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Karl Hampes Kriegstagebuch stellt ein erstrangiges Zeugnis für die Alltags-, Mentalitäts- und Wissenschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs dar. Der Autor, Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Heidelberg 1903-1934, notierte in seinem Tagebuch über fünf Jahre hinweg nicht nur die täglichen Geschehnisse der großen Politik, sondern auch deren Auswirkungen auf sein lokales, akademisches und familiäres Umfeld. Karl Hampe hatte daran als Publizist, Hochschullehrer und Familienvater Anteil. Nach Kriegsende wandelte er sich vom "Herzensmonarchisten" zum…mehr

Produktbeschreibung
Karl Hampes Kriegstagebuch stellt ein erstrangiges Zeugnis für die Alltags-, Mentalitäts- und Wissenschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs dar. Der Autor, Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Heidelberg 1903-1934, notierte in seinem Tagebuch über fünf Jahre hinweg nicht nur die täglichen Geschehnisse der großen Politik, sondern auch deren Auswirkungen auf sein lokales, akademisches und familiäres Umfeld. Karl Hampe hatte daran als Publizist, Hochschullehrer und Familienvater Anteil. Nach Kriegsende wandelte er sich vom "Herzensmonarchisten" zum "Vernunftrepublikaner". Das Kriegstagebuch erlaubt es, diesen Prozess in seinen Voraussetzungen und Weichenstellungen, seinen Rückschlägen und Antriebskräften Schritt für Schritt, Tag für Tag zu verfolgen. Die kommentierte Edition stellt das Tagebuch der Forschung ungekürzt zur Verfügung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2004

Heidelberger Schreibtischheroe
Der Erste Weltkrieg und die revolutionären Ereignisse 1918/19 in den Tagebüchern des Historikers Karl Hampe

Karl Hampe: Kriegstagebuch 1914-1919. Herausgegeben von Folker Reichert und Eike Wolgast. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 1020 Seiten, 118,- [Euro].

Die geringe Zahl der ungekürzt und im Wortlaut akribisch edierten Tagebücher zur Neuesten Geschichte erfährt mit der Publikation der täglichen Aufzeichnungen eines Heidelberger Professors für Mittlere und Neuere Geschichte und Mitglieds der im Dezember 1918 gegründeten "Deutschen Demokratischen Partei" eine beeindruckende Erweiterung. Die Edition umfaßt den Zeitraum des Ersten Weltkriegs, der Revolution von 1918/19 und der ersten Jahre der Weimarer Republik. Karl Hampe (1869-1936) stammte aus Bremen, das für den musikalischen, dem Theater, der Dichtung und den Bildenden Künsten Zugewandten mit seiner "Luft einer freien und edlen Humanität" die "deutsche Stadt schlechthin" darstellte. Er studierte Germanistik, Geschichte und Nationalökonomie, wurde 1894 mit einer Studie über die "Geschichte Konradins von Hohenstaufen" promoviert und arbeitete an den "Monumenta Germaniae Historica". Hampe habilitierte sich als 32jähriger in Bonn und lehrte seit 1903 in Heidelberg für 31 Jahre als Nachfolger Dietrich Schäfers neben Erich Marcks, Hermann Oncken und Willy Andreas.

Unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Wilhelminismus, des verlorenen Krieges und der revolutionären Gefahren wandelte er sich 1919 zum "Vernunftrepublikaner" und engagierte sich in der linksliberalen DDP. Ihr blieb er auch noch verbunden, als sie sich in der Zeit der Präsidialkabinette unter Theodor Heuss und Reinhold Maier als "Staatspartei" nach rechts orientierte. Mit dem Ablauf des Wintersemesters 1933/34 ließ Hampe sich vorzeitig pensionieren, weil es ihm nach der Regierungsübergabe an die Hitler-Hugenberg-Koalition offensichtlich nicht mehr gelang, "zu retten, was sich in Wort und Schrift noch retten läßt".

Die Familie des Gelehrten stellte nicht nur die gesamten diaristischen Texte uneingeschränkt zur Verfügung, sondern auch jene Korrespondenzen, die bislang noch nicht dem von der Heidelberger Universitätsbibliothek bewahrten Nachlaß beigegeben worden sind. Zusammen mit der bereits 1969 in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erschienenen "Selbstdarstellung" Hampes konnten die beiden Editoren eine breite und relativ dichte Materialgrundlage nutzen. Dabei widerstanden sie der Versuchung, zusammen mit der Edition der Tagesaufzeichnungen in einem ausführlichen monographischen Teil eine umfassende Interpretation der Quelle zu bieten, und beschränkten sich auf eine sieben Abschnitte umfassende "Einleitung", die auf ihren knapp neunzig Seiten jedoch weitaus mehr bietet, als die formale Kennzeichnung vermuten läßt. Die Tageseintragungen haben die Editoren mit den nötigen textkritischen Kommentaren versehen. Sie lassen jedoch unerklärt, weshalb sie die im Tagebuch gestrichenen Passagen unterdrücken. Ihre Erläuterungen zu biographischen, organisatorisch-institutionellen, militärischen oder anderen Sachfragen beschränken sich insgesamt auf Lese- und Verständnishilfen, gehen jedoch zu Recht bei den kulturgeschichtlichen Sachverhalten darüber hinaus, weil sich in ihnen das Hauptinteresse des Schreibers durchgehend spiegelt. Es entgehen aufschlußreiche Details des diaristischen Entstehungsprozesses, da sich die Editoren damit begnügen, dem Leser lediglich die Vermutung mitzuteilen, Hampe habe "seine Notizen, Beobachtungen und Kommentare zunächst entworfen und dann erst in sein Tagebuch übertragen". Die Indizien für diese Annahme nennen sie nicht, verzichten darauf, den Vorgang weiter aufzuhellen und, falls möglich, dann synoptisch zu dokumentieren.

Der Leser wird in der ersten Hälfte der Einführung systematisch und umfassend, kenntnisreich und knapp informiert über die Quellen und ihre Überlieferung, methodische und editionswissenschaftliche Grundsätze sowie über die wichtigsten biographischen Stationen - immer wieder ergänzt durch farbige Exempla aus dem familiären und universitären Leben sowie durch einen Blick auf den "Kriegsalltag". Ungleich detaillierter und differenzierter entfalten die Herausgeber im kritischen Nachvollzug die Hauptzüge der sich wandelnden Wahrnehmung und Beurteilung von Krieg und Propaganda, Diplomatie und Politik durch Hampe im Verlauf der fünf ereignisreichen Jahre. Daran schließen sich resümierende Bemerkungen an zu den Erfahrungen Hampes mit Krieg und Revolution, Opportunismus und Standhaftigkeit bis hin zur nationalsozialistischen Diktatur.

Die Zeugenschaft Hampes war bestimmt von der bei einem quellenkritisch versierten Historiker überraschenderweise fehlenden Grundskepsis gegenüber den täglichen Gerüchten und Berichterstattungen, einem mangelnden kritisch fundierten Interesse an realistischen Informationen und fehlender analytischer Urteilsbildung in den Gesprächen mit ungleich kritischeren Kollegen. Die Editoren vertreten aus gutem Grund die Meinung, Hampe beschränke mit seinem "Alltagsheroismus" und Hang zur Autosuggestion seine Informationsmöglichkeiten "offenbar bewußt um der nationalen Disziplin willen" und gehöre zu "der intellektuellen Elite, die vor der Macht" kapituliert habe. Zu den zentralen Themen zählen die Beschreibung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse an der "Heimatfront" in ihren vielfältigen Einschränkungen, das Leiden unter Monotonie und störender Unruhe gleichermaßen, die Veränderungen in der akademischen Lehre mit der Zunahme und schließlich dem Vorherrschen weiblicher Studierender.

Im Tagebuch treten schließlich die Züge militanter Euphorie eines nationalliberalen Machtstaatpolitikers, eine elitäre Arroganz und ein populärer England-Haß deutlich hervor. Die Aufzeichnungen zeigen das Bild eines gemäßigt bis imperialistisch auftrumpfenden Annexionisten und treuen Monarchisten, der von pejorativen Vorurteilen gegenüber Massen und Sozialdemokratie, Parlamentarismus und Demokratie bestimmt wird. Hampe rezipiert die große Politik auf der Ebene täglicher Zeitungslektüre, aber die abonnierte "Frankfurter Zeitung" erscheint ihm bald nicht mehr ausreichend "national" zu sein, weil sie sich eines "Schulmeistertons" befleißige und demokratische Ideen propagiere.

Weniger gereizt und mit tiefer Erschütterung registrierte er die Anzeichen und das rapide Voranschreiten des Untergangs seiner Welt: äußerlich spät markiert mit der erlöschenden Strahlkraft des Hindenburg-Mythos, der Flucht des Kaisers und dem revolutionären Umbruch von der Monarchie zur Republik, innerlich erfahren an der auftretenden Verunsicherung in seiner Geschichts- und Staatsauffassung und in der wachsenden Bereitschaft, der drohenden Verzweiflung durch eine Flucht in die Idylle der "deutschen Musik", Literatur und Lyrik zuvorzukommen. Die revolutionären Ereignisse, die Versailler Beschlüsse und rechtsextreme Aktionen ließen ihn Mitte 1919 entschlossen und endgültig, aber ohne eine im Tagebuch aufscheinende Selbstkritik umdenken. In der DDP und in Aufrufen trat er wiederholt für die Weimarer Republik ein, ohne jedoch ebenso offensiv publizistisch tätig zu werden, wie er es während der Kriegsjahre mit seinen Belgien-Studien zu Gunsten der Reichsregierung getan hatte. Diese Anmerkungen gehen zwar über den Epochenabschnitt der Tagebücher hinaus, sollen aber andeuten, welche Achtung sich Hampe erwerben konnte. Karl Jaspers würdigte ihn 1929 zum 60. Geburtstag als "eine der Stützen des Heidelberger Daseins, auf deren Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit man sich verlassen" könne, und versicherte ihm: "Ihre Gegenwart ist ein Schutz, ich glaube, wir haben ihn sehr nötig."

BERND SÖSEMANN

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2014

KRIEGSKLASSIKER
Professor
Hampes Tagebuch
Dass die deutsche Professorenschaft im Ersten Weltkrieg keine gute Figur machte, ist inzwischen allgemein bekannt. Gerade deshalb ist es interessant, sich an einem Beispiel vor Augen zu führen, was im Kopf eines deutschen Gelehrten – und um ihn herum – vorging. Vor zehn Jahren wurde das „Kriegstagebuch“ Karl Hampes veröffentlicht, eine ungeheuer reiche, detaillierte Vergegenwärtigung der Zeit. Der Autor, Professor für mittelalterliche Geschichte in Heidelberg, war einer der angesehensten Männer seines Fachs. Seine „Deutsche Kaisergeschichte“ und das „Hochmittelalter“, nicht gerade innovativ, aber mit Schwung geschrieben, wurden bis in die Achtzigerjahre noch gern gelesen.
  Als Zeuge seiner Zeit ist Hampe bemerkenswert, gerade weil er nicht durch Einsicht herausragt. Weder hat er das politisch-diagnostische Auge Max Webers, noch ist er außergewöhnlich gut informiert. Er liest die Zeitungen und verlässt sich auf die Obrigkeit, insofern ein typischer deutscher Untertan. Aber sein Obrigkeitsvertrauen hat auch eine respektable Seite: die Skepsis gegen den politisierenden Professor. Vom Recht der deutschen Sache ist Hampe überzeugt, aber die Hetze gegen England und Italien stößt ihn ab, wie das „Tuten“ der evangelischen Geistlichen „ins nationale Horn“. Verdächtig ist ihm die Verherrlichung des „gotischen Menschen“, der mit dem germanischen gleichgesetzt wird. „Unter den feineren Studenten“ beobachtet er einen Zug zu Mystik und Neuromantik. „Jeder begrifflichen und künstlerischen Klarheit und Einfachheit“ weiche man aus zugunsten des Dunklen, „nur Geahnten und Gefühlten“.
  Auch die tägliche Seite des Lebens kommt zu Wort, Hunger und Kälte (wegen Kohlenmangels), das Sammeln von Beeren und Pilzen. Im Sommer gehen seine Kinder barfuß, um die Schuhe zu schonen. Im November 1917 stellt er fest, dass die kleine Tochter manches, was früher selbstverständlich war, nicht mehr kennt, Linsen zum Beispiel. „Sie stellt sich unter ,Frieden‘ einen ganz wunderbaren Zustand vor.“ Hampes Kriegstagebuch bringt auf nahezu jeder Seite Bemerkenswertes zum intellektuellen Leben wie zum Alltag. Man hat ganz und gar nicht das Gefühl, es mit einem Narren oder Fanatiker zu tun zu haben – aber wie spät erst sieht er, wohin der Karren rollt!
STEPHAN SPEICHER
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rolf Wörsdorfer sieht im "Kriegstagebuch 1914 - 1919" von Karl Hampe ein nützliches zeitgeschichtliches Dokument. In den Aufzeichnungen lasse sich gut verfolgen, was an Illusionen "zunächst aufkeimte und dann zerstört wurde". Der für den aktiven Kriegsdienst bereits zu alte Heidelberger Mittelalter-Historiker half zunächst als Angehöriger einer Sanitätskolonne, am Bahnhof eintreffende Verwundete auf die Krankenhäuser der Stadt zu verteilen. Auch ein Gedicht auf ein Unterseeboot floss ihm schon einmal aus der Feder. "Seine große Stunde schlug" aber, "als die Behörden in ihm einen Experten für die Geschichte Belgiens entdeckten." Denn von da an durfte Hampe, im Dienst der deutschen Kriegspropaganda, die zerstörten belgischen Städte besichtigen. Zwar sah er manche Stadt "durch deutsche Kanonen und Mörser ?grauenvoll verwüstet?", er fand aber auch Trost: so seien in Löwen "die Außenmauern der Bibliothek erhalten geblieben". Nach dem Krieg wurde Hampe Vernunftrepublikaner und trat der Deutschen Demokratischen Partei bei, "einer Art Sammelbecken bildungsbürgerlich-liberaler Eliten zwischen dem Kaiserreich und der Weimarer Republik".

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