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DER AUFSTAND GEGEN DEN GOTTESTAAT UND SEINE WAHREN HINTERGRÜNDE
Frauen verbrennen ihren Hijab, Mullahs werden die Turbane vom Kopf gerissen. Katajun Amirpur ordnet den Aufstand gegen den Gottesstaat, der seit September 2022 im Gange ist, in eine Entwicklung ein, die vom Westen bisher kaum bemerkt wurde: Nicht nur die iranische Gesellschaft wendet sich zunehmend vom Islam ab, sondern auch das Regime selbst. Nationale Größe hat sogar offiziell Vorrang vor dem Koran. Nicht die Mullahs herrschen, sondern Polizei und Militär. Das aufrüttelnde Buch lässt uns Iran mit anderen Augen sehen.
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Produktbeschreibung
DER AUFSTAND GEGEN DEN GOTTESTAAT UND SEINE WAHREN HINTERGRÜNDE

Frauen verbrennen ihren Hijab, Mullahs werden die Turbane vom Kopf gerissen. Katajun Amirpur ordnet den Aufstand gegen den Gottesstaat, der seit September 2022 im Gange ist, in eine Entwicklung ein, die vom Westen bisher kaum bemerkt wurde: Nicht nur die iranische Gesellschaft wendet sich zunehmend vom Islam ab, sondern auch das Regime selbst. Nationale Größe hat sogar offiziell Vorrang vor dem Koran. Nicht die Mullahs herrschen, sondern Polizei und Militär. Das aufrüttelnde Buch lässt uns Iran mit anderen Augen sehen.

Der Iran ist seit der Revolution von 1979 ein Gottesstaat: Allah selbst regiert das Land mit Hilfe eines Rechtsgelehrten, der stellvertretend die Staatsgewalt innehat. So jedenfalls die Ideologie, der das westliche Bild vom Staat der Mullahs willig folgt. Doch hinter der Fassade der strikten Gottesherrschaft hat sich längst eine brutale Diktatur der Revolutionsgarden etabliert, der esum Machterhalt und geopolitischen Einfluss geht. Katajun Amirpur beschreibt auf der Grundlage weitgehend unbekannter Quellen, zahlreicher Besuche in Iran, Gesprächen mit Dissidenten sowie Berichten von Zeitzeugen, welche Wandlungen das Regime durchgemacht hat und warum sich immer mehr Menschen vom Islam abwenden: hin zu anderen Religionen, zu einer individuellen Gottgläubigkeit oder zu einer säkularen Haltung. Die Iraner - und besonders die Iranerinnen - haben begonnen, die Fassade des Islamismus niederzureißen. Katajun Amirpurs überraschendes Buch macht eindrucksvoll deutlich, warum sie trotz aller Opfer endlich Erfolg haben könnten.

Überraschende Innenansichten der iranischen Gesellschaft und Politik Auf der Grundlage eigener Besuche, Interviews mit Intellektuellen und Berichten von Zeitzeugen Von einer führenden Iran-Kennerin
Autorenporträt
Katajun Amirpur ist Professorin für Iranistik an der Universität zu Köln und schreibt regelmäßig für große Zeitungen und Zeitschriften. Zuletzt erschienen von ihr bei C.H.Beck "Khomeini. Der Revolutionär des Islams" (2021) sowie "Reformislam. Der Kampf für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte" (3. Aufl. 2018).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Rainer Hermann erfährt bei Katajun Amirpur, wie leer die Moscheen im Iran sind. Die Autorin leistet laut Hermann mehr als die Einordnung der Proteste nach dem 16. September 2022, sie bietet eine Nachzeichnung der Entwicklungen hin zu diesem Punkt, zeigt, wie und seit wann sich die Menschen von der Islamischen Republik abwenden. Indem sie mit Akteuren (z.B. Feministinnen und Menschrechtlern) spricht und den iranischen Alltag beschreibt, kann sie vermittelt, inwiefern der Islam seinen "moralische" Orientierung verloren hat, erklärt Hermann. Vor diesem Hintergrund werden die Proteste besser verständlich, findet er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2023

Freiheitskampf
im „Mullah-Staat“
Frauen und ihre wichtige Rolle beim Aufstand in Iran:
Vier Autorinnen bieten Innenansichten
und bewegende Momentaufnahmen
VON RENÉ WILDANGEL
Gleich drei Bücher sind jüngst erschienen anlässlich der starken Proteste in Iran infolge der Ermordung von Jina Mahsa Amini. Dass es sich um einen revolutionären Prozess handelt, dass es kein Zurück mehr gibt, darin sind sich die Autorinnen einig. Sie bieten Innenansichten Irans aus unterschiedlichen Perspektiven: Katajun Amirpur beleuchtet die jüngere Vorgeschichte, Gilda Sahebi den feministischen Kern des Aufstands, und Natalie Amiri und Düzen Tekkal versammeln bekannte und einige weniger bekannte Iranerinnen, deren Geschichten sie aufzeichnen. Auch wenn es einige Überschneidungen gibt: Lesenswert sind sie allesamt.
In Katajun Amirpur Buch „Iran ohne Islam – der Aufstand gegen den Gottesstaat“ geht es im Kern gar nicht um die jüngste Protestwelle, sondern um die Wurzeln der Unzufriedenheit mit der Islamischen Republik. Sie stellt fest, was zumindest jene überraschen dürfte, die Iran nicht aus eigener Anschauung kennen: nämlich dass der „Mullah-Staat“ in den vergangenen Jahrzehnten zu einer postislamischen Gesellschaft geworden sei. Mit dem Begriff bezieht sich Amirpur auf den persischstämmigen Gelehrten Asef Bayat. Das Motto der Islamisten, „der Islam ist die Lösung“, habe sich mittlerweile in Iran umgekehrt: Der Islam ist Teil des Problems – jedenfalls der Islam als leitende Staatsdoktrin im Verständnis der iranischen Führung.
Eine Anekdote gleich zu Beginn illustriert den lang anhaltenden Unmut, aber auch den Mut der Iranerinnen und Iraner und die Freiräume, die sie sich erkämpft haben. Amirpur berichtet von ihrem ersten Aufenthalt im Land 1991, Jahre nach ihrer Kindheit in Iran. Damals habe eine Frau lauthals auf die iranische Politik geschimpft und den damaligen Präsidenten Ali Akbar Rafsandschani beleidigt, er solle seinen Turban ausziehen und sich „vernünftige Sachen“ anziehen. Konsequenzen hatte es keine, sie sprach aus, was viele dachten. Eine ähnliche Szene erlebte der Rezensent bei einem Iran-Aufenthalt 2005: Kaum angekommen vor der ehemaligen amerikanischen Botschaft und heutigen Propagandastätte in Teheran, eilten gleich mehrere Passanten herbei, um zu warnen, dass man diese dumme Regimepropaganda bloß nicht ansehen solle.
Aber auch wenn es heute nur noch um die Überwindung des aktuellen Systems, nicht seine Veränderung geht, macht Amirpur deutlich, wie wichtig die Debatten und die Systemkritik waren, die aus dem religiösen Lager kamen; darunter schiitische Instanzen wie der einst als Chomeini-Nachfolger ausgebootete Großayatollah Montazeri oder Gelehrte wie Abdolkarim Soroush und Hasan Eshkevari. Amirpur erinnert daran, wie weit ihre Forderungen gingen und welch hohen Preis einige von ihnen zahlten: Der Geistliche Eshkevari wurde nach der berüchtigten „Berlin-Konferenz“ 2000 wegen „moharebe“ (Krieg gegen Gott) angeklagt – desselben Straftatbestands, aufgrund dessen die Regierung heute Protestierende hinrichten lässt.
In ihrer Betrachtung erhält die Chatami-Zeit (1997-2005), in der diese Kritiker wirkten, besondere Aufmerksamkeit. Amirpur sieht sie, immer noch, als eine verpasste Chance, denn der damalige Präsident Mohammad Chatami und viele seiner Mitstreiter wollten Iran nachhaltig öffnen und die systematischen Rechtsverletzungen beenden. Er wurde aber in den USA und auch in Europa als Systemrepräsentant des „Mullah-Staates“ weitgehend isoliert. Die weitreichenden US-Sanktionen, so Amirpur, hätten in der Vergangenheit der Zivilgesellschaft das Wasser abgegraben, während sie das Regime kaum trafen.
Diese Betrachtungen sind auch heute wichtig, wenn zwar stets „maximaler Druck“ gegen die iranische Regierung gefordert, aber selten ausbuchstabiert wird, was das konkret heißt. „Es könnte tatsächlich klappen“, lautet Amirpurs knappes Fazit über den begonnenen revolutionären Prozess angesichts der tief verwurzelten Unzufriedenheit jenseits aller ethnischen oder religiösen Identitäten. Allerdings hätte man sich über ihre erhellenden Analyse der Ursprünge der Proteste hinaus noch eine ausführliche Betrachtung gewünscht, was für einen Erfolg der Revolution jetzt notwendig wäre und wie eine andere bessere Zukunft im „postislamischen“ Iran denn aussehen könnte.
Ob Amirpur mit ihren Analysen für Gilda Sahebi, Autorin des Buches „Unser Schwert ist Liebe“, eine „Mullah-Versteherin“ ist? Mit diesem polemischen Begriff beschreibt Sahebi eine Geisteshaltung, die ihrer Wahrnehmung nach sowohl „in der Politik als auch in der medialen Berichterstattung“ in Deutschland vorgeherrscht habe. Dass von „Reformern“ oder „Moderaten“ gesprochen worden sei, sieht sie als Beleg dafür, denn es könne in einem „System wie der Islamischen Republik keine Reformer geben“ – was aktuell zweifelsohne stimmt, aber den von Amirpur ausführlich geschilderten inneriranischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte nicht gerecht wird. Eine differenzierte und kritische Debatte über deutsche Beziehungen zu Iran inklusive ihrer blinden Flecken wäre an dieser Stelle lohnenswert gewesen.
Aber das ist nicht das Kernthema von Gilda Sahebis Buch. Es liefert hervorragende Einblicke in die Protestbewegung und ihre Protagonistinnen. Im ersten Kapitel rekapituliert Sahebi, was seit dem Mord an Jina Mahsa Amini passierte – sie erzählt vom Mut der Protestierenden und von der unerhörten Brutalität des Regimes. Auch die eigene Familiengeschichte lässt sie einfließen, erzählt vom Gefühl des Nachhausekommens bei Besuchen in Iran, von ganz normalen Familienbesuchen, die doch nie normal waren; von Sehnsucht und Schmerz, seit ihr Vater und ein Onkel, einst idealistische Revolutionäre gegen den Schah, vor den Schergen des Regimes fliehen mussten. Seit Beginn der Revolution ist Sahebi eine der präsentesten Stimmen zu Iran in Deutschland – sowohl in den sozialen Medien als auch mit ihrer journalistischen Arbeit. Dafür recherchiert Sahebi immer wieder unter schwierigen Bedingungen aus der Ferne vor Ort, was sie auch im Buch reflektiert.
In ihrem Buch sprechen auch die Protagonistinnen dieser Recherchen selbst, meist mit Pseudonym. Afra berichtet von ihrer Diskriminierung als Kurdin, Jakaw Nick von der Verfolgung als trans Person. Es sind Porträts, die nahegehen und die ganz persönliche Diskriminierung durch das Regimes anschaulich machen. Ebenso wie die Geschichte von Elaheh Mohammadi, einer der Journalistinnen, die als erste über Mahsa Amini berichteten, oder die des vom Regime inhaftierten und gefolterten Rappers Toomaj – der Titel ihres Buches stammt aus seinem Protestsong „Schlachtfeld“. Ein ausführliches Interview mit Nasrin Sotudeh, einer Ikone der Menschenrechtsbewegung, gibt tiefe Einblicke in ihre jahrzehntelange Arbeit als Anwältin und prinzipientreue Gegnerin der Todesstrafe. Sahebi beschreibt den brutalen Einsatz sexualisierter Gewalt des Regimes, die systematische Verfolgung von Journalistinnen oder von medizinischem Personal und wie sie alle trotz größter Widerstände weiterarbeiten. Sahebi gelingt eine erste Bestandsaufnahme der Proteste: engagiert, aktuell und persönlich.
Natalie Amiri und Düzen Tekkal schließlich sind zwei weitere Protagonistinnen, die der deutschen Öffentlichkeit die Geschehnisse in Iran näherbringen. Der große Verdienst des von ihnen herausgegebenen Buchs ist es, den iranischen Frauen selbst eine Plattform zu bieten. Insgesamt 15 bekannte und einige weniger bekannte Persönlichkeiten berichten in den Gesprächsprotokollen von ihrem Blick auf die Proteste und einem Gefühl, das sie vereint: „Wir haben keine Angst“, so der Titel des Buches. Unter ihnen sind nur wenige, die noch immer in Iran leben. Sie äußern sich entweder anonym oder nehmen die Konsequenzen in Kauf. So wie die auch in diesem Buch interviewte Nasrin Sotudeh oder die Menschenrechtlerin Narges Mohammadi, deren Text aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde.
Zwei junge Frauen berichten anonym von der systematischen Entrechtung von Frauen durch die Islamische Republik und von ihrer kollektiven Gegenwehr im revolutionären Alltag. Sie werden nicht als furchtlose Heldinnen überhöht, sprechen auch von ihren Sorgen und Ängsten im Angesicht des brutalen Vorgehens des Regimes. Stark sind auch jene Texte, die Hintergründe der Diskriminierung der religiösen und ethnischen Minderheiten thematisieren, der Bahai, der Kurdinnen, der Belutschinnen. Sie tragen jetzt wieder stolz ihre traditionellen Gewänder, die sie einst unter Zwang gegen den schwarzen Tschador eintauschen mussten.
Im Fokus steht oftmals der Schmerz der Exilantinnen, die Iran in den Jahrzehnten nach der Revolution verlassen mussten. So schildert die israelische Sängerin Rita, mit acht Jahren aus Iran geflohen und heute zum Missfallen des Regimes in Iran bekannt und von vielen verehrt, ihre Erinnerungen an ihre Kindheit in Teheran und erzählt von ihrem Traum: Eines Tages gemeinsam mit Shervin in Teheran „Baraye“, die Hymne der Revolution, zu singen. Für Parastou Forouhar, bekannte Künstlerin aus Frankfurt, sind mit Iran besonders schmerzvolle Erinnerungen verbunden. Ihrer bewegenden Geschichte und ihrem grenzenlosen Mut wird in allen drei besprochenen Büchern Raum eingeräumt. Seit ihre Eltern 1998 vom Regime auf bestialische Weise ermordet wurden, reist Forouhar jedes Jahr zum Jahrestag in das Land, um dort ein Zeichen zu setzen. Sogar 2022, während der Proteste.
Bei den Exilstimmen sind schließlich auch jene drei Frauen vertreten, die das jüngst gebildete breite Bündnis für einen Wandel anführen: Masih Alinejad, Nazanin Boniadi und Shirin Ebadi. Von ihnen liest man kaum Neues, erfährt wenig Konkretes; einzig die Notwendigkeit der Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation wird mit Blick auf Handlungsoptionen benannt. Für eine revolutionäre Strategie reicht das nicht. Dabei hätte man gerade von der hochangesehenen Shirin Ebadi gern mehr darüber erfahren, wie der Weg in einen neuen, demokratischen Iran aussehen könnte.
Die Frage, welche konkreten politischen Schritte jetzt notwendig wären, bleibt so in den drei Büchern noch weitgehend unbeantwortet. Aber ihnen gelingt eine umfangreiche, oft bewegende Momentaufnahme der revolutionären Proteste. Die professionellen und persönlichen Einblicke der Autorinnen, ihre Recherchen vor Ort, ihre Einfühlsamkeit und Solidarität machen sie und ihre Bücher zu enorm wichtigen Begleiterinnen der revolutionären Umwälzung in Iran, die gerade erst begonnen hat.
René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.
Wurde unter Präsident
Mohammad Chatami eine Chance
auf Reformen verpasst?
Trotz der treffenden Analyse
der aktuellen Situation:
Eine revolutionäre Strategie fehlt
Katajun Amirpur:
Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat. Verlag C.H. Beck, München 2023.
240 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
Gilda Sahebi:
„Unser Schwert ist Liebe“. Die feministische Revolte im Iran. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2023.
256 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
Natalie Amiri,
Düzen Tekkal:
Wir haben keine Angst! Die mutigen Frauen Irans. E. Sandmann Verlag, Frankfurt 2023.
144 Seiten, 25 Euro.
E-Book: 21,99 Euro.
Seltene Bilder aus Teheran: Nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 begann die Revolte.
Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2023

Die entzauberte Islamische Republik
Katajun Amirpur erklärt, wie Iran das am meisten säkularisierte Land des Nahen und Mittleren Ostens wurde

Bei dem Titel mögen sich manche verwundert die Augen reiben: "Iran ohne Islam". Ist nicht das Gegenteil der Fall? Schließlich heißt der Staat, der 1979 aus einer Revolution hervorgegangen ist, "Islamische Republik Iran". Schließlich beschränken seither die Machthaber im Namen des Islams Freiheiten und Menschenrechte, begründen mit dem Islam die Diskriminierung der Frauen, verbieten Freizeitspaß wie Tanzen, Musik und selbst das Lachen als unislamisch.

Und doch: Wer regelmäßig nach Iran reist, sieht selbst, wie leer die Moscheen sind. Wer mit den Menschen redet, stellt fest, wie viele sich völlig vom Islam abgewandt haben. Vergleicht man Iran mit seinen muslimischen Nachbarn, erkennt man auch ohne empirische Studien, dass die Islamische Republik die am meisten säkularisierte Gesellschaft im Nahen und Mittleren Osten hervorgebracht hat.

In Iran schließt sich ein Bogen. 1979 war es das erste Land, in dem sich der politische Islam gegen eine säkulare (und despotische) Ordnung durchgesetzt hatte. Über vierzig Jahre danach sei Iran aber postislamistisch, schreibt die Kölner Islamwissenschaftlerin und Iranistin Katajun Amirpur. Wenn die Wirklichkeit in der Republik - die menschenverachtende Politik und blutige Repression, die Korruption und Zensur, die fehlenden Freiheiten und die Genderapartheid -, wenn das der reine Islam sein soll, dann wollten die Menschen lieber keinen Islam.

Anlass des Buches, das sich an eine breite Leserschaft richtet, sind die Proteste, die am 16. September 2022 mit dem Tod der jungen Frau Mahsa Jina Amini begonnen haben. Stellenweise merkt man, dass es mit schneller Feder geschrieben wurde. Die Autorin, die zuletzt eine lesenswerte Biographie von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini vorgelegt hat, leistet indes mehr, als nur die Proteste einzuordnen.

Sie zeichnet nach, wann und wie die Menschen begonnen haben, sich von der Islamischen Republik und dem Islam abzuwenden, und sie beschreibt, wie sich dieser Prozess über die Jahrzehnte entwickelt und beschleunigt hat. Das Buch lebt von den Gesprächen, die die Autorin über viele Jahre mit den Akteuren in Iran geführt hat, von ihren Beobachtungen des iranischen Alltags sowie von ihrer umfassenden Kenntnis des politischen Systems und der Diskurse in Iran.

Amirpur beschreibt, wie Revolutionsführer Khomeini selbst die moralische Demontage der Islamischen Republik eingeleitet hat, indem er alles für erlaubt erklärte, was dem Machterhalt dient. Damit habe der Islam auch seinen moralischen Kompass verloren. Anhand von beispielhaften Akteuren zeichnet sie nach, wie die Ablehnung der islamisch legitimierten Herrschaft immer breitere Kreise erfasst und auch vor dem schiitischen Klerus und islamischen Intellektuellen nicht Halt gemacht hat.

So hielt Abdolkarim Soroush Revolutionsführer Khomeini entgegen, dass der Mensch Rechte gegenüber dem Staat habe. Ayatollah Ali Montazeri stellte Khomeinis Führungsanspruch infrage, forderte von ihm einen Gesellschaftsvertrag mit der Bevölkerung. Ayatollah Youssef Sanei forderte die Trennung von Religion und Staat ebenso wie die Beseitigung diskriminierender Bestimmungen, etwa gegenüber Frauen. Die Zeitschrift "Kiyan" wurde die wichtigste Plattform für Debatten über Islam und Moderne, daher verboten die Machthaber sie.

Zu Wort kommen islamische Feministinnen, die, mit Unterbrechungen, von 1992 bis zum endgültigen Verbot 2015, die Zeitschrift "Zanan" herausgegeben haben und weiter mit säkularen Feministinnen zusammenarbeiten. Bekannter sind im Westen säkulare Reformer, Menschenrechtler und Dissidenten wie Akbar Gandschi, Said Hajjarian und die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die von innen den beschwerlichen Kampf gegen die ungerechte Ordnung aufgenommen haben.

Aufschlussreich sind die Passagen, in denen die Autorin nachzeichnet, wie stark Irans junge Bevölkerung moderne westliche Philosophen rezipiert und deren Schriften, die zu einem großen Teil auf Persisch vorliegen, geradezu aufsaugt. Ältere Iraner lasen noch Kant und Hegel. Heute werden die Schriften von Karl Popper, Hans-Georg Gadamer und Jürgen Habermas gelesen. Der Liberalismus - damit gemeint sind "der Kampf für Menschenrechte, Freiheitsrechte, speziell für Frauenrechte, Pluralismus, religiöse Toleranz" - sei heute die populärste Denkschule, schreibt Amirpur.

Je weiter sich die Iraner vom Islam entfernen, desto wichtiger wird der Bezug zur vorislamischen Kultur Irans. Bereits acht Prozent der Bevölkerung sollen sich wieder zum Zoroastrismus bekennen oder mit ihm sympathisieren. Denn der Islam gilt ihnen als Religion der Araber. Daher sehe die Jugend die Palästinenser auch nicht als islamische Brüder und Schwestern.

Vor diesem Hintergrund zeichnet Amirpur die Proteste gegen die Islamische Republik in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach. Protestbewegungen könnten mit Polizeigewalt aus der Welt verjagt werden, schreibt sie. "Ihre Ideen leben jedoch weiter und warten nur auf die nächste Gelegenheit, um aufs Neue artikuliert zu werden." Die bietet sich am 16. September, dem ersten Jahrestag des Todes von Mina Jina Amini. Dann wird sich zeigen, wie sehr unter der Asche weiter das Feuer brennt.

Auch wenn Amirpur die Hoffnung hegt, dass der revolutionäre Prozess bald in eine Revolution mündet, mahnt sie zu Geduld. Sie zitiert den Regisseur Beyzai, demzufolge das iranische Volk "einige Jahrzehnte" benötige, um sich von einer Revolution zu erholen. Hart geht sie mit der US-Politik gegenüber Iran ins Gericht. Die habe, ausgenommen unter Präsident Barack Obama, stets den Hardlinern in die Hände gespielt. Zunächst indem sie die ausgestreckte Hand von Reformpräsident Mohammad Khatami ignoriert habe, dann unter Präsident Donald Trump, der die dominierende Rolle der waffenstrotzenden Revolutionswächter, der tragenden Säule der Republik, weiter gestärkt habe.

Als zynisch beschreibt sie das Kalkül, darauf zu warten, dass sich eine durch Sanktionen verarmte Bevölkerung erheben werde. Eine Absage erteilt sie der Forderung, einen Regimewechsel von außen zu erzwingen. Noch immer hielten die meisten Iraner ein zentrales Postulat der Revolution von 1979 für richtig: Unabhängig von ausländischen Mächten zu sein und selbstbestimmt zu handeln. RAINER HERMANN

Katajun Amirpur: Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat.

Verlag C.H. Beck, München, 2023. 240 S., 25,- Euro.

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"Katajun Amirpur erklärt, wie Iran das am meisten säkularisierte Land des Nahen und Mittleren Ostens wurde. ... Aufschlussreich"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rainer Hermann

"Die Autorin stellt fest, was zumindest jene überraschen dürfte, die Iran nicht aus eigener Anschauung kennen: nämlich dass der 'Mullah-Staat' in den vergangenen Jahrzehnten zu einer postislamischen Gesellschaft geworden sei ... erhellende Analyse der Ursprünge der Proteste."
Süddeutsche Zeitung, René Wildangel

"Die renommierte Islamwissenschaftlerin beschreibt, wie es durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Iran zu den Protesten gegen die Herrschaft der Mullahs kommen konnte."
ZDF Forum am Freitag, Abdul-Ahmad Rashid

"Geht der Frage nach, wie es zu dieser Abkehr (von der Islamischen Republik) gekommen ist, die auch die Religion mit einschließt."
Deutschlandfunk Kultur, Ulrike Timm

"Katajun Amirpur zeigt auf, dass trotz aller Rückschläge in den vielen Jahren der aktuelle Protest der Iranerinnen und Iraner jetzt endlich Erfolg haben könnte."
NDR Kultur, Bita Schafi-Neya

"Katajun Amirpurs überraschendes Buch macht dagegen eindrucksvoll deutlich, warum diejenigen unter den Iranerinnen, die diese Revolution mehrheitlich tragen, trotz aller Opfer endlich Erfolg haben könnten."
Die Tagespresse, Sebastian Sigler

"Eine Herleitung, wie es zu den anhaltenden Protesten der vergangenen Monate kommen konnte."
NDR Kultur, Julia Westlake

"Beleuchtet überaus differenziert und nachvollziehbar die gesellschaftlichen Widersprüche im Vielvölkerstaat Iran."
Abendzeitung, Volker Isfort

"Zeigt, dass der Iran sich Stück für Stück auf den heutigen Punkt in der Geschichte zubewegt hat."
Handelsblatt, Anja Holtschneider

"Ein aufschlussreiches Buch, detailliert und kenntnisreich geschrieben. Es hilft, die Entwicklungen im Iran besser zu verstehen."
DLF Kultur, Ina Rottscheidt

"Ein genauer Blick hinter die bröckelnde Fassade des Iran"
Kleine Zeitung

"Lesenswertes Buch."

Das Parlament, Aschot Manutscharjan
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