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Eine Frau erklärt dem eilig herbeigerufenen Arzt, dass sie nicht versteht, wie die Axt in den Schädel ihres Gatten kommen konnte. Die Axt muss neben dem Bett gelegen haben, und er ist hineingefallen. Sie selbst hat gut geschlafen und fühlte sich beim Aufwachen großartig. Als wäre sie eine Last losgeworden. So ist es nun mal, das Leben: gleichzeitig schrecklich und wunderbar. Und der großen Schriftstellerin Agota Kristof ist es gelungen, dies in Worte zu fassen, pointiert, schwarz und messerscharf.

Produktbeschreibung
Eine Frau erklärt dem eilig herbeigerufenen Arzt, dass sie nicht versteht, wie die Axt in den Schädel ihres Gatten kommen konnte. Die Axt muss neben dem Bett gelegen haben, und er ist hineingefallen. Sie selbst hat gut geschlafen und fühlte sich beim Aufwachen großartig. Als wäre sie eine Last losgeworden. So ist es nun mal, das Leben: gleichzeitig schrecklich und wunderbar. Und der großen Schriftstellerin Agota Kristof ist es gelungen, dies in Worte zu fassen, pointiert, schwarz und messerscharf.
Autorenporträt
Agota Kristof wurde am 30. Oktober 1935 in Csikvand in Ungarn geboren. Sie verließ ihre Heimat während der Revolution 1956 und kam über Umwege nach Neuchatel in die französischsprachige Schweiz, wo sie bis heute lebt. Als Arbeiterin in einer Uhrenfabrik tätig, erlernte sie die ihr bis dahin fremde Sprache und schrieb auf Französisch ihre erfolgreichen Bücher, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt woden sind. 2001 wurde sie mit dem Gottfried-Keller-Preis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet und 2006 erhielt sie den Preis der SWR-Bestenliste, 2009 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. 2011 verstarb Agota Kristof.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2007

Schlag ihn tot, denn es ist ein Mann
Botschaften aus der Unterwelt: Agota Kristof ist unversöhnlich

Von Pia Reinacher

Expeditionen ins Reich des Bösen sind Agota Kristofs Markenzeichen. Wo das Leben die schlimmstmögliche Wendung nimmt, ist sie zur Stelle und beobachtet die Ereignisse neugierig durch ihr literarisches Vergrößerungsglas. In ihren Romanen "Das große Heft" (1986), "Der Beweis" (1988) und "Die dritte Lüge" (1991) berichtet sie lakonisch aus den verdüsterten Bezirken eines von Gewalt, Gefühlskälte, Einsamkeit und Hass dominierten Lebens. Wie Felsbrocken wirft sie uns die Ergebnisse ihrer Erkundungen vor die Füße.

Kein Mensch hält solch unversöhnliche Düsterkeit, solch verstörende Einsichten ein Leben lang aus. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass Agota Kristof in ihren unter dem Titel "Irgendwo" nun auf Deutsch erschienenen Novellen an Trittsicherheit verliert (im französischen Original von 2005 "C'est égal"). So wie übersteigerte Gefühle in Kitsch umkippen, kann übertriebene Niedertracht im belanglosen Selbstzweck versickern. Diesen Grenzgang hat die aus Ungarn emigrierte und seit 1956 in der Schweiz lebende Schriftstellerin allerdings schon immer unternommen und mit Bravour gemeistert. Zwar verkündete ihr Alter Ego im Roman "Gestern"(1996), dass es nicht mehr schreiben wolle. Die Autorin selbst, die vor zwei Jahren ihren siebzigsten Geburtstag feierte, legte tatsächlich eine längere Schreibpause ein. Ihre neuen Novellen transportieren wiederum Botschaften aus der Unterwelt menschlicher Psyche und sprechen von Arglist, Gewalt und Heimtücke. Es sind karge, störrische Kürzestgeschichten, oft nicht länger als zwei, drei Seiten und sowohl atmosphärisch als auch formal an eine andere Schweizerin erinnernd: Adelheid Duvanel.

Aber dieses Mal ist Agota Kristof zu nahe am Bösen und zugleich zu weit entfernt. Die Eingangserzählung "Die Axt" dokumentiert das Dilemma: Ein abbreviaturhaftes Zwiegespräch zwischen einer Frau, die offensichtlich ihren Mann mit einer Axt erschlagen hat, und einem Arzt, der ihrem plumpen Täuschungsmanöver nicht auf den Leim geht und sie in die psychiatrische Klinik einweisen will, anstatt den Totenschein auszustellen. Gewiss, dem Leser wird sofort klar, dass sich eine Frau in einem verwirrten Emanzipationsversuch von der Last ihres Lebens befreien wollte; Agota Kristof legt im Text Spuren der existentiellen Not ihrer Figur an: Ihre Ausweglosigkeit führt zur Gleichgültigkeit und mündet in die Erstarrung aller Gefühle. Das Ende kommt mit dem Verfall aller moralischen Kategorien. Und es gelingt der Schriftstellerin immerhin auch, das Drama dieses Frauenlebens in einer einzigen Schlüsselstelle zu konzentrieren: "Mir war das egal. Ich liebe Regen. Übrigens fand ich heute morgen alles wunderbar. Ich fühlte mich so leicht, als wäre ich eine Last losgeworden, die mir seit langer Zeit . . ."

Trotz dieser Anstrengung, die Tat zu motivieren, kreist der Text vor allem um sich und neutralisiert so seine radikale Botschaft. Zu nahe am Unglück - vielleicht sogar an der Realität - ist Agota Kristof auch in den Texten, welche den Tod des Vaters und seine Beerdigung im fernen Heimatland thematisieren. Der kranke, sterbende oder tote Vater wird immer wieder evoziert, in der Kurzgeschichte "Mein Vater" steht er im Zentrum. Ein Epitaph und ein bedrückendes Protokoll einer lebenslangen, vergeblichen Suche der Tochter, die ins untergegangene Kindheitsland fährt, aber als Fremde ausgestoßen zurückbleibt.

Überzeugend ist Agota Kristof dort, wo sie Hinterlist und Heuchelei ganz nebenbei aufdeckt. Mit der Geschichte "Die falsche Nummer" etwa zeigt sie sich auf der früheren Höhe ihrer literarischen Kunst. Ihr Protagonist, ein gutmütiger Trottel, wird immer wieder von Menschen angerufen, die sich verwählt haben. Die Verwechslung hindert sie nicht daran, den Dummkopf einspannen zu wollen. Einmal ist eine Frau am Apparat, sie lobt die weiche, angenehme Telefonstimme des einsamen Narren und schlägt ein Treffen vor.

Wie Agota Kristof jetzt die euphorische Veränderung des unerwartet aus seinem Unglück aufgeschreckten Naivlings schildert, der sich tatsächlich in den attraktiven Mann verwandelt, den die Frau zu treffen hofft - und wie sie dann auf einen Schlag alle hochfahrenden Hoffnungen platzen lässt, indem sie genüsslich vorführt, wie sich die noble Frau unter den Augen des missbrauchten Einfaltspinsels doch für den aufgedonnerten Rivalen entscheidet, das ist literarisch eindrücklich gemacht. In diesem erzählerischen Kabinettstück zeigt sich dann doch wieder auf imponierende Weise die große Kunst der ungarisch-schweizerischen Autorin, den Leser auf unsicheres Gelände zu locken und ihn dort erbarmungslos mit der Abgründigkeit des Lebens und dem Zerfall aller Gewissheiten zu konfrontieren.

- Agota Kristof: "Irgendwo". Nouvelles. Aus dem Französischen übersetzt von Carina von Enzenberg. Piper Verlag, München/Zürich 2007. 121 S., geb., 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sehr beeindruckt zeigt sich Rezensent Martin Krumbholz vom neuen Erzählband Agota Kristofs, die darin für ihn wieder ein Exempel ihrer "kargen, minimalistischen" Kunst abgeliefert hat. Manchmal sei eine Geschichte gerade mal zwei Seiten lang. Trotzdem bleibt den Figuren darin Krumbholz zufolge wenig erspart. Doch selbst die größte Ungeheuerlichkeit komme bei Kristof immer lakonisch daher und treibt dem Rezensenten wohl gerade deshalb gelegentlich den Schweiß des Entsetzens auf die Stirn. Auch erschüttert ihn der "gravierende" Pessimismus, die existenzielle Wucht dieser Erzählungen. Und ihr "düsterer Humor", der aus seiner Sicht selbst größte Katastrophen mit einem "sardonischen Lächeln" instrumentieren würde.

© Perlentaucher Medien GmbH
»In 'Irgendwo' offenbart Agota Kristof wieder ihr ganzes Können. Der Humor ihrer Erzählungen ist so trocken wie das Holz im Sommer und so düster wie ein Regentag. Hier zeigt sich das Dasein in seinen unterschiedlichsten Formen, grausam, ernst und schön.« Journal du Dimanche