Seit Vater ausgezogen ist, will Mutter Karola genannt werden. Für Jette ist Karola wirklich wie eine Freundin, und außerdem ist sie wunderschön. Wenn Jette sich dennoch manchmal allein fühlt, träumt sie sich einfach woanders hin. "Du hast zu viel Fantasie", sagt Karola oft. Als Jette Herrn Topf, den alten Buchhändler kennen lernt, eröffnet er ihr eine ganz neue Welt. Jette kommt aus dem Staunen nicht heraus, was der alte Büchernarr alles zu erzählen weiß. Da werden Tom Sawyer, der kleine Herr Muck oder Jettchen Gebert auf einmal lebendig. Karola aber sieht es gar nicht gerne, wenn Jette ganze Tage in dem Buchladen verbringt. Und dann kommt ein furchtbarer Verdacht auf, mit dem Jette fertig werden muss.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.1996Jette bei den Büchern
Von den Folgen des bloßen Verdachts
"Die Strenge des Begriffs, die Anmut des Gemäldes - beide Eigenschaften in inniger Wechselwirkung und Vereinigung machen den Poeten eigentlich aus." So einfach Schillers Theorem klingt, es gelingt selten. Einer, der seit Jahren diese fast anachronistisch anmutende Sorgfalt und Präzision pflegt, ist Peter Härtling. In seinem jüngsten Kinderbuch, mehr Novelle als Roman, erzählt er von der zwölfjährigen Jette, die seit dem Weggang des Vaters alleine mit ihrer Mutter lebt. Härtling bleibt nah an seiner Figur, ohne dabei das Terrain traditionellen Erzählens zu verlassen. Er stellt ausschließlich dar, was innerhalb ihres Blickfeldes geschieht; dabei verschränkt er kunstvoll Beschreibung mit Dialog und veranschaulichenden Erzähltechniken, läßt Motive und Symbole miteinander korrespondieren.
Nichts ist, wie es war oder wie Jette es sich wünscht. Beginnende Pubertät, zerstörte Familienstruktur und eine Mutter, die über vieles selbst noch Klarheit sucht, lassen sie einsam werden und in Tagträume versinken. Die Suche nach Orientierung führt sie in den Grenzbereich der Poesie, zu zwei skurrilen alten Buchhändlern. Die Erzählung ist auf diesen Punkt hin komponiert, so daß es logisch und schicksalhaft zugleich erscheint, daß Jette sich mit den beiden Männern anfreundet. Als diesem kleinen Glück mißtraut wird, ist Jette verletzter und einsamer als zuvor. Psychologisch stimmig variiert Härtling das übliche Opfer-Täter-Schema der Mißbrauchsthematik und problematisiert die Folgen des bloßen Verdachts.
Die Großstadtszenerie Berlin sowie das Figurenensemble bleiben indes reine Kulisse; sie sind für die Handlung funktionalisiert und nur schemenhaft grau in grau gehalten, wodurch die Erzählung stellenweise konstruiert wirkt; Jette selbst aber ist die anmutige Verkörperung einer modernen einsamen Kinderfigur. INA NEFZER.
Peter Härtling: "Jette". Beltz & Gelberg, Weinheim 1995. 136 S., geb., 22,- DM. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von den Folgen des bloßen Verdachts
"Die Strenge des Begriffs, die Anmut des Gemäldes - beide Eigenschaften in inniger Wechselwirkung und Vereinigung machen den Poeten eigentlich aus." So einfach Schillers Theorem klingt, es gelingt selten. Einer, der seit Jahren diese fast anachronistisch anmutende Sorgfalt und Präzision pflegt, ist Peter Härtling. In seinem jüngsten Kinderbuch, mehr Novelle als Roman, erzählt er von der zwölfjährigen Jette, die seit dem Weggang des Vaters alleine mit ihrer Mutter lebt. Härtling bleibt nah an seiner Figur, ohne dabei das Terrain traditionellen Erzählens zu verlassen. Er stellt ausschließlich dar, was innerhalb ihres Blickfeldes geschieht; dabei verschränkt er kunstvoll Beschreibung mit Dialog und veranschaulichenden Erzähltechniken, läßt Motive und Symbole miteinander korrespondieren.
Nichts ist, wie es war oder wie Jette es sich wünscht. Beginnende Pubertät, zerstörte Familienstruktur und eine Mutter, die über vieles selbst noch Klarheit sucht, lassen sie einsam werden und in Tagträume versinken. Die Suche nach Orientierung führt sie in den Grenzbereich der Poesie, zu zwei skurrilen alten Buchhändlern. Die Erzählung ist auf diesen Punkt hin komponiert, so daß es logisch und schicksalhaft zugleich erscheint, daß Jette sich mit den beiden Männern anfreundet. Als diesem kleinen Glück mißtraut wird, ist Jette verletzter und einsamer als zuvor. Psychologisch stimmig variiert Härtling das übliche Opfer-Täter-Schema der Mißbrauchsthematik und problematisiert die Folgen des bloßen Verdachts.
Die Großstadtszenerie Berlin sowie das Figurenensemble bleiben indes reine Kulisse; sie sind für die Handlung funktionalisiert und nur schemenhaft grau in grau gehalten, wodurch die Erzählung stellenweise konstruiert wirkt; Jette selbst aber ist die anmutige Verkörperung einer modernen einsamen Kinderfigur. INA NEFZER.
Peter Härtling: "Jette". Beltz & Gelberg, Weinheim 1995. 136 S., geb., 22,- DM. Ab 10 J.
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