Richard Ford
Buch
Kanada
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- Verlag: Büchergilde Gutenberg
- ISBN-13: 9783763266142
- Artikelnr.: 38729748
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die unguten Vorzeichen häufen sich gewaltig in diesem Roman von Richard Ford. Wolfgang Schneider liest dennoch weiter und taucht tief ein in die rückblickend erzählte Geschichte einer verkorksten Kindheit und Jugend. Dabei fällt ihm auf, wie wuchtig der Autor in die Tasten haut, fast wie bei einem gewöhnlichen Krimi. Doch Ford wäre nicht Ford, meint Schneider, wenn die Geschichte nicht ein wenig anders daherkäme, als man es erwartet. Hier ist es etwa die Frage nach der Schuld der Eltern, die einen Banküberfall begehen und damit die Familie und die Zukunft ihres Kindes zerstören. Stilistisch überzeugt der Text den Rezensenten nicht immer, dafür entschädigen ihn Fords plastische Figurenbeschreibungen, für Schneider ein echtes Lesevergnügen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Als meine Eltern einen Raubüberfall begangen haben
Er ist und bleibt ein Meister der überpräzisen Menschendarstellung: Der neue Roman "Kanada" von Richard Ford ist auch ein halber Krimi.
Der erste Satz von "Kanada" gehört bereits zu den berühmten Romananfängen: "Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten." Eine wuchtig-lakonische Verheißung. Hier wird nicht mit der erzählerischen Energiesparlampe vorausgeleuchtet.
Man kann aber auch einen leichten Schreck bekommen. Hat sich jetzt etwa auch Richard Ford nach seiner großen Frank-Bascombe-Trilogie auf Krimi und Mord verlegt wie alle Welt? Bitte nicht! Und klingt dieses
Er ist und bleibt ein Meister der überpräzisen Menschendarstellung: Der neue Roman "Kanada" von Richard Ford ist auch ein halber Krimi.
Der erste Satz von "Kanada" gehört bereits zu den berühmten Romananfängen: "Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten." Eine wuchtig-lakonische Verheißung. Hier wird nicht mit der erzählerischen Energiesparlampe vorausgeleuchtet.
Man kann aber auch einen leichten Schreck bekommen. Hat sich jetzt etwa auch Richard Ford nach seiner großen Frank-Bascombe-Trilogie auf Krimi und Mord verlegt wie alle Welt? Bitte nicht! Und klingt dieses
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"zuerst" und "dann" nicht ein wenig ungeschickt? Tatsächlich zerfällt der Roman in das Nacheinander zweier Kriminalgeschichten von je etwa zweihundert Seiten, die - zumindest auf den ersten Blick - wenig mehr gemeinsam haben als eine fünfzehnjährige Randfigur namens Dell Parsons. Dieser Dell ist allerdings zugleich die Hauptfigur, nicht, was das Geschehen betrifft, das er nur beobachtet und erleidet, sondern erzähltechnisch: als Berichterstatter nach vielen Jahren. Als Mensch, dem die Jugend zerstört wurde, ohne dass es jemand darauf abgesehen hätte, ihm zu schaden.
Natürlich schreibt Ford keinen gewöhnlichen Krimi. Nicht nur, weil immer schon vorher verraten wird, was passiert. Sondern auch, weil sich Krimis in der Regel nicht die Frage stellen, ob Verbrecher Kinder haben - und was die Taten der Eltern bei ihnen anrichten. Der erste Teil des Romans spielt in Great Falls, Montana, um das Jahr 1960. Eine ganz normale disharmonische Familie: Mutter Neeva ist jüdischer Abstammung und arbeitet als Lehrerin; Vater Bev Parsons hat im Weltkrieg Bomben auf Japan hageln lassen, später ist er mit der Army viel umgezogen, so dass die Kinder, Dell hat eine Zwillingsschwester, nirgends Wurzeln schlagen konnten. Er versucht sich glücklos als Autohändler und hilft der Familie mit illegalem Fleischhandel auf. Die Indianer, mit denen er sich einlässt, bedrohen ihn, als für eine Ladung Gammelfleisch das Geld ausbleibt. So entsteht der Plan eines rettenden Banküberfalls, die Beute ist gering, die Konsequenz riesig: Die Eltern müssen ins Gefängnis, die Familie ist zerschlagen.
Vermittelt über eine Freundin der Mutter, findet Dell Zuflucht in der kanadischen Prärie, bei Arthur Remlinger, dem Besitzer eines Jagdhotels. Er bekommt es mit rauhen Kerlen zu tun, mit Jägern und Fallenstellern, nicht gerade pädagogisch wertvoller Elternersatz. Und wer über die Grenze geht, trifft auf andere, die über die Grenze gegangen sind. Remlinger hatte gute Gründe, sich in Saskatchewan zu verstecken: Als junger Mann war der Anarchist und Gewerkschaftsfeind beteiligt an einem Bombenanschlag, der einen Funktionär zerfetzte. Noch immer wird der Täter gesucht. Remlingers Leben ist ein Versteckspiel. Die dunkle Vergangenheit holt ihn ein, und für Dell wird Kanada zum menschlichen Albtraum.
Ford lässt Dell als Mittsechziger im fernen Rückblick berichten. Die distanzierte Erzählperspektive schafft ein Dilemma. Sie ist einerseits notwendig, weil der fünfzehnjährige Junge von den Dingen, die um ihn geschehen, allenfalls eine Ahnung hat - er registriert viele bedrohliche Zeichen, und eine Atmosphäre der Angst durchzieht seine Geschichte. Selten gab es in einem Roman mehr bedrohliche Vorzeichen. Für einen präzisen Realismus à la Ford muss allerdings ein Erzähler her, der nicht nur die Schrecken seiner Jugend erinnert, sondern inzwischen auch die zahlreichen Informationslücken (etwa über den genauen Ablauf des Bankraubs) glaubhaft gefüllt hat. Wie aber lebt ein Mensch weiter, nachdem die Fundamente seiner Existenz zerstört wurden, wie bewältigt er traumatische Ereignisse bis hin zu Morden, die er aus nächster Nähe beobachten musste? Diese Frage wird durch die Erzählkonstruktion unvermeidlich in den Raum gestellt. Es bleibt aber eine Leerstelle, denn die fünfzig Jahre zwischen dem jugendlichen Chaos und Dells ordnungsgemäßer Pensionierung als Englischlehrer spart der Roman aus. Das hat zur Folge, dass sich Fords Erzähler ersatzweise oft in klischeehaften Schicksalsbeschwörungen ergeht, von alles verändernden "Weichenstellungen" raunt und die nachhaltigen Wirkungen der elterlichen Verbrechensidiotie floskelhaft-ungelenk dahin behauptet, obwohl sie doch kein Leser in Zweifel ziehen würde: "Mit anderen Worten: meine Kindheit war unter der Wucht ihres furchtbaren Absturzes praktisch begraben." Großer Stil ist das nicht.
Eine Qualität des Romans ist dagegen Fords geradezu überpräzise Menschendarstellung - ob Dells Eltern, ob Arthur Remlinger und der Indianer Charlie Quarters, diese beiden unheimlichen Portalsfiguren in ein beschädigtes Leben, ob die beiden Polizisten, die den Eltern nach einem langen, unguten "Gespräch" schließlich Handschellen anlegen, oder die beiden Ermittler, die von Detroit dreitausend Kilometer nach Kanada hinauffahren, bloß um von Remlinger erschossen zu werden, vorher aber noch eine beklemmende Gesprächsszene mit ihrem Mörder absolvieren, in der die ganze nackenschwitzende Unbehaglichkeit der Detektivarbeit deutlich wird -, all diese Figuren stellt Ford so plastisch auf die Erzählbühne, dass es ein Lesevergnügen ist. Die treffende Beschreibung ist seine Stärke, Formulierungen, die Details an einem Menschen, einem Tier, einer Landschaft, einem Zimmer, einem Ding lupenscharf fixieren, und sei es nur ein angebranntes Steak, "hart wie eine Schindel".
Schon in früheren Werken war Ford ein Meister darin, die Erwachsenenwelt aus der Perspektive Jugendlicher zu schildern, wie einen nahen, zugleich aber sehr fremden Kontinent, wo sich jederzeit - und in aller Beiläufigkeit - Entsetzliches ereignen kann. Bedrohlich wirkt die männliche Kumpanei der Gänsejäger; ein reales Schreckgespenst ist die grimmige Nonne, die Dell unversehens beschimpft und aus der Schule vertreibt. Er sehnt sich ja in Kanada nach einem normalen Leben mit Schulbesuch und gesunden Hobbys wie Schach und Bienenzucht, und als er einmal auf eigene Faust mit dem Fahrrad dreißig Kilometer zu einem abgelegenen Landschulheim fährt, um sich dort vielleicht anzumelden, ist das ausgerechnet ein christliches Internat für "gefallene Mädchen", regiert von der fuchtelnden Nonne. Am einprägsamsten aber ist jene Szene, in der Dell mit Remlinger im Auto unterwegs ist. Plötzlich sind Fasane vor ihnen auf der Straße. Remlinger fährt ungerührt in vollem Tempo über die Vögel hinweg, sie klatschen gegen die Windschutzscheibe oder werden zu explodierenden Federhaufen. Das ist ebenso anschaulich wie symbolisch. Und verheißt, wieder einmal, nichts Gutes.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Ford: "Kanada".
Roman.
Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2012. 464 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Natürlich schreibt Ford keinen gewöhnlichen Krimi. Nicht nur, weil immer schon vorher verraten wird, was passiert. Sondern auch, weil sich Krimis in der Regel nicht die Frage stellen, ob Verbrecher Kinder haben - und was die Taten der Eltern bei ihnen anrichten. Der erste Teil des Romans spielt in Great Falls, Montana, um das Jahr 1960. Eine ganz normale disharmonische Familie: Mutter Neeva ist jüdischer Abstammung und arbeitet als Lehrerin; Vater Bev Parsons hat im Weltkrieg Bomben auf Japan hageln lassen, später ist er mit der Army viel umgezogen, so dass die Kinder, Dell hat eine Zwillingsschwester, nirgends Wurzeln schlagen konnten. Er versucht sich glücklos als Autohändler und hilft der Familie mit illegalem Fleischhandel auf. Die Indianer, mit denen er sich einlässt, bedrohen ihn, als für eine Ladung Gammelfleisch das Geld ausbleibt. So entsteht der Plan eines rettenden Banküberfalls, die Beute ist gering, die Konsequenz riesig: Die Eltern müssen ins Gefängnis, die Familie ist zerschlagen.
Vermittelt über eine Freundin der Mutter, findet Dell Zuflucht in der kanadischen Prärie, bei Arthur Remlinger, dem Besitzer eines Jagdhotels. Er bekommt es mit rauhen Kerlen zu tun, mit Jägern und Fallenstellern, nicht gerade pädagogisch wertvoller Elternersatz. Und wer über die Grenze geht, trifft auf andere, die über die Grenze gegangen sind. Remlinger hatte gute Gründe, sich in Saskatchewan zu verstecken: Als junger Mann war der Anarchist und Gewerkschaftsfeind beteiligt an einem Bombenanschlag, der einen Funktionär zerfetzte. Noch immer wird der Täter gesucht. Remlingers Leben ist ein Versteckspiel. Die dunkle Vergangenheit holt ihn ein, und für Dell wird Kanada zum menschlichen Albtraum.
Ford lässt Dell als Mittsechziger im fernen Rückblick berichten. Die distanzierte Erzählperspektive schafft ein Dilemma. Sie ist einerseits notwendig, weil der fünfzehnjährige Junge von den Dingen, die um ihn geschehen, allenfalls eine Ahnung hat - er registriert viele bedrohliche Zeichen, und eine Atmosphäre der Angst durchzieht seine Geschichte. Selten gab es in einem Roman mehr bedrohliche Vorzeichen. Für einen präzisen Realismus à la Ford muss allerdings ein Erzähler her, der nicht nur die Schrecken seiner Jugend erinnert, sondern inzwischen auch die zahlreichen Informationslücken (etwa über den genauen Ablauf des Bankraubs) glaubhaft gefüllt hat. Wie aber lebt ein Mensch weiter, nachdem die Fundamente seiner Existenz zerstört wurden, wie bewältigt er traumatische Ereignisse bis hin zu Morden, die er aus nächster Nähe beobachten musste? Diese Frage wird durch die Erzählkonstruktion unvermeidlich in den Raum gestellt. Es bleibt aber eine Leerstelle, denn die fünfzig Jahre zwischen dem jugendlichen Chaos und Dells ordnungsgemäßer Pensionierung als Englischlehrer spart der Roman aus. Das hat zur Folge, dass sich Fords Erzähler ersatzweise oft in klischeehaften Schicksalsbeschwörungen ergeht, von alles verändernden "Weichenstellungen" raunt und die nachhaltigen Wirkungen der elterlichen Verbrechensidiotie floskelhaft-ungelenk dahin behauptet, obwohl sie doch kein Leser in Zweifel ziehen würde: "Mit anderen Worten: meine Kindheit war unter der Wucht ihres furchtbaren Absturzes praktisch begraben." Großer Stil ist das nicht.
Eine Qualität des Romans ist dagegen Fords geradezu überpräzise Menschendarstellung - ob Dells Eltern, ob Arthur Remlinger und der Indianer Charlie Quarters, diese beiden unheimlichen Portalsfiguren in ein beschädigtes Leben, ob die beiden Polizisten, die den Eltern nach einem langen, unguten "Gespräch" schließlich Handschellen anlegen, oder die beiden Ermittler, die von Detroit dreitausend Kilometer nach Kanada hinauffahren, bloß um von Remlinger erschossen zu werden, vorher aber noch eine beklemmende Gesprächsszene mit ihrem Mörder absolvieren, in der die ganze nackenschwitzende Unbehaglichkeit der Detektivarbeit deutlich wird -, all diese Figuren stellt Ford so plastisch auf die Erzählbühne, dass es ein Lesevergnügen ist. Die treffende Beschreibung ist seine Stärke, Formulierungen, die Details an einem Menschen, einem Tier, einer Landschaft, einem Zimmer, einem Ding lupenscharf fixieren, und sei es nur ein angebranntes Steak, "hart wie eine Schindel".
Schon in früheren Werken war Ford ein Meister darin, die Erwachsenenwelt aus der Perspektive Jugendlicher zu schildern, wie einen nahen, zugleich aber sehr fremden Kontinent, wo sich jederzeit - und in aller Beiläufigkeit - Entsetzliches ereignen kann. Bedrohlich wirkt die männliche Kumpanei der Gänsejäger; ein reales Schreckgespenst ist die grimmige Nonne, die Dell unversehens beschimpft und aus der Schule vertreibt. Er sehnt sich ja in Kanada nach einem normalen Leben mit Schulbesuch und gesunden Hobbys wie Schach und Bienenzucht, und als er einmal auf eigene Faust mit dem Fahrrad dreißig Kilometer zu einem abgelegenen Landschulheim fährt, um sich dort vielleicht anzumelden, ist das ausgerechnet ein christliches Internat für "gefallene Mädchen", regiert von der fuchtelnden Nonne. Am einprägsamsten aber ist jene Szene, in der Dell mit Remlinger im Auto unterwegs ist. Plötzlich sind Fasane vor ihnen auf der Straße. Remlinger fährt ungerührt in vollem Tempo über die Vögel hinweg, sie klatschen gegen die Windschutzscheibe oder werden zu explodierenden Federhaufen. Das ist ebenso anschaulich wie symbolisch. Und verheißt, wieder einmal, nichts Gutes.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Ford: "Kanada".
Roman.
Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2012. 464 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Nach seinem letzten großen Roman wollte Richard Ford eigentlich nur noch kleine Bücher schreiben. ,Kanada' ist in jeder Hinsicht etwas anderes geworden: mehr als vierhundert Seiten dick, brillant komponiert, mit einem riesigen Thema: wie man mit Verlusten lebt. Es geht also um Amerika." Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.07.12 "Richard Ford erzählt in seinem neuen Roman ,Kanada' in erhabener Monochromie vom kleinen und großen Grenzverkehr zwischen Gut und Böse." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 25.08.12 "Vierzig Jahre lang hat Richard Ford von den Brüchen im amerikanischen Zusammenleben erzählt und wie die Menschen damit hadern. Jetzt, mit 68, hat er ein Buch über Demut geschrieben und über das Einverständnis mit dem Schicksal." Philipp Oehmke, Der Spiegel, 27.08.12 "Sein bisher bestes Buch." Wolfgang Herles, ZDF das blaue Sofa, 14.09.12 "Er ist und bleibt ein Meister der überpräzisen Menschendarstellung: Der neue Roman ,Kanada' von Richard Ford ist auch ein halber Krimi." Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.12
Gebundenes Buch
Ich mag die amerikanischen Familienromane, wie z.B. die Bücher von John Irving „Last night in twisted river“ oder „The world according to garp“; oder „Freedom“ von Jonathan Frantzen. Auch wenn sie überlaufen von konstruierten Situationen, in denen Sex …
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Ich mag die amerikanischen Familienromane, wie z.B. die Bücher von John Irving „Last night in twisted river“ oder „The world according to garp“; oder „Freedom“ von Jonathan Frantzen. Auch wenn sie überlaufen von konstruierten Situationen, in denen Sex und Gewalt dominieren. Das macht sie bis zu einem gewissen Grade auch wieder unerträglich. Aber sie langweilen mich nicht, und es gibt immer etwas, finde ich, das herausragend beschrieben wird und über das nachzudenken sich lohnt. Im Gegensatz zur neueren deutschen Literatur der jüngeren Generation, die mich nichts anderes als überwiegend langweilt.
Mir gefällt, ganz im Sinne des Vorangehenden, auch das Buch „Canada“ von Richard Ford, das ich in Englisch gelesen habe. In diesem Buch halten sich Sex und Gewalt in Grenzen; aber es ist ähnlich unwirklich wie Irvings Geschichten:
Die ungleichen Eltern rauben eine Bank aus, um ihre Ehe-Probleme zu lösen; der Mann um mit dem Geld die Ehe aufrecht zu erhalten, die Frau um mit dem Geld die Ehe zu beenden und zusammen mit ihren Zwillings-Kindern ein neues Leben zu starten. Der Bankraub mißlingt, weil dilettantisch vorbereitet, die Eltern müssen ins Gefängnis und die Zwillinge werden getrennt. Der Junge mit dem eigentümlichen Vornamen Dell ( ich mußte immer wieder an den Computer Hersteller denken) wird vor dem Zugriff des amerikanischen Jugendamtes in Canada verborgen gehalten, lebt dort in einer Hütte („shack“) und muß als Kind eine andere, aber nicht bessere Welt als im Haus der Eltern akzeptieren; das Mädchen mit dem eigentümlichen Vornamen Berner setzt sich ab und lebt bis zu ihrem Ende ein unglückliches Leben in unübersichtlichen Verhältnissen.
Eigentlich kann das, was Ford erzählt, so nicht passieren, und doch habe ich beim Lesen die Geschichte als Realität empfunden, wie das? Ich glaube, weil die Gestalten selbst, allesamt skurrile und randständige Erscheinungen, eine Wirklichkeit aufbauen, die mit der tagtäglichen wenig zu tun hat, aber eine mögliche Variante derselben sein könnte.
Und sehr zu Herzen geht. Die Szene, als die Geschwister die Eltern im Gefängnis besuchen und zumindest ahnen, dass sie sich nicht wieder sehen werden (Kap. 36+37), diese Szene ist herzzerreißend. Fords Dialoge im Gefängnis spiegeln die ganze Vergeblichkeit, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit, die dieser Familie innewohnt, und es ist die Dürre in seinen Worten, diese unsägliche Dürre, die die Reduziertheit der Gefühle in der Familie glaubwürdig vermittelt. Gefühle wollen hochkommen, aber sie können sich nicht entfalten, denn sie haben keine Basis, die Beziehungen zwischen den Kindern und Eltern geben nichts her, sie sind, trotz gelegentlich verzweifelter Anstrengungen, nur Fragmente, denen das Gemeinsame fehlt.
Was dann folgt, die Entwicklung von Dell in Canada in einer wiederum skurrilen, umgedrehten Gesellschaft, halte ich für schwächer; vielleicht weil kaum mehr von Berner die Rede ist, die ich für die stärkere Figur des Romans halte.
Zum Schluß dann noch einmal Lebensweisheit; Ford sagt (sinngemäß): „toleriere den Verlust, dann hast du eine bessere Chance, zu überleben. Erhalte das Gute, auch wenn es schwer zu finden ist. Wir alle versuchen es.“
Ich habe es auch versucht, zum Beispiel mit „Canada“. Aber dort das Gute zu finden ist tatsächlich nicht leicht. Ich fand eher das Böse, aber wie tröstlich, dass es eben doch nur das Böse in Fords Buch ist.
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