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Produktdetails
  • Verlag: Rowohlt, Berlin
  • Seitenzahl: 172
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 294g
  • ISBN-13: 9783871342554
  • ISBN-10: 3871342556
  • Artikelnr.: 24041983
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1996

Trink mit mir
Paare, Vaganten: Sergej Jessenin und Isadora Duncan

In der frischgestarteten Reihe "Paare" des Rowohlt Verlags - drei Bände liegen bis jetzt vor - hat sich die Biographin Carola Stern auf zwei Paradiesvögel geworfen, wie sie exzentrischer und verschiedener kaum je zusammentrafen: Isadora Duncan und Sergej Jessenin. Sie: zum Zeitpunkt der Begegnung vierundvierzig, mit dem noch immer sprühenden Kometenschweif zwanzigjährigen Weltruhms, erworben im Dienst des von ihr kreierten pseudoklassischen Gebärdentanzes, Bahnbrecherin des nackten Beins auf der Bühne; er: einer von Rußlands besten (lebenden) Dichtern, sechsundzwanzig, ebenfalls berühmt, aber kaum über Moskau und Petrograd hinaus, und mit dem verzehrenden Drang, diese Grenze zu durchbrechen.

Ihre Zeit als Paar (denn "der Gemeinsamkeit" kann man es kaum nennen) umfaßt nur etwa anderthalb Jahre, an Turbulenzen, an schrillen und schlagkräftigen Szenen so reich wie ein Stück der Commedia dell'arte, die Emotionen ausgelebt bis zum Exzeß (kein Monat ohne zu hinterlegende Unsummen für zertrümmerte Einrichtungen in Hotel und Privatwohnungen). Ein alle Beteiligten erschöpfendes Finale zweier Leben, von dem so gut wie nichts unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand; Finale, denn Jessenin erhängte sich zwei Jahre nach dem Abbruch der Beziehung, zwei Jahre darauf verunglückte die Duncan, als ihr Markenzeichen, der überlange rote Schal, in die Speichen ihres Bugatti geriet.

In der vorzüglichen Jessenin-Biographie von Fritz Mierau und in den Erinnerungsbüchern des Jessenin-Freundes Marienhof wird die Person Isadora Duncans verhältnismäßig knapp abgehandelt und ihre Rolle eher ambivalent gesehen. Um für sie Partei zu ergreifen, ihr zum mindesten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, braucht es wohl das Einfühlungsvermögen einer Frau. Carola Stern beschönigt weder irgend etwas, noch setzt sie das Zweipersonendrama gar falscher Beleuchtung aus. Aber sie läßt keinen Zweifel daran, daß hier nicht nur "Ältliche Tigerin zerfleischt begnadeten jungen Poeten" gespielt wurde.

Mit dem knabenhaften hübschen Ehemann, diesem "von der Natur ausschließlich für die Poesie erschaffenen" Dichtergenie (Gorki), hatte die Duncan ein zumeist mißgelauntes, schimpfendes Enfant terrible mit auf ihre Welttournee genommen, dem alle Sehenswürdigkeiten des alten Europa Hekuba waren, das selbst in Paris und Venedig nichts als Zeit und Ruhe ersehnte, um zu schreiben - über Rußland zu schreiben. Eine trunksüchtige Mimose hatte sie sich eingehandelt, einen längst lebensgefährdend Verletzten, der es stur ablehnt, irgendeine Fremdsprache zu erlernen ("Wer sich mit mir unterhalten will, muß Russisch lernen!"), andererseits aus den ihm unverständlichen Gesprächen überall Hohn und Herablassung herauszuhören meint.

Seinen am häufigsten an sie gerichteten Satz muß ihr niemand mehr übersetzen: "Trink mit mir, du räudige Hündin!" Und sie hält mit; ihre Trinkfestigkeit ist ihr schon vorher in Rußland gut zustatten gekommen. Nur wird sie im Gegensatz zu Jessenin vom Trinken heiter und ausgelassen, nicht aggressiv. In bis zuletzt unerschütterlicher Loyalität läßt sie nichts auf "dieses Kind" kommen, erklärt schwarze Male in ihrem Gesicht mit zerlaufener Wimperntusche, entschuldigt seine Säufertobsucht und Zerstörungswut bald mit den Folgen des Hungers während der Revolutionszeit, bald mit einem während des Krieges erlittenen "Bombenschock" oder erfindet eine "Blutvergiftung", verursacht durch den Prohibitions-Whisky in den Vereinigten Staaten.

Auch nach der Entdeckung, daß der Ausgehaltene und Eingekleidete sie während der ganzen Zeit systematisch bestohlen hat, in bäurischer Verschlagenheit mehrere tausend Dollar für sich auf die Seite bringt, indes sie sich den Kopf zerbricht, wovon sie die (durch ihn verursachten) Schadensansprüche der Hotels bezahlen soll, wen man noch anpumpen kann - selbst da noch sucht sie mildernde Umstände für sein schofles Tun: ganz sicher habe er sich nichts dabei gedacht; da sie doch das Geld, sobald welches da war, stets offen herumliegen ließ, habe er es eben "aufgehoben" für jene, die es in Rußland so nötig brauchten.

Wirklich einig sind sich beide nur, wenn es darum geht, sich zu inszenieren, sich beispielsweise fotografieren zu lassen; für die Presse, versteht sich, nicht fürs Familienalbum. Dann schmiegen reife Schönheit und jünglingshafter Charme die Wangen bereitwillig aneinander und lassen die aparten Stiefelchen der einen und die weißen Dandy-Gamaschen des anderen kokett mit ins Bild geraten. Dann lächeln sie für "die Welt" das Glück eines neiderregenden Götterpaares zurecht.

Hin und wieder unternimmt der junge Ehemann verzweifelte Versuche, seine Frau teilhaben zu lassen an dem, was seinen Lebensinhalt ausmacht. Er ist ein brillanter Interpret seiner Gedichte, durchaus imstande, ganze Säle von den Stühlen zu reißen und zum tobenden Applaus zu bringen - vorausgesetzt, es handelt sich um Russen. Was soll sie dazu sagen? Sie lobt, natürlich lobt sie, aber sie lobt das Falsche. Sie streicht die "Melodik" heraus; vom Zauber der Metaphern, von der Genialität des poetischen Tons ahnt sie nicht einmal etwas, und der Inhalt, wird er ihr Wort für Wort übersetzt, offenbart ihr seinen schmerzlichen Kern nicht.

Nein, auch ohne die galoppierende Zerrüttung Jessenins hatte die Verbindung von Anfang an schlechte Karten. Das Wasser war viel zu tief. Der Sänger des verlorenen russischen Dorfes und die Missionarin des befreiten Körpers, die im griechischen Schleierhemd - anfangs weiß, später nur noch rot, der russischen Revolution zu Ehren - zu populären Musikstücken wie der Marseillaise oder dem Chopinschen Trauermarsch ihre antik gemeinten Choreographien vorführte! Die atheistisch erzogene Tochter einer amerikanischen Bohemefamilie, besitzergreifend und eifersüchtig, verschwenderisch in Gelddingen, leicht übergewichtig schon, von heiligem Agitationseifer besessen, überall für den jungen Sowjetstaat Propaganda zu machen, aber auch mit der Chuzpe einer Großfürstin Grandhotels beziehend, gerade dann, wenn Ebbe in der Kasse herrscht. Isadora, die jegliche Schwierigkeit meistert, irgendwie hinbiegt, mit einer pfundskerligen Unverdrossenheit, die jeden auch nur etwas Indolenten, dessen Schwäche sich lieber an der Schwäche des anderen aufrichten möchte, bis zur Weißglut reizen muß - so eine und der Junge aus strenggläubigem bäuerlichem Milieu, aufgewachsen mit der dort herrschenden Werteskala Mann - Pferd - Kuh - Weib, ein von klein auf mit Schwermut Infizierter, für den nichts zählte als seine Gabe und das, was ihr als Nahrung diente! Und was den Platz in seinem Herzen anging - so war der ein für allemal besetzt von den Birken und der Landschaft um Konstantinowo.

"Ich habe über ihn schon so viele Stunden geweint und geschluchzt, daß mir schien, er habe in mir bereits jegliche menschliche Leidensfähigkeit erschöpft", schreibt Isadora Duncan an ihre Adoptivtochter Irma, als diese ihr den Selbstmord des einstigen Geliebten nach Nizza meldet. Der nächste Satz gilt bereits den Plänen einer neuen Tanzschule. Hölle ist ein Ort, der auf Erden daheim ist. KARLA SCHNEIDER

Carola Stern: "Isadora Duncan / Sergej Jessenin". Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1996. 176 S., Abb., geb., 32,- DM.

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