Produktdetails
  • Verlag: Allen Lane
  • ISBN-13: 9781846140075
  • Artikelnr.: 22720691
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2007

Israel unter Verdacht
Stephen Walts und John Mearsheimers umstrittenes Buch

Nach seinem Bucherfolg "Hitlers willige Vollstrecker" war Daniel Goldhagen auch zu Gast in der Fernsehsendung, für die ich damals gearbeitet habe. Wie immer bei solchen Produktionen hatten wir jede Menge Wartezeit zu überbrücken, an Gesprächsthemen mangelte es nicht. Irgendwann, wir verstanden uns ganz gut, bat er seinen beeindruckenden Leibwächter, die Tür zu schließen. Er rückte näher und schaute mir in die Augen, da kündigte sich ein Moment der Wahrheit an: "Gibt es", fragte er flüsternd, "heute noch Antisemitismus in Deutschland?"

Mmh. Wie ging noch mal der Trick in mündlichen Prüfungen? Differenzieren: einen auf niedrigem Niveau stabilen Grad von kriminellem Antisemitismus, ein diffuses Ressentiment bei älteren und auf dem Land wohnenden Bürgern sowie einen starken, aber verschleierten kulturellen Antisemitismus, der als pseudoanthroposophische Antimoderne daherkommt, etwa als Kritik an Hollywood und den Finanziers der Wall Street et cetera sowie - Goldhagen unterbach meine Aufzählung augenrollend. "Mein Lieber, das ist doch gar kein Vergleich mit den Verhältnissen im Deutschland der dreißiger Jahre! Da wurde gespuckt und geprügelt!" Schon stand ich mit meinem soziologischen Monolog da wie ein Nazi-Verharmloser. Ich hatte aber recht. Und Goldhagen hatte auch recht.

Der Begriff des Antisemitismus ist stark und brisant, er verdreht den Leuten die Köpfe. Nicht wenige reagieren mit Ungeduld, dabei wird bei manchen schnell unklar, ob sie den Begriff oder nicht doch auch die Juden loswerden wollen.

Das eben erschienene Buch "Die Israel Lobby" der beiden amerikanischen Politologen Stephen Walt und John Mearsheimer hat sich hoffnungslos im Gestrüpp des "Anti-Ismus" (Josef Joffe) verfangen. Das Buch will nachweisen, dass eine proisraelische Gruppe solchen Einfluss auf alle amerikanische Regierungen gewinnen konnte, dass die Vereinigten Staaten nun zu Israel eine Verbundenheit pflegen, die den nationalen Interessen zuwiderläuft.

Gerade weil die Autoren, die weder Judenhasser noch Araberfreunde sind, von Anfang an und auf nahezu jeder Zeile beschwören, keine Antisemiten zu sein, wird die Aufmerksamkeit des kritischen Lesers dauernd auf diese Möglichkeit gelenkt. Es geht einem, als sei man bei einem Abendessen mit einem Unbekannten, der immer versichert, er habe kein Gift ins Essen getan: Ein Gefühl der Beklemmung wird man nicht los. Walt und Mearsheimer schreiben das Buch als unschuldige Opfer eines Antisemitismusvorwurfs gegen ihren langen Essay in der "London Review of Books", der im Frühjahr für heftige Kontroversen sorgte (F.A.Z. vom 11. April). Ihr Gestus ist der des "Das wird man ja noch sagen dürfen", und sie können nichts dafür, dass deutsche Leser diese Sätze noch von der Möllemann-Flugblattaffäre kennen, als es hieß, man dürfe auch Scharon kritisieren, um die rechtsextremen Wähler einzufangen.

Das Buch trifft, von den Selbstexkulpierungen mal abgesehen, manch wichtigen Punkt: etwa die Frage, ob das Bündnis rechter jüdischer Interessengruppen mit den mehr oder weniger hysterischen evangelikalen Republikanern tragbar und auch nur entfernt sinnvoll ist. Freilich entsteht beim Lesen der Eindruck, alle jüdischen Interessengruppen stünden dem Likud nahe und alle Republikaner auf der Seite Israels. Eine Figur wie Prinz Bandar, jahrelang der saudische Botschafter in Washington und einer der engsten Freunde der Familie Bush, weswegen man ihn auf den Ehrennamen "Bandar Bush" taufte, kommt in dem Buch nicht vor; er bleibt anderen Verschwörungstheoretikern überlassen. Es wird auch nicht erklärt, warum die amerikanische Botschaft immer noch in Tel Aviv und nicht in Jerusalem steht. Sicher, es gibt Gruppen, die in den Vereinigten Staaten auch solche israelischen Politiker noch bejubeln, die im eigenen Land längst diskreditiert sind, aber deswegen ist es nicht zulässig zu behaupten, die gesamte amerikanische Öffentlichkeit werde seit Jahren manipuliert.

Ist solche eine Zuspitzung aber gleich antisemitisch? Oder läuft der Vorwurf gegen Walt und Mearsheimer seinerseits den Interessen der Juden zuwider? Aber sind sie es vielleicht trotzdem? Es schwirrt einem der Kopf, weil derart einfache und starke Thesen, solch intellektueller Schnaps heute zugleich wahr, falsch und unverträglich sein können.

Warum erscheint dieses fiebrige, merkwürdige Buch gerade jetzt? Es zerrt eben an den Nerven, seit Jahren den Sinkflug der amerikanischen Regierung mitzuverfolgen. Jeder will einen Sinn darin finden, sich einen Reim darauf machen: Dick Cheney ist schuld. Karl Rove hat es verbrochen. Der Präsident steht unter Medikamenten. Viele, Michael Moore voran, verdächtigen den übergroßen, unabweisbaren Einfluss der saudischen und der Öllobby auf die gegenwärtige Regierung.

Für jeden dieser Standpunkte gibt es gute Gründe, und Walt und Mearsheimer machen mehr als einen treffenden Punkt. In der Reduzierung von Komplexität liegt ein großer Trost, es ist wie im Rausch: sehr angenehm - bis man im Morgengrauen an Ahmadineschad denkt, der immerzu einen klaren Kopf behält.

NILS MINKMAR

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