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Ein Zwiegespräch mit Johanna Spyri, der "Heidi"-Autorin. Als faszinierende doch unnahbare Frau läßt Regine Schindler sie lebendig werden - ein literarisches Spiel auf mehreren Ebenen, in dem sich spannende Recherchen spiegeln. Daß Frau Stadtschreiber Spyri nach ihrer Mutter Meta Heusser sucht, die ein aufschlußreiches Tagebuch hinterlassen hat, eröffnet überraschende Perspektiven.

Produktbeschreibung
Ein Zwiegespräch mit Johanna Spyri, der "Heidi"-Autorin. Als faszinierende doch unnahbare Frau läßt Regine Schindler sie lebendig werden - ein literarisches Spiel auf mehreren Ebenen, in dem sich spannende Recherchen spiegeln. Daß Frau Stadtschreiber Spyri nach ihrer Mutter Meta Heusser sucht, die ein aufschlußreiches Tagebuch hinterlassen hat, eröffnet überraschende Perspektiven.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.1997

Wagners Knie an ihrem Knie
Biographenlyrik: Zwei Bücher erzählen das Leben Johanna Spyris

Was es mit "Heidi" von Johanna Spyri auf sich hat, kann einem jeder erklären: Das tränenreiche Heimwehbuch von der saftigen Almwelt mit Geißenpeter und Alm-Öhi, von der bösen Großstadt und der Rückkehr in die gesunde Schweizer Luft ist ein ungebrochener Welterfolg, den erst neuerdings ein besonders häßlich und billig gemachter, gleichwohl offenbar beliebter Trickfilm einer Kindergeneration nahegebracht hat, für die unnachsichtige Gouvernanten nur noch Märchenfiguren aus dem Reich der Hexen und Feen sind.

Die erste Überraschung, die "Heidi" bietet, wenn man das vermeintlich bekannte Buch dann doch noch einmal aufschlägt, ist der Artikel dieses von Adelheid abgeleiteten Rufnamens: "Das Heidi" heißt es bei Johanna Spyri, und "das Heidi" ist natürlich ein ganz anderes Wesen als "die Heidi". "Das Heidi" ist eben keine braungebrannte Skilehrerin, die den müden Großstädtern mit Sport und Diät auf die Sprünge hilft. Unmöglich, in "dem Heidi" nicht das Heidenkind mitzuhören, den puckhaften kleinen Barbaren. Die Gegenfigur, die von zahlreichem Hauspersonal durchs Leben getragene kranke Klara, verkörpert die von den Kraftquellen der Natur längst abgeschnittene, hinfällige Zivilisation, deren technische Triumphe nur die Funktion eines Rollstuhls für schon in der Jugend ausgeblutete Generationen übernehmen können.

Aber das Heidi ist nicht Freitag. Seine Wildheit ist Verwilderung. Nur der gute Charakter des kleinen Mädchens hat es vor Verwahrlosung bewahrt, denn die Einsamkeit auf der Alm ist kein seliges Tahiti, sondern die Folge von Verbitterung und Menschenfeindlichkeit des Großvaters. In Heidis und Klaras Freundschaft stützt sich die Lahme auf die Blinde. Das gute Ende, die Domestizierung der Wilden und die Belebung der Zahmen, ist ein individueller Glücksfall. Über die Zukunft der Zivilisation wollte Johanna Spyri damit nichts aussagen.

Etwas Unheimliches liegt über der Gemeinschaft des verschlossenen alten Mannes mit dem unter den Druck seiner Zuneigung gesetzten hilflosen Kind. Mignon und der Harfner, Stifters Albtraum "Turmalin" und Dickens' "Old Curiosity Shop" schweben als drohende Wolkengebilde über der lachenden Almlandschaft, und auch die von der Gesellschaft ausgestoßenen Einsiedler des Wilhelm Raabe sind nicht fern. Es gibt einen Komment der Harmlosigkeit, den der Leser des neunzehnten Jahrhunderts beachtet wissen wollte, aber diese strenge Zucht brachte die Autoren im besten Fall dazu, ihre Gewürze fein zu dosieren und die Kunst der Andeutung zu entwickeln. "Heidi" ist in makelloser Sprache abgefaßt, schlank, nüchtern und nicht ohne Komik. Das Buch steht in den Buchhandlungen meist unter der Abteilung "Kinderbuchklassiker". Da steht es zu Recht. Es ist ein klassisches Werk.

Johanna Spyri war Witwe, als sie "Heidi" schrieb, ihre Karriere als Schriftstellerin folgt langen Jahren, in denen sie ihrem Mann, dem Züricher Stadtschreiber - das ist ein hohes Regierungsamt -, den Haushalt geführt hatte. Ein verborgenes Leben, wie die Mystiker sagen würden. Aber es war ein Leben, das die spätere Autorin mit den größten Künstlern der Zeit zusammenbrachte. Der Ehemann war in Richard Wagners Not- und Kampfzeiten in Zürich der getreueste Paladin des Meisters, Wagner wurde einer der engsten Freunde des Hauses - bis Spyri unversehens alle Verbindungen abbrach und nie wieder eine Zeile über Wagner in der Zeitung veröffentlichte, nachdem er zuvor in zahlreichen Artikeln für die neue Musik gestritten hatte.

Conrad Ferdinand Meyer war gleichfalls ein Bewunderer und vertrauter Freund der Johanna Spyri. Von ihm stammt eines der überraschendsten Angebote, das die literarische Phantasie wohl zu beschäftigen vermag: die Biographie der Johanna Spyri zu schreiben. Welch ein Werk hätte der geniale Klassizist, der mit "Jürg Jenatsch" einen Marmorblock zur Errichtung der Schweizer Legende beigetragen hat, aus dem Leben der Schöpferin eines weiteren Teils der Schweizer Legende gemacht? Die Quintessenz des Schweizertums ist uns verlorengegangen, als Johanna Spyri ablehnte, dem großen Kollegen das erforderliche Material zu liefern.

So haben sich nun also andere an den schwierigen, nicht leicht zugänglichen Stoff machen müssen. Gleich zwei Erzählungen des Lebens der Johanna Spyri liegen jetzt vor, "Der erschriebene Himmel - Johanna Spyri und ihre Zeit" von Jean Villain, einem Nachfahren der Spyri, der aus dem bequemen Zürich im Jahr 1961 in die DDR übergesiedelt ist, und "Johanna Spyri - Spurensuche" von Regine Schindler, einer Kinderbuchautorin und Trägerin eines theologischen Ehrendoktors. Beide Werke sind reich an Informationen; die Autoren haben Archive und Korrespondenzen durchpflügt und eine beeindruckende Faktenfülle zusammengetragen, einen Wissensschatz.

Aber dieser Schatz ist, wie sich das für Schätze gehört, nicht ohne weiteres zugänglich. Ein Drache liegt davor: Es ist der Stil, in dem die Werke abgefaßt sind. Nein, es verbietet sich, diese mit Liebe und Leidenschaft zu ihrem hochbedeutenden Gegenstand abgefaßten Biographien jetzt genüßlich zu zerpflücken. Nur zwei Kostproben. Erstens Villain: "Wagner . . . kommt ihr derart nahe, daß sie seinen Atem spürt, streift mit seinem Knie das ihre, kommt ihr immer näher . . . Angstlust, Enge, Schwindel . . . Nichts da! Steht doch in der Zimmerecke Spyri!" Zweitens Schindler: "Ich trete bei Dir ein, Johanna, und frage Dich, ob Du es aushältst, Du, die Du über die Sommerhitze in der Stadt sonst stets gestöhnt hast . . . Du schreibst, schreibst. Du schreibst um die Wette mit Dir selbst, mit Deiner Angst um Dein einziges Kind, den kranken, hustenden Sohn." So schlimm sei das doch gar nicht? Das könne man schon ein Weilchen aushalten? Um so besser - dann lese man diese Bücher und erfahre viel Bewegendes und Überraschendes aus dem Leben einer allzu berühmten unbekannten Schriftstellerin. MARTIN MOSEBACH

Jean Villain: "Der erschriebene Himmel - Johanna Spyri und ihre Zeit". Verlag Nagel & Kimche, Zürich 1997. 392 S., geb., 39,80 DM.

Regine Schindler: "Johanna Spyri - Spurensuche". Pendo Verlag, Zürich 1997. 356 S., Abb., geb., 39,80 DM.

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