werk auslösen wird, wird der Historiographie nicht abträglich sein. Es bleibt abzuwarten, wie die von ihm herausgeforderte "herkömmliche" Katholizismusforschung reagieren wird. Bis dahin gilt es jedoch nüchtern darauf zu verweisen, daß es ahistorisch ist, im nachhinein Kontinuitätslinien aufzuzeichnen, die eine derart klare Abfolge konstruieren, wie sie Blaschke skizziert. Seinem Anliegen schadet der Autor, weil er sich mit seinen Einseitigkeiten jedenfalls auf jene Ebene begibt, die er den zu anderen Ergebnissen gekommenen Gegnern vorwirft. Die Grundfarben der Geschichte sind, um Thomas Nipperdey auch hier noch einmal zu folgen, nicht Schwarz und Weiß, sondern in unendlichen Schattierungen Grau. So muß man als Fazit dem Autor das entgegenhalten, was er selbst einer "katholizismusnahen" Historiographie vorwirft, daß nämlich "manche seiner Thesen nicht ganz sind, aber in ihrer Isoliertheit dem komplizierten Kontext nicht gerecht werden". JOACHIM SCHOLTYSECK

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