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Von den Totentänzen des Mittelalters bis zu Ionesco, Paul Celan und George Tabori reichen die Beispiele in Guthkes faszinierender Kulturgeschichte der Todesvorstellungen in Kunst und Literatur. Wenn der Tod bald männliche, bald weibliche Gestalt annimmt, so verraten diese Bilder viel über die 'gedeutete' Welt des Menschen, über seine Hoffnungen, Ängste und Obsessionen.

Produktbeschreibung
Von den Totentänzen des Mittelalters bis zu Ionesco, Paul Celan und George Tabori reichen die Beispiele in Guthkes faszinierender Kulturgeschichte der Todesvorstellungen in Kunst und Literatur. Wenn der Tod bald männliche, bald weibliche Gestalt annimmt, so verraten diese Bilder viel über die 'gedeutete' Welt des Menschen, über seine Hoffnungen, Ängste und Obsessionen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.1997

Das große Kusch der Christenheit
Karl S. Guthke fragt nach dem Geschlecht des Todes · Von Peter von Matt

Überlebt hat er als Warnsignal am Fuß von Starkstromleitungen, auf Giftfläschchen und am Oberarm muskulöser Rocker. Aber auch das nicht mehr in seiner ganzen rasselnden Person, sondern nur noch mit dem abgetrennten fahlen Kopf. Der Tod als Gerippe, das sich im Deutschen so praktisch auf Hippe reimt, ist eine museale Allegorie geworden, in den erzählenden und malenden Künsten höchstens als ironisches Zitat weiterzuverwenden. Das tanzende, reitende, fahrende Skelett, bald triumphal an der Spitze riesiger Menschenzüge, bald leise klappernd hinter dem Vorhang eines Sterbezimmers, hat das Nachdenken über den Tod jahrhundertelang geprägt. So konnte man ihn leibhaftig an die Wand malen, so konnte man ihn von den Kanzeln herunter beschwören.

Man durfte die Kinder plagen damit und sich an der Unerreichbarkeit schöner Frauen rächen: Schau her, so siehst du einmal aus, wenn er dich geholt hat. Der Befehl: "Memento mori! - Denk an deinen Tod!", die Domestizierungsformel, das große Kusch der Christenheit, war stets begleitet von der Evokation des Knochenmanns mit Sense und Stundenglas. Deshalb mußte jeder Aufstand gegen die Herrschaft der Kirche auch zu einem Aufstand gegen dieses Schreckbild werden. Alle Aufklärung greift früher oder später ikonoklastisch die gemalten und gemeißelten Gerippe an - nicht aus einer wachsenden Zimperlichkeit im Zivilisationsprozeß, sondern um dem geistlichen Machtapparat eines seiner wirksamsten Instrumente zu entwinden.

Karl S. Guthke, Germanist und Komparatist an der Harvard University, legt eine Geschichte dieser Allegorie vor. Es hagelt in dem Buch nur so von Knochen und Skeletten. Man geht mit eingezogenem Kopf durch lauter Schädelgewitter. Der Eindruck des Prasselns hängt aber weniger mit der Sache selbst zusammen als mit der höchsten Leidenschaft des Verfassers: Sammeln und Speichern. Guthke ist die La-Fontainesche Ameise unter den Germanisten, neben ihm sind alle andern fiedelnde Grillen. Die Zahl von Belegen aus Literatur- und Kunstgeschichte, die er aufreiht, ist überwältigend. Das macht das Buch anregend und brauchbar wie ein Lexikon, aber auch ärgerlich und halb fertig. Denn jeder Text wird dem Verfasser, kaum hat er ihn angefaßt, vom nächsten wieder aus der Hand geschlagen. Nie kommt er dazu, sich ruhig auf etwas einzulassen, es auszuleuchten und in seinem ganzen Sinngehalt und allen seinen Wirkungsweisen vor Augen zu rücken. Man sehnt sich beim Lesen zunehmend nach der gelassenen Vertiefung in einen exemplarischen Fall als dem methodisch notwendigen Gegengewicht zur immensen Kompilation.

So werden beispielsweise zwei fraglos europäische Ereignisse aus dem unablässigen Versuch, der Wirklichkeit des Todes mittels der Allegorie vom aufgeputzten Skelett beizukommen, der deutsche "Ackermann aus Böhmen" aus dem vierzehnten und Baudelaires "Danse macabre" aus dem neunzehnten Jahrhundert, zwar in ihrer Bedeutung erkannt, aber hier wie dort bleibt es beim bloßen Inhaltskommentar.

Daß Guthke es anders kann, zeigen die schönen Seiten über Lessings Aufsatz "Wie die Alten den Tod gebildet". Hier ist der renommierte Kenner des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Element. Hier nimmt er sich Zeit, erholt sich und erfreut seine Leser, bevor er mit erneuter Energie durch die Zettelkästen pflügt. Lessings als archäologisches Scharmützel kaschierte Studie wird in ihrer epochalen Wirkung erkennbar. Wenn das abgenützte Wort vom Paradigmenwechsel je am Platz war, dann hier. Der scheinbar harmlose Text hat revolutionäre Brisanz. Mit ihm endet die fraglose Herrschaft der Knochenallegorie, der Terror des allgegenwärtigen Schädels. Mögen die grausigen Bilder noch lange nebenher weiterlaufen, sie besitzen nicht mehr das Monopol zur Veranschaulichung der Letzten Dinge.

Lessings These, daß sich die Griechen den Tod als freundlichen Knaben gedacht hätten, einen Jungen etwa von der Art, wie er bei Beckett als Godots Laufbursche erscheint, mag historisch falsch gewesen sein, für die deutsche Intelligenz war sie eine Befreiung. Vertraut, herzlich, mitfühlend wie ein Bruder oder eine Schwester, so durfte jetzt der Tod erscheinen, und so durfte man von ihm erzählen. Eine der ersten Auswirkungen dieses Vorgangs ist die Entstehung des kleinen deutschen Mythos vom "Freund Hein" bei Matthias Claudius. "Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins, / Und unten zerschellt das Gerippe" - diese Schlußverse von Goethes "Totentanz"-Ballade könnten auch als Signal für die Stunde gelesen werden, die mit Lessings Aufsatz dem disziplinierenden Treiben des Knochenmanns geschlagen hat.

Ein Buch kann nicht besser sein als die Frage, auf die es antwortet. Guthkes Frage ist auf den ersten Blick spannend, auf die Dauer aber zu harmlos. Warum, so hebt er an, warum erscheint der Tod in Malerei und Literatur nicht immer als Mann? Warum gibt es auch weibliche Todesfiguren, die "Tödin" etwa noch bei Celan? Warum führt auch auf den alten Totentänzen oft genug eine weibliche Gestalt die säbelnde Sense? Könnte es sein, daß dies mit dem grammatischen Geschlecht des Todes in den jeweiligen Sprachen zu tun hat? So naheliegend die Vermutung ist, so leicht läßt sie sich widerlegen. Und Guthke tut es denn auch gleich zu Beginn in erschöpfender Weise.

Schon der Blick auf die Genealogie dieser Allegorien begründet das Vorkommen weiblicher Varianten. Die Personifikationen des Todes sind historisch verknüpft mit den geschlechtslosen oder androgynen Engeln, leiten sich von der Parze mit der Schere nicht weniger her als vom alten Chronos mit Sense und Sanduhr. Niemand könnte vernünftigerweise die These aufrechterhalten, daß das Geschlecht des Todes in allen Ländern gemäß dem jeweiligen Genuß des Substantivs imaginiert werde. Dennoch bekämpft das Buch bis gegen Schluß diesen angeblichen Irrtum.

Dieses zweideutige Ziel hat allerdings den eindeutigen Vorteil, daß der Verfasser noch in den abgelegensten Verstecken leidenschaftlich nach "Tödinnen" sucht. Das Buch wird so zu einem Kompendium der tollen Einzelheiten, einer Kollektion kulturgeschichtlicher Trouvaillen. Verpaßt hingegen wird die Chance, nach dem ersten, klärenden Kapitel die Frage neu zu stellen. Nicht: Gibt es den weiblichen Tod auch dort, wo das Wort maskulin ist? Sondern: Was verändert sich, wenn der Tod eine Frau ist? Dies allerdings wäre nicht mehr mit Sammeln und Speichern allein zu beantworten gewesen. Jetzt hätten die Texte und Bilder ganz anders reflektiert werden müssen. Guthke setzt immer wieder dazu an, und er liefert imponierendes Material zu solcher Forschung, aber weil er die Frage nicht präzis genug gestellt hat, bleiben auch seine Antworten verschwommen.

Das Buch konfrontiert uns mit der Tatsache, daß der Mensch als das einzige Wesen, das sein eigenes Ende denken kann, dieses Ende auch immerzu denken muß und doch keine Möglichkeit hat, es ganz und gültig zu denken. Freud hat nachgewiesen, daß es im Unbewußten keine Erfahrungsposition für das eigene Nichtsein gibt. Schon aus diesem Grunde bleiben alle Bilder, die von der erschrockenen Seele für den Tod hervorgetrieben werden, ungenügend, unvollständig, vorläufig. Sie rufen nach andern Bildern, die doch nicht besser sein können.

Dazu kommt ein Weiteres. Der Niedergang des allegorischen Gestaltens in der europäischen Kultur, das mit dem Ende der feudalistischen Ästhetik zusammenhängt, hat die Schwierigkeit, den Tod bildhaft zu inszenieren, schubartig verschärft. Es ist schade, daß Guthke diesen kulturhistorisch eminenten Vorgang völlig ausblendet. Die Krise des Knochenmanns ist auch die Krise des allegorischen Diskurses überhaupt. Eines Tages kann das muntere Gerippe nur noch beschworen werden als Zitat einer verschollenen Ausdrucksform. Im Reden von ihm überblendet sich jetzt notwendigerweise eine aktuelle Gestalt der Verlautung mit einer antiquierten. Das ergibt ein artistisches Problem.

Wie man sich hier aus der Klemme zieht, sollte man wohl weniger bei Hofmannsthal studieren als bei Keller: in seiner Miniaturisierung des Todes zum daumengroßen "Tödlein" auf dem Tisch des Landvogts von Greifensee oder in der Art, wie der "wandernde Schädel" im Reisegepäck des Grünen Heinrich ein eigentümliches neues Leben gewinnt. Empirisch am ertragreichsten indessen wäre wohl der sterbende Heine, der in seiner Körpermisere bei taghellem Kopf förmlich dazu verflucht war, den eigenen Tod zu denken und poetisch zu benennen, jahrelang. Kein altes und neues Verfahren der Symbolisierung läßt er unversucht, selbst die archaische Allegorie taucht momentweise wieder auf: "Das ist der böse Thanatos, / Er kommt auf einem fahlen Roß . . ." Die eigentliche Erschütterung aber, die von den Gedichten aus der Matratzengruft ausgeht, ist zuletzt das Versagen aller rhetorischen Strategeme, der Kollaps der Metapher vor dem Nichts.

Karl S. Guthke: "Ist der Tod eine Frau?" Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur. C.H.Beck Verlag, München 1997. 309 S., zahlr. Abb., br., 68,- DM.

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