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Schon einmal hat V. S. Naipaul vier nichtarabische Länder besucht, in denen Muslime leben. Sechzehn Jahre später bereist er sie aufs Neue, um mit geschärftem Blick dort anzuknüpfen, wo er damals aufgehört hatte.

Produktbeschreibung
Schon einmal hat V. S. Naipaul vier nichtarabische Länder besucht, in denen Muslime leben. Sechzehn Jahre später bereist er sie aufs Neue, um mit geschärftem Blick dort anzuknüpfen, wo er damals aufgehört hatte.
Autorenporträt
Vidiadhar Surajprasad Naipaul, geb. 17.8.1932 in Trinidad, lebt seit 1950 in Großbritannien. Der Romancier, Reiseschriftsteller und Journalist indischer Herkunft gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischsprachigen Literatur. Seine Romane 'Ein Haus für Mr. Biswas' und 'An der Biegung des großen Flusses' sowie das Sachbuch 'Eine islamische Reise' waren Welterfolge. Die meisten seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt. 2001 wurde V. S. Naipaul der Literatur-Nobelpreis verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Das Lachen der Verstümmelten
Ein Mann mit wachem Sinn für den Schmerz und die Gewalt: V. S. Naipauls berichtet von seiner zweiten islamischen Reise
Sobald ein Buch auch nur von fern an bestimmte Themen rührt, fragt man ihm nicht mehr seine Einsichten ab, sondern nur noch die Partei. Insbesondere gilt das für die alte Gretchenfrage in ihren beiden modernen Verzweigungen: Wie hast du's mit dem Judentum? Und wie mit dem Islam? Was den Islam betrifft, so gibt es zwei komplementäre Fraktionen, die einander an Selbstgerechtigkeit wenig nachgeben. Dem Ritterorden von den westlichen Werten, angeführt von Oriana Fallaci, steht der Club der Multikulturellen gegenüber, mit ihrer Blanko-Toleranz, die sie keinen Pfennig kostet. Man ist dagegen, oder man ist dafür; und nichts geht denen, die dafür sind, leichter von den Lippen als der Kriegsschrei: Er ist dagegen!
„Er”, das ist am liebsten V. S. Naipaul. Dieser Autor hat schon oft Interviews und Podiumsdiskussionen abgebrochen, wenn ihm in den Fragen diese plumpe Feindseligkeit entgegenschlug. Genutzt hat es wenig. Gerade ist auf Deutsch sein zweites Buch über den Islam erschienen, und um es gleich mit aller Deutlichkeit zu sagen: Naipaul mag den Islam nicht, und zwar aus den gewichtigsten Gründen. Die sechshundert Seiten, die er seinem Gegenstand widmet, sind keinesfalls zu viel; denn er hat sie auf eine Reise verwandt. Das heißt, er fragt nicht müßigerweise danach, wie „wir” uns zum Islam verhalten sollen, sondern was der Islam für die Menschen selbst bedeutet, die in und unter ihm zu leben haben.
Der alte iranische Diplomat
Die vier Länder, die er aufsucht, sind dieselben, in denen er schon knapp zwanzig Jahre zuvor gewesen war: Indonesien, Iran, Pakistan, Malaysia. Die Auswahl ist tendenziös und arbeitet der Kritik bereits vor; es handelt sich um nicht-arabisches Gebiet, dem die wesenhaft arabische Religion übergestülpt worden ist. In dieser weit gespannten Region, die sich vom östlichen Vorderasien bis an den Pazifik erstreckt, verkörpert der Islam nicht die Tradition, sondern steht im Gegenteil zur örtlichen Geschichte in tödlicher Fehde, mit der altpersischen Kultur ebenso wie mit der komplexen sozialen Schichtung des Hinduismus und den Geistern des malayischen Dschungels. Naipauls erkenntnisleitendes Interesse gilt diesem Krieg in allen seinen Phasen, den erreichten Waffenstillständen und dem heute mit neuer Energie aufflammenden Kampf. Und er setzt, wie in so vielen seiner Bücher, damit an, dass er mit den richtigen Leuten spricht.
Wer sind die Richtigen? Nun, zum Beispiel ein iranischer Diplomat, der den Ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran mitverfolgt hat. Der Iran führte einen Heiligen Krieg gegen das säkulare Regime von Saddam Hussein; aber das bedeutete fast nichts gegen den quälenden Umstand, dass der Irak arabisch war, der Iran jedoch nicht. Hussein verhöhnte seine Gegner als „Magier”, als Anhänger der Religion Zarathustras, sprach ihnen das Erstgeborenenrecht an dem von ihnen so innig geliebten Bekenntnis ab. „Der alte Diplomat war ein weiser und kultivierter Mann; und doch vermochte der Hohn, der aus dem Irak herüberschallte – und der wie die höhnischen Bemerkungen klang, die Kinder einander auf dem Schulhof an den Kopf werfen – , ihn zu verletzten: Hohn über die heidnische iranische Vergangenheit, eine Vergangenheit von Feueranbetung und Unglaube, die Vergangenheit vor der Ankunft des Islam, und auch der andere Hohn über die Art und Weise, wie der Islam in Iran Einzug gehalten hatte, nämlich durch die Araber, die als Eroberer kamen und den neuen Glauben mit Macht verbreiteten. (...) Persien blickte auf eine lange Geschichte zurück; in den nahezu tausend Jahren vor Qadesiah (der Entscheidungsschlacht im Jahr 637) war es eine Großmacht gewesen; es hatte sich mit Griechenland gemessen und Rom schwer zugesetzt. Aber diese Vergangenheit war jetzt begraben. Im Bewusstsein der Menschen begann die Geschichte Irans mit der Ankunft des Islam, das heißt, sie begann mit einer Niederlage. Das verlieh dem Glauben in Iran eine besondere Schärfe und dem Volk eine besondere Leidensbereitschaft.”
Die besondere Qualität von Naipauls Schreiben tritt hier hervor. Der persönlichen Begegnung und dem Affekt, der sich in ihr mitteilt, entbindet er mit einer jähen Wendung den allgemeinen Gehalt, den Gedanken, der den historischen Hintergrund öffnet. Denn dieser ist wirksam, auch wenn er nicht begriffen, sondern nur erlitten wird. Naipauls spekulativer Vorstoß springt hinweg über das Peter-Scholl-Latour-hafte Bescheidwissen, und landet im überraschenden Aufschluss. Die dämonische Bereitschaft zum bedingungslosen Opfer, die den Westen am Islam so sehr ängstigt, da er wohl weiß, dass sie den Schwachen stärker macht als den Starken: sie wird verstehbar als etwas Gewordenes. Naipaul besitzt einen wachen Sinn für den Schmerz Anderer und für die Gewalt, die dieser Schmerz ausbrütet.
Der pakistanische Despotismus
Nirgends benötigt er ihn dringender als in Pakistan; hier erreicht das Buch den Höhepunkt seiner Deutungskraft. Den Hauch von Unglück, der dieses Land umgibt, kann jeder spüren, der auch nur die Fernsehnachrichten verfolgt. Naipauls Analyse durchdringt das unbestimmt mulmige Gefühl. Es ist ein Land, das Selbstverständnis und Daseinsberechtigung allein aus seiner Religion bezieht und das doch zu seiner Schmach die indischen Muslime hat ausschließen müssen und Bangla Desh verlor, ein Land, das oberflächlicher und kürzer von der staatsstiftenden Kraft der britischen Kolonialherrschaft geprägt wurde als jeder andere Teil des Subkontinents, in seiner eigenen Sezession seinerseits sogleich vom Zerfall bedroht.
Naipaul sieht, wie die Pachtbauern den Großgrundbesitzern zur Begrüßung unterwürfig die Füße berühren, und erkennt darin die Fortdauer des Feudalismus und des Kastenwesens, die mit dem islamischen Rigorismus eine hässliche, unauflösbare Mischung eingegangen sind. Er sieht, wie der Vorsatz, einen persönlichen Glauben in einen Staatsapparat zu überführen, immer im selben Despotismus mündet, und dass der pakistanische Despotismus im Grunde eine Form der Ratlosigkeit bedeutet. Das Urteil des Buchs über den pakistanischen Islam des Gesetzes lautet unumwunden, er sei „restriktiv, grausam und einfältig”.
Grausame Gesellschaften faszinieren Naipaul; er hat in der Vergangenheit der spanischen, der afrikanischen und der indischen Grausamkeit nachgespürt. In Pakistan trifft er sich mit einer Frau, der ihr Ehemann „die Nase zerfleischt” hat, als sie wegen seiner Misshandlungen zur Polizei ging. Ihr gelang die Flucht. Naipaul ist erleichtert, dass „zerfleischt” sich nicht als abgeschnitten erweist, sondern nur mit einer glühenden Zange gequetscht; man sieht an den Nasenflügeln rosafarbenes, dunkelrot gesäumtes rohes Fleisch, und die Frau versucht nicht mehr, die Wunde zu verstecken. Sie lebt jetzt im Asyl einer Menschenrechtsgruppe, arbeitet zwei Tage pro Woche in einer Fabrik für Bandagen, trägt Plastikschuhe und einen rosa Rock, an dem sie ständig nestelt. „Nichts mache ihr mehr Freude, erklärte sie. Nur ihre Kinder wolle sie wiederhaben, weiter habe sie keinen Wunsch. Etwas allerdings war geschehen, seit sie vor ihrem Mann davongerannt war: Sie hatte keine Angst mehr.” ‘Sie ist hart wie Stein’, sagte Farzana (die Freundin und Dolmetscherin).”
Aber dann geschieht etwas Unerwartetes. „Und plötzlich fing sie an zu lachen. Sie lachte über mich, meine seltsamen Fragen, meine Kleidung, darüber, dass ich eine Dolmetscherin brauchte, um mich mit ihr unterhalten zu können. Das Lachen hatte sich in ihr aufgestaut, und als es losbrach, konnte sie es nicht unterdrücken; allerdings wandte sie sich höflichkeitshalber zur Seite und legte die Hand über den Mund und die geschundene Nase.” Was hat dieses Lachen zu bedeuten? Naipaul geht dieser Frage nicht nach. Das Lachen, die vieldeutigste, missverständlichste aller menschlichen Äußerungen, steht im Raum und schließt die Szene ab. Naipaul versteht, wann er etwas nicht verstanden hat. Er macht dem Leser begreiflich, dass die höchste Form der Klarheit zuweilen die Einsicht ist, wie unantastbar das Geheimnis bleibt. BURKHARD MÜLLER
V.S. NAIPAUL: Jenseits des Glaubens. Eine Reise in den anderen Islam. Aus dem Englischen von Monika Noll und Ulrich Enderwitz. Claassen Verlag, München 2002. 608 Seiten, 24 Euro.
Je näher man eine Religion ansieht, desto ferner blickt sie zurück: Nicht nur Gretchen stellt Gretchenfragen.
Foto: Regina
Schmeken
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