Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 2,50 €
  • Broschiertes Buch

Inhalt, Hintergrund, Interpretation. Mit Personenschaubild auf der Infoklappe.

Produktbeschreibung
Inhalt, Hintergrund, Interpretation. Mit Personenschaubild auf der Infoklappe.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2007

Wundervolles Deutsch
Jurek Becker liest „Jakob der Lügner”
Wie alt Jurek Becker war, als er 1976 in Berlin im Studio für eine jetzt neu herausgegebene Sprechplatte Auszüge aus seinem berühmten Roman vorlas, ist nicht genau zu sagen. Er und seine Eltern wurden getrennt voneinander aus dem Ghetto in Lodz in deutsche Konzentrationslager verschleppt, Jurek Becker erst nach Ravensbrück, später nach Sachsenhausen. Unter den Ermordeten der Familie befand sich auch seine Mutter; der Vater überlebte das KZ Auschwitz und fand den Sohn mit Hilfe amerikanischer Hilfe wieder. Dass Jurek Becker vierzig Jahre alt war, 1976, geht auf eine Entscheidung seines Vaters zurück, der ihn im Ghetto älter genannt hatte, weil die Deutschen ihn seinen Eltern sonst noch eher weggenommen hätten. Der 30. September 2007 galt daher als sein siebzigster Geburtstag.
Der Vater von Jurek Becker entschied 1945 auch, mit dem Sohn in Ost-Berlin zu bleiben. In der Hörbuchausgabe befindet sich ein Beiheft mit einem Aufsatz Beckers, worin er ein wenig spekuliert: Sein Vater hatte wohl angenommen, dass der Antisemitismus dort, wo seine härtesten Züge ausgebildet worden waren, am stärksten bekämpft werden würde. In Polen dagegen gab es kaum noch Juden, aber einen tief verwurzelten Antisemitismus, der die wenigen noch härter treffen würde.
So lernte Jurek Becker die deutsche Sprache als etwa Achtjähriger in Berlin. Er spricht auf dem Hörbuch eine wundervolles Deutsch. Erstens als Schriftsteller: Alle seine Sätze klingen weich. Er hat als Kind eine bestimmte Ausprägung der deutschen Sprache gelernt und sich aus den Nuancen des Berliner Jargons diese regionale Mischung aus Lethargie und Humor zu eigen gemacht, die eine molochartige Mietskasernenstadt im flachen Brandenburgischen einst entwickelte, um Elend zu ertragen. Seine Erzählung fließt in einem gleichmütigen Ton über Bodenwellen und Klippen der Schicksalslandschaft in einem Ghetto, wo einer ein Radio erfindet und feststellt, dass seine fiktiven Meldungen über das Nahen der sowjetischen Befreier Suizide verhindern.
Zweitens ist er wundervoll als deutscher Sprecher: Jurek Becker lässt keinen Dialekt oder Jargon hören, aber einen leicht schleppenden Ton. Der entsteht, wenn man die Vokale leicht singsangt und die Konsonanten hineinsetzt, weil man zu faul ist, alle Instrumente des Sprechkastens in der korrekten Reihenfolge zu benutzen, was gerade das Deutsche so hart macht.
Mit locker eingehängtem Unterkiefer quasselt sich der Typ „gemütlicher Berliner” unkorrekt durch den Tag. Becker ist dabei aber nicht zu nachlässig, verschluckt Silben nicht, schleift sie nur ab; er berlinert nicht. Er spricht Hochdeutsch mit Berliner Pastellfärbung, die ihm zum zauberhaften Wohlklang gerät. Er strapaziert auch seine Stimme nicht für Reinheit und Lautstärke, überaus charmant schmilzt sie vielmehr die Risse zusammen, die bei dieser Art Nachlässigkeit entstehen müssen.
Die Lesung dauert nur eine Stunde, umfasst aber die Rahmenhandlung des knapp 300 Seiten schweren Romans.
MARTIN Z. SCHRÖDER
JUREK BECKER: Jakob der Lügner. Roman. Gekürzte Lesung des Autors. 59 min. Produktion: Litera 1976. Hörverlag, München 2007, 1 CD, 14,95 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr