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Produktdetails
  • Verlag: Manholt Verlag
  • 1994.
  • Seitenzahl: 222
  • Deutsch
  • Abmessung: 25mm x 133mm x 205mm
  • Gewicht: 345g
  • ISBN-13: 9783924903435
  • ISBN-10: 3924903433
  • Artikelnr.: 05507968
Autorenporträt
Pierre Loti (eigentlich Julien Viaud, 1850-1923) war Marineoffizier. Reisen nach Nord- und Südamerika, Tahiti, Tongking (Teilnahme am Boxerkrieg), Indien, China und Japan. Er veröffentlichte seit 1879 Romane, Erzählungen, einige Dramen und Reiseberichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.1995

Aus Liebe zu Loti
Die "Islandfischer" sind wieder da / Von Rolf Vollmann

Bei Manholt, einem kleinen Bremer Verlagshaus, das sich in den letzten Jahren große Verdienste um die französische Literatur bei uns erworben hat (erinnert sei an Huysmans Dirnenroman "Marthe", an Maupassants Loblied auf seinen Freund Flaubert, an Perec und Jules Renard), bei diesem sehr wählerischen und spürsinnigen Verlag ist jetzt, nach seinem Reisebericht über die geliebte Sahara, von Pierre Loti der Roman "Islandfischer" neu erschienen.

Dieses Buch aus dem Jahre 1886 ist eines der verbreitetsten und seinerzeit berühmtesten Werke aus der Feder jenes sehr sehr merkwürdigen Mannes, der als Julien Viaud auf die Welt kam, als Kriegsmarinekapitän alle Meere befuhr (bloß bei Island war er nie), seit 1879 so ziemlich alle Jahre einen Bestseller schrieb und mit einundvierzig Jahren, 1891, Mitglied der Académie Française wurde, eines ihrer jüngsten. Die "Islandfischer" finden sich noch heute, neben dem "Bruder Yves" und der "Madame Chrysanthème", in verstaubten alten Bibliotheken; sie waren auch bei uns ein Lieblingsbuch der Generation unserer Groß- und Urgroßeltern. Und sie waren, wenn man das so ausdrücken darf, ein berechtigtes Lieblingsbuch jener Generationen.

Islandfischer hießen im letzten Jahrhundert bretonische Fischer, die im ersten Frühjahr mit großen Flotten kleiner Fischsegler, ein halbes Dutzend Mann Besatzung, an die isländischen Dorschbänke fuhren und dann im August oder September erst wieder zurückkehrten - wenn sie zurückkehrten, denn diese Art der Fischerei war offenbar sehr verlustreich. Loti, der sich mit seinen ersten Büchern eigentlich einen Ruhm als Schriftsteller des Exotischen gemacht hatte, bleibt seinem Ruf in diesem ersten seiner bretonischen Romane treu; er beschreibt dem Pariser Lesepublikum die Bretonen und ihr Land und dann vor allem ihr Meer bis hinauf nach Island als die eigene große Fremde.

Das Meer bei ihm ist etwas, das kein Pariser Badegast in der Normandie je gesehen haben konnte (denken Sie an den jungen Proust damals an der Küste; Loti war einer seiner späteren Lieblingsdichter, der junge Jean Santeuil schwärmt von ihm), die Sonne über diesem Meer, jene fast sagenhafte, nicht untergehende Sonne des hohen Nordens kannte keiner außer jenen fremdartigen wundervollen Bretonen, die in Paris aber auch keiner kannte. Loti ist in solchen Schilderungen ein ganz außerordentliches Genie, ein Impressionist von Gegenden, in die kein Impressionist je gekommen war, ein trauriger Turner einer wie erfunden wirkenden See. Daß dieses Buch ein Roman ist, stört dabei kaum. Die Fabel löst sich gewissermaßen aus zwei Punkten: den Fischern auf einem Boot oben bei Island und zwei Frauen im Heimathafen. Die Fischer kommen zurück, einer hat was beinahe nur Seelenhaftes mit der jungen der beiden Frauen gehabt, scheint aber nichts mehr von ihr wissen zu wollen, sie liebt ihn und wartet auf ihn.

Im Frühjahr ziehen sie wieder weg, ein anderer junger Mann, Bruder fast des Geliebten, muß zum Militär und kommt in China im Kriege um (hier kontrastiert Loti dann dem Norden sehr wirkungsvoll die großen südlicheren Meere, mit mächtigen Zügen durch Zeit und Raum, wie Georg Heym in seinem großen Mondgedicht, "Den blutrot dort der Horizont gebiert."), dann faßt die junge Frau sich ein Herz, wenn auch nur ein halbes, wieder bleibt alles offen - an diesem Punkt fürchtet man sehr, Loti werde doch weich werden, werde sich seinen Lesern opfern und die beiden sich kriegen lassen, wenngleich nur kurz, denn dann werde der junge Mann wieder hinauf müssen nach Island und werde umkommen, wie so viele dieser jungen tapferen Bretonen: das fürchtet man, und leider kommt es auch ganz genau so.

Schade, sagt man sich; doch im Grunde macht das nichts, irgendein Vehikel für die eigentlichen Taten seines Genies mußte Loti ja haben, und so groß und selbstlos, sich erstens ein ganz neues Vehikel, eine neue Form selbst zu erfinden, das, zweitens, an der Masse seiner Leser vorbei erfunden gewesen wäre, so groß und selbstlos war er nicht. Er blieb dem Genre treu und scheint, sonderbar genug, selbst am allerwenigsten gemerkt zu haben, daß, wenn ein Mann wie Proust ihn schätzte, er dies jener Tugenden wegen tat, die an bestens sich verkaufende Romane damals eigentlich fast verschwendet sein mußten.

Die Übersetzung jetzt ist neu. Das Buch ist ziemlich oft übersetzt worden, die erste Übersetzung ist von 1888, sie stammt von Carmen Sylva, einer damals sehr bewunderten Schriftstellerin, die eigentlich, hinter ihrem nom de plume, im Jahre 1843 als Tochter des Fürsten Hermann zu Wied-Neuwied auf Schloß Monrepos bei Neuwied zur Welt gekommen war und seit 1869, als Elisabeth Ottilie Luise, Königin von Rumänien, mit Rumäniens Karl I. verheiratet war. Es ist vielleicht sonderbar, das anmerken zu müssen, aber ich habe beide Übersetzungen zur Hand, ich vergleiche Stellen, die mir in der neuen Ausgabe besonders gut scheinen, mit den entsprechenden Stellen von jener königlichen Hand, und muß sagen (und das anmerken zu müssen könnte sonderbar sein): die damalige Übersetzung ist so gut, daß ich sie mitunter fast vorziehe. Wenn etwa die neue Übersetzung eine polare, Carmen Sylva dagegen eine hyperboreische Klarheit hat, dann läßt sie uns sehr gut ahnen, wie merkwürdig Lotis Blick, der doch auch immer so scharf auf den Phänomenen haftet (dort immer ist Carmen Sylva dann ebenso exakt wie Dirk Hemjeoltmanns und Otfried Schulze), letztlich ein Licht dahinter sieht, das eher der Geist wirft als die Schöpfung.

Kurzum, und das gilt auch für andere Bücher Lotis in anderen alten Übersetzungen: seine Sprache scheint damals im Deutschen auf lauter Kongenialität gestoßen zu sein, das heißt, auf Zeitgenossenschaft, die dabei gewann. Bei Carmen Sylva kommt sicher noch hinzu, daß diese sehr charmante Königin, mittlerweile ziemlich unglücklich mit ihrem Karl, Lotis Buch aus lauter Verehrung für den Autor übersetzt hatte; als sie die Übersetzung fertig hatte, besuchte Loti sie in Bukarest, und sie hatten eine schöne Woche zusammen. Loti liebte solche Frauen, und solche Frauen liebten Loti.

Die neue Übersetzung ist gewissermaßen mehr aus dem Geiste neuer Sachlichkeit verfaßt, macht aber vergessen, und das müßte ja heute nicht mehr sein, daß die Leute vor der Neuen Sachlichkeit genauso sachlich waren, nur eben eher unter anderem auch noch sachlich. Aber gleichwohl: diese neue Edition ist eine sehr schöne Tat. Man wünscht sich mehr Lotis.

Pierre Loti: "Islandfischer". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Dirk Hemjeoltmanns und Otfried Schulze. Mit einem Nachwort von Susanne und Michael Farin. manholt verlag, Bremen 1994. 222 S., geb., 38,- DM.

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