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Vertrauen besitzt für die Ökonomie wichtige Funktionen. So ist etwa die Rede von low trust societies und high trust societies, welche ganz unterschiedliche Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und die Entwicklung von Märkten und Institutionen bieten. Die kooperationsstützenden Funktionen von Vertrauen sind in einschlägigen Modellen der Institutionenökonomik und der Spieltheorie einschließlich der besonderen Bedeutung von Reputation hierfür gut nachvollziehbar. Überdies können in ökonomischen Modellierungen die Bedingungen für die Stabilität von Vertrauensmilieus gehaltvoll diagnostiziert…mehr

Produktbeschreibung
Vertrauen besitzt für die Ökonomie wichtige Funktionen. So ist etwa die Rede von low trust societies und high trust societies, welche ganz unterschiedliche Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und die Entwicklung von Märkten und Institutionen bieten. Die kooperationsstützenden Funktionen von Vertrauen sind in einschlägigen Modellen der Institutionenökonomik und der Spieltheorie einschließlich der besonderen Bedeutung von Reputation hierfür gut nachvollziehbar. Überdies können in ökonomischen Modellierungen die Bedingungen für die Stabilität von Vertrauensmilieus gehaltvoll diagnostiziert werden. Die eigentliche Herausforderung besteht für die Ökonomik in der Erklärung von Vertrauen im engeren Sinn, also in der Beantwortung der Fragen: Wie und unter welchen Bedingungen entstehen Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit als sozio-ökonomische Phänomene? Welche Bedeutung hat dies für die Analyse institutionenökonomischer Fragen? Die Antworten auf diese Fragen gewinnen angesichts der zunehmenden Aufmerksamkeit für Vertrauen und Vertrauenserosion in der Öffentlichkeit an Bedeutung. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die individualistische Ökonomik für diese Herausforderung besser gerüstet ist, wenn sie ihren Erklärungshorizont um methodische Zugänge und Perspektiven anderer Disziplinen erweitert. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die experimentelle Ökonomik im Ausleuchten von Vertrauen als sehr erfolgreich erwiesen. In diesem Band des Jahrbuchs werden experimentelle, evolutorische, makroökonomische, international vergleichende, informations- und institutionenökonomische Perspektiven ebenso dargestellt wie soziologische, psychologische und juristische Zugänge. InhaltMartin Held, Gisela Kubon-Gilke und Richard SturnÖkonomik des Vertrauens - Stellenwert von Vertrauen in der Ökonomik Bart NooteboomForms, Sources and Limits of Trust Markus Beckmann, Thomas Mackenbrock, Ingo Pies und Markus SardisonVertrauen, Institutionen und mentale Modelle Hartmut EsserRationalität und Bindung - Das Modell der Frame-Selektion und die Erklärung des normativen Handelns Torsten Tristan StraubVertrauen in Rechtssysteme und seine Bedeutung für Transaktionen Maren A. JochimsenVertrauen und Reputation in Sorgesituationen Friedrich L. SellVertrauen und Vertrauenserosion - Ökonomische Funktionen und Effekte Lucia A. ReischVerbraucherpolitik auf Vertrauensgütermärkten Linda PelzmannVertrauen in Geschäftsbeziehungen Cornelia StorzPersonales Vertrauen als Restriktion - Japan im internationalen Vergleich Simon Gächter und Christian ThöniVertrauen und Reputation: Beiträge der experimentellen Ökonomik
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2006

Rätselhaftes Vertrauen
Ökonomen zwischen Erklärungsversuch und Wirkungsanalyse

"Vertrauen ist das wichtigste ,Schmiermittel' eines sozialen Systems." Daß wir diese Einsicht keinem Politiker, sondern dem Ökonomen Kenneth Arrow verdanken, der hierauf bereits 1974 hinwies - dies und vieles mehr kann der Leser dem von Martin Held, Gisela Kubon-Gilke und Richard Sturn herausgegebenen Band "Reputation und Vertrauen" entnehmen. Arrow war damals einer der wenigen Wirtschaftswissenschaftler, die sich überhaupt mit Vertrauen in der Ökonomie beschäftigten. Dreißig Jahre später sieht die Lage deutlich anders aus. Die ökonomische Disziplin hat das Vertrauen als Gegenstand ihrer Forschung entdeckt. Davon zeugt auch dieser Band 4 des Jahrbuchs "Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik". Was ist Vertrauen? Wie läßt sich Vertrauen vor dem Hintergrund des ökonomischen Verhaltensmodells erklären? Und wie wirkt Vertrauen? Nach einer Einführung durch die Herausgeber, die sich gleich allen drei Fragen widmen, lassen sich die Beiträge dieses Bandes mehr oder weniger einer dieser Fragen zuordnen.

Die Autoren eint die Sicht, daß eine arbeitsteilige Marktwirtschaft nur funktioniert, wenn der einzelne darauf vertrauen kann, daß seine Transaktionspartner ihren Teil der Vereinbarung erfüllen. Gleichwohl ist ein solches Vertrauen eigentlich irrational - und dies ist das Dilemma, vor dem die ökonomische Disziplin steht. Wie kann man erklären, daß auch der rationale Homo oeconomicus vertraut beziehungsweise vertrauenswürdig ist? Während Bart Nooteboom hierauf erst zum Ende seines Beitrags eingeht, ist diese Frage der Hauptgegenstand der Beiträge von Hartmut Esser sowie des Autorenkollektivs, das sich aus Markus Beckmann, Thomas Mackenbrock, Ingo Pies und Markus Sardison zusammensetzt. Die Quintessenz, die sich dabei aufdrängt, ist die, daß das beschriebene Dilemma letztlich nicht zu lösen ist. Bleibt man bei dem heuristisch sehr fruchtbaren Bild des Menschen als rationalem Nutzenmaximierer, dann läßt sich Vertrauen nicht erklären.

Seit Adam Smith gründet sich die Bedeutung der Ökonomik darauf, daß sie Ergebnisse liefert, die der Intuition des Laien zunächst widersprechen. Beim Lesen des Beitrags der Gruppe um Beckmann ist es eher anders herum: Alles erscheint intuitiv einsichtig, aber letztlich bleiben die Zusammenhänge doch verschwommen. Da werden mentale Modelle bemüht, da wird auf den Zusammenhang mit den Regeln einer Gesellschaft verwiesen, aber es gelingt nicht, "den Pudding an die Wand zu nageln". Konkreter wird es da schon bei Esser, der ein Entscheidungsmodell der Wahl zwischen "spontan-automatischem" und "reflektierend-kalkulierbarem" Handeln vorstellt. Hier stellt sich allerdings die Frage nach der empirischen Operationalisierbarkeit eines solchen Modells für Prognosen. Wirklich überzeugen können die Beiträge somit nicht. Was bleibt, ist der Eindruck, daß der komparative Vorteil der ökonomischen Analyse nicht in der Erklärung von Vertrauen liegt, sondern vielmehr in der Analyse seiner Wirkungen.

Und in der Tat sind die fruchtbarsten Beiträge des Bandes diejenigen, deren Verfasser sich mit den Wirkungen von Vertrauen beschäftigen. So reflektiert Torsten Tristan Straub die Konsequenzen von Vertrauen auf Recht und umgekehrt. Maren Joachimsen untersucht die Bedeutung von Vertrauen in Situationen der Sorge. Friedrich Sell geht es um die Auswirkungen von Vertrauen auf makroökonomische Variablen wie Kosten, technologischer Fortschritt und Wachstum. Gut gefällt hier, daß Vertrauen als Vorschuß - also als Kredit - interpretiert wird. Die Beiträge von Lucia Reisch und Linda Pelzmann lassen sich als "mikroökonomische Fundierung" der makroökonomischen Analyse interpretieren. Reisch beschäftigt sich mit Vertrauen auf Konsumgütermärkten, Pelzmann reflektiert über die Bedeutung von Vertrauen in Geschäftsbeziehungen. Eine interessante empirische Fallstudie liefert Cornelia Storz. Sie führt die geringe Bedeutung des Internethandels in Japan darauf zurück, daß das Vertrauen dort vor allem personalisiert und weniger generalisiert sei. Im Beitrag von Simon Gächter und Christian Thöni findet der Leser schließlich einen lesenswerten Überblick über empirische Befunde von Befragungen, Laborexperimenten und ökonometrische Analysen über die Bedeutung und Wirkungen von Vertrauen und Reputation.

Insgesamt sind die Beiträge dieses Bandes von unterschiedlicher Art und Qualität. Es überrascht, daß der Beitrag von Gächter und Thöni den Band abschließt - er wäre besser als Themeneinstieg geeignet. Dies hätte den Herausgebern auch die Möglichkeit gelassen, das Geknäuel der sehr unterschiedlichen Argumentationsstränge zu ordnen. Dennoch findet der Leser alles in allem in dem Band einen facettenreichen Überblick.

UWE MUMMERT.

Martin Held/Gisela Kubon-Gilke/Richard Sturn (Herausgeber): Reputation und Vertrauen. Metropolis-Verlag, Marburg 2005, 286 Seiten, 26,80 Euro.

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