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Martin Amis
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Interessengebiet (Mängelexemplar)
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"Wer bist du? Du weißt es nicht. Dann kommst du ins Interessengebiet, und das sagt dir, wer du bist."Golo Thomsen - SS-Offizier mit den besten Verbindungen nach Berlin - arbeitet im "Interessengebiet Auschwitz", dem größten Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus. Vor dem Hintergrund des unromantischsten Ortes des 20. Jahrhunderts verliert Thomsen sein Herz an Hannah Doll, die Frau des Lagerkommandanten, und unterwirft sich seiner dreisten Obsession, auch wenn er die Folgen seines Strebens nicht absehen kann.
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Martin Amis, geboren 1949 in Oxford, war einer der bedeutendsten englischen Gegenwartsautoren. Er ist der Verfasser von vierzehn Romanen, zwei Kurzgeschichtensammlungen und sechs Sachbüchern. Für sein Romandebüt Das Rachel-Tagebuch (1973) erhielt er den Somerset Maugham Award. Zu seinen bekanntesten Werken zählen weiterhin Gierig (1984), London Fields (1989), Interessengebiet (2015) und sein Essayband Im Vulkan (2018). Bei Kein & Aber erschien zuletzt sein autobiografischer Monumentalroman Inside Story (2022). Martin Amis starb 2023 in Lake Worth, Florida.
Produktdetails
- Kein & Aber Pocket
- Verlag: Kein & Aber
- Originaltitel: The Zone of Interest
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 416
- Erscheinungstermin: Mai 2017
- Deutsch
- Abmessung: 185mm x 113mm x 30mm
- Gewicht: 368g
- ISBN-13: 9783036959535
- ISBN-10: 303695953X
- Artikelnr.: 73252540
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
»An seinen Romanen führt kein Weg vorbei.« Andreas Platthaus, FAZ, 24. August 2019 FAZ 20190824
Die Liebe in Zeiten des Massenmords
"Interessengebiet", der neue Roman von Martin Amis über das Gefühlsleben von NS-Offizieren in Auschwitz, spaltet die Kritik. Nicht das Unsagbare ist hier Thema, sondern das Unsägliche.
Es gibt Romane, deren Lektüre man nicht beginnen kann, ohne sich mit Unbehagen zu fragen, wie man sich wohl zu ihnen verhalten wird. "Interessengebiet" von Martin Amis ist ein solches Buch. Kann man eine unter Nazis in einem Konzentrationslager angesiedelte "Liebesgeschichte" unvoreingenommen lesen? Nein. Will man wissen, welche erotischen Vorlieben ein hünenhafter Nazi-Offizier, ein lasziv-teutonisches Riesenweib, ein von Alkohol, Tabletten und seinem Rassenwahn permanent zugedröhnter
"Interessengebiet", der neue Roman von Martin Amis über das Gefühlsleben von NS-Offizieren in Auschwitz, spaltet die Kritik. Nicht das Unsagbare ist hier Thema, sondern das Unsägliche.
Es gibt Romane, deren Lektüre man nicht beginnen kann, ohne sich mit Unbehagen zu fragen, wie man sich wohl zu ihnen verhalten wird. "Interessengebiet" von Martin Amis ist ein solches Buch. Kann man eine unter Nazis in einem Konzentrationslager angesiedelte "Liebesgeschichte" unvoreingenommen lesen? Nein. Will man wissen, welche erotischen Vorlieben ein hünenhafter Nazi-Offizier, ein lasziv-teutonisches Riesenweib, ein von Alkohol, Tabletten und seinem Rassenwahn permanent zugedröhnter
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Lagerkommandant oder eine peitschenschwingende zwanzigjährige KZ-Aufseherin hegen? Nein. Wäre durch Unvoreingenommenheit hier überhaupt etwas zu gewinnen? Noch einmal: nein.
Kein Geringerer als der amerikanische Schriftsteller Richard Ford hat "Interessengebiet" als virtuos, brillant und atemraubend bezeichnet. Gleichwohl hat der Hanser Verlag, wo seit 2004 fünf Romane von Martin Amis erschienen sind, die Veröffentlichung abgelehnt. Die Aufregung darüber hielt sich in Grenzen. Vielleicht war der britische Schriftsteller, der seit seinem 1973 erschienenen Debütroman "Das Rachel-Tagebuch" als zuverlässiger agent provocateur der britischen Literaturszene gilt, ja diesmal wirklich zu weit gegangen. Aber wo wäre heute, siebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, die Grenze zu ziehen?
War sie nicht schon erreicht, als Steven Spielberg in einem Spielfilm KZ-Insassen zeigte, die in Erwartung ihres Todes in einem Duschraum stehen, den sie für eine Gaskammer halten, der aber tatsächlich ein Duschraum ist? Claude Lanzmann bezeichnete dies maßvoll als "Verfälschung der Wirklichkeit" und fügte hinzu, dass man nicht zeigen könne, "wie dreitausend Menschen in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau sterben. Es gibt keine Fotografie, es gibt kein Bild davon. Es gibt nichts. Sie starben in der schwarzen Dunkelheit." Niemand, so Lanzmann, dürfe den Versuch wagen, dies darzustellen. Mit seinem Film "Shoah" habe er weniger die Erinnerungen von Zeitzeugen festhalten wollen als vielmehr "das Unerinnerbare des Unsagbaren".
Nicht das Unsagbare ist das Thema von Martin Amis, sondern das Unsägliche. Was er beschreiben will, ist aus der Phänomenologie des NS-Apparates bekannt: die Gleichzeitigkeit von Willkür und Kontrollzwang, von Wahnsinn und rationalem Pragmatismus, von äußerster Hemmungslosigkeit und Disziplin. Amis will ein Alltagsleben schildern, in dem der Massenmord zur Routine geworden ist. Als Schauplatz hat er den Lagerkomplex von Auschwitz gewählt, der zwei miteinander konkurrierenden Zwecken diente: dem Vorantreiben der Judenvernichtung und der Versorgung der benachbarten Buna-Werke mit Zwangsarbeitern.
Die logistischen Probleme, hierarchischen Konflikte und Rivalitäten, die daraus entstehen, bettet Amis ein in die Liebesgeschichte zwischen der Frau des Lagerkommandanten Paul Doll und Golo Thomsen, einem kultivierten Nazi bester isländischer Abstammung, der als Neffe von Reichsleiter Martin Bormann höchste Protektion genießt, sich aber durch eine Affäre mit Hannah Doll in große Gefahr begeben würde.
Es ist eine "Liebe auf den ersten Blick", die bis zur letzten Seite unerfüllt bleibt. Amis entwirft Klischeefiguren, die Namen tragen wie Norberte, Amalasand Burckl oder Romhilde Seedig. Das soll wohl germanisch klingen. Golo Thomsen ist der Zyniker unter den drei Ich-Erzählern des Romans. Paul Doll, der Lagerkommandant und Thomsens Rivale, ist das nur noch von Alkohol und Tabletten zusammengehaltene Wrack - ein Opfer seiner Profession?
Es seien eben nicht nur die Sadisten und Wahnsinnige, die entgleisen, wenn alles um sie herum entgleist, hat Jonathan Littell, der Autor der "Wohlgesinnten" gesagt. Wie Littell hat Amis umfangreiche Recherchen betrieben und sich auf historische Genauigkeit verpflichtet, und wie Littell bringt er die Täter, die in der historischen Wirklichkeit fast ausnahmslos stumm blieben, zum Sprechen. Aber lohnt sich der Aufwand, wenn die Dialoge überwiegend einem Offizierskasinotonfall verhaftet bleiben?
Im englischen Original gönnt sich Amis neben den absurd klingenden deutschen Namen noch den Spaß, zahlreiche deutsche Ausdrücke einzustreuen. Dabei handelt es sich keineswegs immer um Fachbegriffe der Mordmaschinerie. Wenn der Lagerkommandant über die Reize der jungen Witwe eines unter absurden Umständen im Lager zu Tode gekommenen morphiumsüchtigen Offiziers nachdenkt, die sich nun wegen einiger nichtarischer Vorfahren als Häftling am früheren Arbeitsplatz ihres toten Mannes wiederfindet, klingt das so: "She's short in the Unterschenkel, Alisz, but she has a glorious Hinterteil. As for the other stuff, the Busen and such, it's hard to say - but there's certainly no argument about the Sitzflache." Kein Wunder, dass der Kritiker des "Guardian" solchen Versuchen, satirische und humoristische Töne anzuschlagen, wenig abgewinnen konnte: Es funktioniere nicht und sei falsch.
Daniel Cohn-Bendit hat vor acht Jahren den Autor der "Wohlgesinnten" gefragt, wie es sich anfühle, wenn man das Elend und die Grausamkeiten der Massenhinrichtungen im Detail beschreibe und am eigenen Schreibtisch im Blut der Exekutionsopfer wate. Littell antwortete, dass die Leiche im Moment des Schreibens eine grammatikalische Form sei, und zitierte damit die Täterpsychologie, die das Opfer nicht als Menschen, sondern als Gegenstand definiert.
Wie bei Primo Levi, der elf Monate in Auschwitz-Monowitz Zwangsarbeit für die Buna-Werke leisten musste, sprechen auch bei Amis die SS-Offiziere nicht von Menschen oder Häftlingen, sondern von "Stücken", deren Wert sich in Reichsmark berechnen lässt. Levi, auf den sich Amis im Nachwort zu seinem Roman ausdrücklich beruft, begann sofort nach seiner Rückkehr nach Turin damit, seinen Erlebnissen eine literarische Form zu geben. "Ist das ein Mensch?" erschien 1947. In einer seiner Kolumnen, die zwischen 1976 und 1984 in der Zeitung "La Stampa" erschienen, trat Levi dafür ein, dem "schöpferischen Schreiben" keine Grenzen aufzuerlegen: "Gewöhnlich gehorcht, wer das tut, politischen Tabus oder atavistischen Ängsten." Bücher und Erzählungen, ob in guter oder in schlechter Absicht geschrieben, seien im Wesentlichen wirkungslose, harmlose Objekte: "selbst in ihren verächtlichsten Erscheinungsformen (wenn zum Beispiel Sex mit Nazismus oder Pathologie mit Pornographie vermengt werden), können sie nur geringfügigen Schaden anrichten, der sicherlich weniger schlimm ist als die durch Alkohol, Rauchen oder beruflichen Stress bewirkten Schädigungen".
Levi, der sich 1987 das Leben nahm, fühlte sich den Toten verpflichtet, die er als die "wirklichen Zeugen" bezeichnete. Amis hat die Zeugenrolle seinem dritten Ich-Erzähler zugedacht. Szmul ist der Anführer des Sonderkommandos, das aus Häftlingen besteht, die den Leichen Ringe von den Fingern schneiden und Goldzähne herausbrechen. Szmul will seine Erlebnisse aufschreiben, Zeugnis abgeben. Er kann nicht wissen, ob die Welt je etwas von dem erfahren wird, was in Auschwitz geschieht. Martin Amis' Roman hat dem, was wir über Auschwitz wissen, nichts hinzuzufügen. Das ist das größte Problem dieses so ehrgeizigen wie mutwilligen Buchs, aber gewiss nicht sein einziges.
HUBERT SPIEGEL
Martin Amis: "Interessengebiet". Roman.
Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Kein & Aber Verlag, Zürich 2015. 416 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Geringerer als der amerikanische Schriftsteller Richard Ford hat "Interessengebiet" als virtuos, brillant und atemraubend bezeichnet. Gleichwohl hat der Hanser Verlag, wo seit 2004 fünf Romane von Martin Amis erschienen sind, die Veröffentlichung abgelehnt. Die Aufregung darüber hielt sich in Grenzen. Vielleicht war der britische Schriftsteller, der seit seinem 1973 erschienenen Debütroman "Das Rachel-Tagebuch" als zuverlässiger agent provocateur der britischen Literaturszene gilt, ja diesmal wirklich zu weit gegangen. Aber wo wäre heute, siebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, die Grenze zu ziehen?
War sie nicht schon erreicht, als Steven Spielberg in einem Spielfilm KZ-Insassen zeigte, die in Erwartung ihres Todes in einem Duschraum stehen, den sie für eine Gaskammer halten, der aber tatsächlich ein Duschraum ist? Claude Lanzmann bezeichnete dies maßvoll als "Verfälschung der Wirklichkeit" und fügte hinzu, dass man nicht zeigen könne, "wie dreitausend Menschen in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau sterben. Es gibt keine Fotografie, es gibt kein Bild davon. Es gibt nichts. Sie starben in der schwarzen Dunkelheit." Niemand, so Lanzmann, dürfe den Versuch wagen, dies darzustellen. Mit seinem Film "Shoah" habe er weniger die Erinnerungen von Zeitzeugen festhalten wollen als vielmehr "das Unerinnerbare des Unsagbaren".
Nicht das Unsagbare ist das Thema von Martin Amis, sondern das Unsägliche. Was er beschreiben will, ist aus der Phänomenologie des NS-Apparates bekannt: die Gleichzeitigkeit von Willkür und Kontrollzwang, von Wahnsinn und rationalem Pragmatismus, von äußerster Hemmungslosigkeit und Disziplin. Amis will ein Alltagsleben schildern, in dem der Massenmord zur Routine geworden ist. Als Schauplatz hat er den Lagerkomplex von Auschwitz gewählt, der zwei miteinander konkurrierenden Zwecken diente: dem Vorantreiben der Judenvernichtung und der Versorgung der benachbarten Buna-Werke mit Zwangsarbeitern.
Die logistischen Probleme, hierarchischen Konflikte und Rivalitäten, die daraus entstehen, bettet Amis ein in die Liebesgeschichte zwischen der Frau des Lagerkommandanten Paul Doll und Golo Thomsen, einem kultivierten Nazi bester isländischer Abstammung, der als Neffe von Reichsleiter Martin Bormann höchste Protektion genießt, sich aber durch eine Affäre mit Hannah Doll in große Gefahr begeben würde.
Es ist eine "Liebe auf den ersten Blick", die bis zur letzten Seite unerfüllt bleibt. Amis entwirft Klischeefiguren, die Namen tragen wie Norberte, Amalasand Burckl oder Romhilde Seedig. Das soll wohl germanisch klingen. Golo Thomsen ist der Zyniker unter den drei Ich-Erzählern des Romans. Paul Doll, der Lagerkommandant und Thomsens Rivale, ist das nur noch von Alkohol und Tabletten zusammengehaltene Wrack - ein Opfer seiner Profession?
Es seien eben nicht nur die Sadisten und Wahnsinnige, die entgleisen, wenn alles um sie herum entgleist, hat Jonathan Littell, der Autor der "Wohlgesinnten" gesagt. Wie Littell hat Amis umfangreiche Recherchen betrieben und sich auf historische Genauigkeit verpflichtet, und wie Littell bringt er die Täter, die in der historischen Wirklichkeit fast ausnahmslos stumm blieben, zum Sprechen. Aber lohnt sich der Aufwand, wenn die Dialoge überwiegend einem Offizierskasinotonfall verhaftet bleiben?
Im englischen Original gönnt sich Amis neben den absurd klingenden deutschen Namen noch den Spaß, zahlreiche deutsche Ausdrücke einzustreuen. Dabei handelt es sich keineswegs immer um Fachbegriffe der Mordmaschinerie. Wenn der Lagerkommandant über die Reize der jungen Witwe eines unter absurden Umständen im Lager zu Tode gekommenen morphiumsüchtigen Offiziers nachdenkt, die sich nun wegen einiger nichtarischer Vorfahren als Häftling am früheren Arbeitsplatz ihres toten Mannes wiederfindet, klingt das so: "She's short in the Unterschenkel, Alisz, but she has a glorious Hinterteil. As for the other stuff, the Busen and such, it's hard to say - but there's certainly no argument about the Sitzflache." Kein Wunder, dass der Kritiker des "Guardian" solchen Versuchen, satirische und humoristische Töne anzuschlagen, wenig abgewinnen konnte: Es funktioniere nicht und sei falsch.
Daniel Cohn-Bendit hat vor acht Jahren den Autor der "Wohlgesinnten" gefragt, wie es sich anfühle, wenn man das Elend und die Grausamkeiten der Massenhinrichtungen im Detail beschreibe und am eigenen Schreibtisch im Blut der Exekutionsopfer wate. Littell antwortete, dass die Leiche im Moment des Schreibens eine grammatikalische Form sei, und zitierte damit die Täterpsychologie, die das Opfer nicht als Menschen, sondern als Gegenstand definiert.
Wie bei Primo Levi, der elf Monate in Auschwitz-Monowitz Zwangsarbeit für die Buna-Werke leisten musste, sprechen auch bei Amis die SS-Offiziere nicht von Menschen oder Häftlingen, sondern von "Stücken", deren Wert sich in Reichsmark berechnen lässt. Levi, auf den sich Amis im Nachwort zu seinem Roman ausdrücklich beruft, begann sofort nach seiner Rückkehr nach Turin damit, seinen Erlebnissen eine literarische Form zu geben. "Ist das ein Mensch?" erschien 1947. In einer seiner Kolumnen, die zwischen 1976 und 1984 in der Zeitung "La Stampa" erschienen, trat Levi dafür ein, dem "schöpferischen Schreiben" keine Grenzen aufzuerlegen: "Gewöhnlich gehorcht, wer das tut, politischen Tabus oder atavistischen Ängsten." Bücher und Erzählungen, ob in guter oder in schlechter Absicht geschrieben, seien im Wesentlichen wirkungslose, harmlose Objekte: "selbst in ihren verächtlichsten Erscheinungsformen (wenn zum Beispiel Sex mit Nazismus oder Pathologie mit Pornographie vermengt werden), können sie nur geringfügigen Schaden anrichten, der sicherlich weniger schlimm ist als die durch Alkohol, Rauchen oder beruflichen Stress bewirkten Schädigungen".
Levi, der sich 1987 das Leben nahm, fühlte sich den Toten verpflichtet, die er als die "wirklichen Zeugen" bezeichnete. Amis hat die Zeugenrolle seinem dritten Ich-Erzähler zugedacht. Szmul ist der Anführer des Sonderkommandos, das aus Häftlingen besteht, die den Leichen Ringe von den Fingern schneiden und Goldzähne herausbrechen. Szmul will seine Erlebnisse aufschreiben, Zeugnis abgeben. Er kann nicht wissen, ob die Welt je etwas von dem erfahren wird, was in Auschwitz geschieht. Martin Amis' Roman hat dem, was wir über Auschwitz wissen, nichts hinzuzufügen. Das ist das größte Problem dieses so ehrgeizigen wie mutwilligen Buchs, aber gewiss nicht sein einziges.
HUBERT SPIEGEL
Martin Amis: "Interessengebiet". Roman.
Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Kein & Aber Verlag, Zürich 2015. 416 S., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine richtig gute Auschwitz-Satire hätte sich Stefan Mahlke durchaus gefallen lassen, doch Martin Amis zieht seine Sache nicht bis zum bitteren Ende durch und das lässt diesen Roman in den Augen des Rezensenten nicht moralische, sondern literarisch total misslingen: In der Person des überforderten KZ-Kommandanten sieht Mahlke noch die bösesten und stärksten Passagen. Doch wenn der SS-Verbindungsoffizier Golo Thomsen durch die Kraft der Liebe wieder auf den richtigen Weg, sieht der Rezensent keinen Hinweis auf Ironie. Und wie der jüdische Häftling Szmul, "von allen traurigen Männern der traurigste", einen ganz neuen Ton in den Roman bringt, das zieht laut Mahlke der Satire endgültig den Stecker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Gebundenes Buch
Anus mundi
Als Enfant terrible der englischen Literatur ist der erfolgreiche Schriftsteller Martin Amis schon häufig befehdet worden in seiner Heimat. Was ihm jedoch bei seinem neuesten Roman «Interessengebiet» passiert ist, das stellt zweifellos den absoluten Gipfelpunkt der …
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Anus mundi
Als Enfant terrible der englischen Literatur ist der erfolgreiche Schriftsteller Martin Amis schon häufig befehdet worden in seiner Heimat. Was ihm jedoch bei seinem neuesten Roman «Interessengebiet» passiert ist, das stellt zweifellos den absoluten Gipfelpunkt der Missbilligung dar. Sein Roman wurde beim deutschen Hanser-Verlag schlicht und ergreifend abgelehnt, in Frankreich bei Gallimard übrigens auch. Wenn man allerdings weiß, dass der Titel des Romans die Bezeichnung der SS für den gesamten Lagerbereich des KZs Auschwitz war, erahnt man den Sprengstoff, der diese drastischen Reaktionen bewirkt hat, der Holocaust ist - und bleibt wohl auf ewig - ein brisantes Thema. Und so fand der umstrittene Roman nur auf dem Umweg über die Schweiz zu uns. Die Aufregung erinnert mich an Jonathan Littels «Die Wohlgesinnten» und wirft natürlich auch hier die gleiche Frage auf, ob nämlich aus Tätersicht erzählte Holocaust-Romane einen fremdsprachigen Autor bedingen. Könnte, frage ich, ein dem Tätervolk angehörender, renommierter Autor, ohne einen Skandal auszulösen, ebenso locker und ironisch das Grauen als wohlfeilen Background für seine Erzählung benutzen?
Äußerer Rahmen der Handlung ist die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick, der draufgängerische Golo Thomsen, isländischer Herkunft, SS-Verbindungsoffizier zu den Buna-Werken der IG Farben, verliebt sich unsterblich in Hannah, die Frau des Kommandanten von Auschwitz, Paul Doll. In sechs Kapiteln, ergänzt um ein mit «Nachspiel» überschriebenes Schlusskapitel, entwickelt der Autor seine verstörende Geschichte, in deren Mittelpunkt im wesentlichen das KZ-Lagerleben steht, das in wechselnden Unterkapiteln aus der Perspektive der drei Ich-Erzähler Golo, dem versoffenen und überforderten Doll sowie von Szmul erzählt wird. Letzterer ist ein Häftling, der als Kapo eines Sonderkommandos fungiert, das den Vergasten die Goldplomben entfernen und die Haare abschneiden muss, um die Leichen anschließend ins Krematorium zu bringen. All dies ist schon vielfach geschildert worden, der Autor fügt dem Schreckensszenario absolut nicht Neues hinzu.
Eine gewisse Spannung erhält der Plot dadurch, dass die sich anbahnende Romanze des als Schwerenöter beschriebenen Golo mit Hannah natürlich hochgefährlich wäre, schließlich ist Doll als Kommandant unumschränkter Herr über Leben und Tod im Lager. Doch Golo genießt seinerseits Protektion aus Berlin, ausgerechnet Martin Bormann nämlich ist sein Onkel, Hitlers einflussreicher Privatsekretär, die graue Eminenz im Tausendjährigen Reich. Genau hier aber gleitet die Geschichte ins Kitschige ab, die Gespräche von Golo mit Onkel Martin und Tante Gerda, in denen auch deren unkonventionelles Sexleben nicht ausgespart bleibt, sind absolut unwirklich. Meist drehen sich die in einem besonderen Lagerjargon gehaltenen Gespräche um die Logistik des Todes, um ökonomische Probleme, um die wenigen Veranstaltungen, die für die Offiziere Abwechslung in das trostlose Lagerleben bringen, und abstoßend vulgär um Frauen natürlich. Der Jude Szmul wiederum fungiert als moralische Instanz, er will heimlich notieren, was im Lager wirklich passiert, er will der Nachwelt damit Zeugnis ablegen über das Unsagbare, das doch so unsäglich erscheint.
Die Liebesgeschichte inmitten des Grauens hat einen unerträglich bitteren Beigeschmack, auch wenn uns Lesern ein Happy End erspart bleibt. Das Figurenensemble verkörpert allzu klischeehaft jene scheußlichen Menschentypen, die eine solch extreme Ausnahmesituation auszuformen imstande ist. Die fiktionale Überhöhung impliziert eine Verharmlosung, die mir unerträglich erscheint angesichts des historischen Geschehens. Als Satire im Stil von Monty Python ist der Roman jedenfalls rettungslos missglückt, eventuell vorhandene moralische Absichten werden damit auf böse Art konterkariert. Und ohne Auschwitz, im Lagerjargon Anus mundi, soviel ist auch sicher, wäre «Interessengebiet» ein Schundroman, der kaum jemanden interessiert.
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