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Die fünf Erzählungen zeigen die große poetische Ausdruckskraft dieser "aristokratischen Scheherazade" (Siegfried Lenz). "Karneval" bereitet ungeheures, fesselndes Lesevergnügen - hat man sich erst einmal auf die phantastische Erzählweise eingelassen, macht sie süchtig." (Badisches Tagblatt)

Produktbeschreibung
Die fünf Erzählungen zeigen die große poetische Ausdruckskraft dieser "aristokratischen Scheherazade" (Siegfried Lenz). "Karneval" bereitet ungeheures, fesselndes Lesevergnügen - hat man sich erst einmal auf die phantastische Erzählweise eingelassen, macht sie süchtig." (Badisches Tagblatt)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.1995

Fein die Handlung gehäkelt
Mit Luftmaschen: Erzählungen aus dem Nachlaß von Tania Blixen

Tania Blixen ist 1962 gestorben, aber ihre Nachlaßverwalter verstehen sich auf die Kunst, auch nach Jahrzehnten immer wieder neue Prosaarbeiten in der künstlerischen Hinterlassenschaft aufzustöbern. Die jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegten Erzählungen hätte man hier schon vor zwanzig Jahren lesen können, denn da waren sie gerade in Dänemark und in den Vereinigten Staaten erschienen, aber damals gab es für sie bei uns kein Interesse - ausgenommen für "Ehrengard", die letzte Erzählung dieses Bandes, die schon 1965 in der Übersetzung von Fritz Lorch bei S. Fischer erschien (das Impressum des Nachlaßbandes ignoriert das und nennt die Wiederauflage bei Suhrkamp von 1986).

Natürlich scheint alles interessant, was diese große Geschichtenerzählerin mitzuteilen hatte; dennoch habe ich mich beim Lesen gefragt, ob man Tania Blixen einen Gefallen tut, das Verstreute zu drucken. Wenn es um die Komposition ihrer Geschichtenbände ging, verfuhr sie sehr streng, und wenn man das Aufgenommene mit dem Ausgesonderten vergleicht, kann man das absolut sichere Qualitätsgefühl der Autorin nur bewundern. Clara Svendsen-Selborn, langjährige Sekretärin der Dichterin, erwähnt in ihren Erinnerungen, wie verblüfft Tania Blixen zuweilen auf die Auswahlkriterien jener Zeitschriften reagierte, denen sie ihre Erzählungen zum Abdruck anbot, denn oft genug wurden gerade ihre besten Geschichten abgelehnt und mindere vorgezogen. Das Verstreute in einer Gesamtausgabe zu sammeln wäre sicher sinnvoll, einzelne ausgemusterte Stücke aber zu einem eigenen Band zu bündeln scheint mir nicht glücklich.

Der neue Nachlaßband enthält fünf Geschichten. "Der Pflüger", eine ihrer frühesten Erzählungen (1907, also mit zweiundzwanzig Jahren verfaßt), ist der Blixen-Biographin Judith Thurman eine ausführliche Analyse wert, da sie offenbar Rückschlüsse auf Tanias Verhältnis zu ihrem sehr geliebten Vater zuläßt, der sich das Leben nahm, als seine Tochter erst zehn Jahre alt war. Aus der Sicht der Biographin ist eine solche Erzählung freilich Gold wert, aber für den unbefangenen Leser bleibt sie eben leider doch eine durch und durch konstruierte, unglaubwürdige und somit mißratene Erzählung.

Die Titelgeschichte "Karneval" entstand in der ersten Fassung 1910, wurde 1926 umgearbeitet und ein drittes Mal vor 1934, als die Autorin plante, sie in ihren Erstling "Sieben phantastische Geschichten" (1934) aufzunehmen, schließlich jedoch einen anderen Text wählte. Eine kluge Entscheidung, denn "Karneval" ist, allen Umarbeitungen zum Trotz, eine doch ziemlich langweilige Erzählung geblieben, in der zwar unendlich viel geredet wird, die aber blaß bleibt, wenn es um die Anschaulichkeit der Figuren und ihres Ambientes geht. Als junge Dichterin hat sich Tania Blixen wiederholt in Marionettenkomödien versucht; auch "Karneval" ist aus einer solchen hervorgegangen, und diese Urfassung schimmert überall durch. Eine gute Komödie für das Marionettentheater ist von gänzlich anderer Beschaffenheit als eine Erzählung und nicht ohne weiteres transponierbar. Was wahrscheinlich niemand besser gewußt hat als die Blixen - die am Ende dann selber merkte, daß "Karneval" das Niveau ihrer besten Erzählungen nicht erreichte und nie erreichen würde.

Warum "Anna", an der die Autorin 1947/48 arbeitete, nach 25 Kapiteln unvollendet beiseite gelegt wurde, läßt sich ahnen. Die Geschichte selbst ist in ihrer ironisch-verwickelten Erzählstruktur sehr typisch für Tania Blixen, aber die Gefahr bestand von Anfang an, daß die ein wenig verschlungene Konzeption am Ende vielleicht doch der Konstruktion eines komplizierten Automaten gleichen könnte. Sie bewegt sich scharf am Rande der Glaubwürdigkeit.

Nun mag man einwenden, daß die Liebe zu verschachtelten Erzählmustern schon immer ein Charakteristikum Tania Blixens war, aber meist ist es ihr gelungen - jedenfalls in ihren besten Geschichten -, uns die agierenden Personen sehr real vor Augen zu führen. Die Figuren entwickeln die Geschichte, nicht die von außen herangeführten Zufälle. In "Anna", wäre sie denn vollendet worden, hätten schließlich die kompliziert gehäkelten Handlungsfäden die Gestalten selbst vergessen lassen. Und ebendies scheint auch diese große Erzählerin gespürt zu haben, als sie das schon recht weit gediehene Manuskript abbrach. Dessenungeachtet enthält es einige Passagen von großer Schönheit und Hintergründigkeit.

Ähnlich steht es mit der 1952 geschriebenen "Ehrengard", ursprünglich für den Band "Schicksalsanekdoten" vorgesehen, dann aber ausgemustert, die letzte Veröffentlichung zu ihren Lebzeiten. Ich habe diese Erzählung fast dreißig Jahre als sehr geglückt in der Erinnerung bewahrt und muß nun, nach abermaliger Lektüre, auch hier feststellen, daß die Fabel die Glaubwürdigkeit etwas strapaziert.

"Die Königssöhne" schließlich, 1946 geschrieben, gleicht im Stil ein wenig einer orientalischen Legende, mag aber vielleicht, wie das gescheite Nachwort der Übersetzerin Ursula Gunsilius nahelegt, eher auf afrikanische Vorbilder aus den Jahren in Kenia zurückgehen. Auch dieses ist ein eher leichtgewichtiges Stück. Verblüffend aber ist der Hinweis der Übersetzerin, daß ein wichtiges Motiv in "Anna" weitaus später in der Erzählung von Anna Seghers "Das wirkliche Blau" wiederkehrt, wobei Anna Seghers die Erzählung der Dänin gar nicht gekannt haben kann und "Das wirkliche Blau" erst 1967, also fünf Jahre nach dem Tod von Tania Blixen, veröffentlicht wurde. Die Motivgleichheit dieser beiden so sehr voneinander verschiedenen Autorinnen ist wirklich erstaunlich und zweifellos dankbarer Stoff für künftige Interpreten. ECKART KLESSMANN

Tania Blixen: "Karneval". Erzählungen aus dem Nachlaß. Herausgegeben und aus dem Dänischen übersetzt von Ursula Gunsilius. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 256 S., geb., 38,- DM.

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