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In innere organe wendet sich Paul-Henri Campbell erneut dem Körper zu. Der Kreis »Haut« tastet mit mehreren Texten nach einem Lexikon der Sinne, der Hüllen und Schalen und steht einer Serie an Litaneien gegenüber, die mit einer Technik der Listen und Loops versuchen, den verborgenen inneren Organen eine poetische Präsenz im Sehen und Hören zu verschaffen. Diese Körpergedichte, entstanden in den ersten Monaten der Covid-19-Pandemie, stellen der allgemeinen Tendenz die expressive Wucht der Poesie entgegen. Während Campbells vorausgegangener Gedichtband nach den narkosen intensiv um die…mehr

Produktbeschreibung
In innere organe wendet sich Paul-Henri Campbell erneut dem Körper zu. Der Kreis »Haut« tastet mit mehreren Texten nach einem Lexikon der Sinne, der Hüllen und Schalen und steht einer Serie an Litaneien gegenüber, die mit einer Technik der Listen und Loops versuchen, den verborgenen inneren Organen eine poetische Präsenz im Sehen und Hören zu verschaffen. Diese Körpergedichte, entstanden in den ersten Monaten der Covid-19-Pandemie, stellen der allgemeinen Tendenz die expressive Wucht der Poesie entgegen. Während Campbells vorausgegangener Gedichtband nach den narkosen intensiv um die unmittelbare Fragilität des Körpers, um medizinische Prozeduren in autofiktionalen Poemen kreiste, stellt innere organe die lebendige Fühlbarkeit des Körpers, die Verflochtenheit von Körper und Körpergeschichte, auch die ausdrückliche Kraft des Gedichts als Sprachkörper in den Vordergrund. Daneben finden sich Gedichte, die von der allerkleinsten Materie angetrieben sind und Unfälle in Atomkraftwerkensowie Atomwaffentests als historische Folien für ein elementares Sprachspiel aufgreifen. Ein eigenes Kapitel bilden experimentelle Texte, wie z. B. luftbrücken oder die ruinierte elegie, die sich in mehrsprachiger Versgestaltung oder klanglichen Übermalungen von Meistertexten einem weiteren Sprachspiel hingeben. Abgerundet wird der Band von mehreren Prosa-Patchworks, die sich als »spuren- texte« zu den Gedichten lesen lassen.
Autorenporträt
Paul-Henri Campbell, geboren 1982 in Boston, studierte katholische Theologie und klassische Philologie in Frankfurt/Main sowie an der National University of Ireland, Maynooth. 2017 erhielt er den Bayerischen Kunstförderpeis und 2018 den Herrmann-Hesse-Förderpreis. Zuletzt erschienen sind die Gedichtbände Space Race (2015) und nach den narkosen (2017) sowie ein Interviewband zu Tattoos und Religion, Die bunten Kathedralen des Selbst (2019). Er lebt in Unterfranken und Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2022

Poetische Hochform
Paul-Henri Campbells "innere organe"

Wenn die Haut, so der Dichter Paul-Henri Campbell, eine "stumme Zeugin deines Lebens ist", dann bringen Muttermale, Falten, Verletzungen, Narben sie zum Sprechen. Während Tätowierungen ihrerseits die dermatologischen Ausdrucksmöglichkeiten künstlich und künstlerisch potenzieren. Jede Linie ein Prägemahl, so avanciert der bebilderte Körper zur "bunten Kathedrale des Selbst".

Mit dem Zyklus "Haut" setzt der neue Gedichtband des Tätowierungsexperten, Religionswissenschaftlers und Lyrikers Campbell also gleichermaßen oberflächlich wie in medias res ein. Mit sicheren Strichen ziehen Campbells Gedichte direkte Traditionslinien von den bildgebenden Verfahren der Tätowierung zu Techniken wie dem Fresko, aber auch zu Holz- und sakralen Goldarbeiten. Fachwörter wie "duktile Scherzone", "character indelebilis" oder "darmserosa" schillern nachschlageaffin aus dieser Wissenspoesie hervor. Mit einem Mal scheinen der Tattoo-Großmeister Henk Schiffmacher und der Limburger Bischof Tebartz-van Elst wesensverwandt zu sein: beide auf ihre Weise Kunstliebhaber und Museumsleute (dem einen fehlt ein Museum für seine Tätowierungssammlung, des anderen Luxuswohnung dient jetzt als ein Museum zu viel). Zu solch poetischer Hochform läuft Campbells Gedichtband erst wieder in den beiden abschließenden Zyklen auf. Wenn er in "re:aktor poems" und "warme atolle" dem "boooooooooooom" (es handelt sich um ein buchstabengetreues Zitat) vergangener Reaktorkatastrophen und Atombombentests nachgeht.

Dazwischen durchschreitet man etwa Campbells "ruinierte elegien #1" als eine parodistische Überschreibung von Rainer Maria Rilkes erster "Duineser Elegie": Rilkes "denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang, das wir grade noch ertragen", prägt der Falschnamenmünzer Campbell um in "denn das böse ist nichts / als des herzlichen anfangs, den wir noch grade nicht sahen". Pointiert zeigen sich an diesem Vers die zwei wichtigsten Techniken von Campbells Poesie: prägnante Überlagerungen und Überschreibungen einerseits, konsequente Verortungen andererseits: auf der Haut, in der Duineser Ruine, auf fernen Atollen, in "istanbuler elegien" oder schlicht bei "ich auf dem sofa" oder ungefähr "somewhere over rasdorf".

Von diesen Orten aus fächern die Gedichte ihre Sprachformen aus. Nuanciert ist das zu beobachten an den Komposita-Listen und Loops der titelgebenden "inneren Organe": "Nierenfunktion / Nierenfunktionen / Nierenöl / Nierenpflaume / Nierenkanälchen / Nierenkörperchen / Nierenverkleinerung." Wobei diese Litaneien, trotz ihres Sogs, in den Schatten gestellt werden von dem erhellenden Zyklus "luftbrücken". In einem verspielten deutsch-amerikanischen Parlando lässt Paul-Henri Campbell hier die amerikanische Prägung einzelner Frankfurter Orte, Straßen und Viertel aufleben, indem er kuriose Mischwesen in Erscheinung treten lässt: "she war eine frau in search of einen cowboy / in einem age that hatte no more pferde a land." Kurz befürchtet man, die Dame werde doch wohl nicht in voller Pferdestärke in Eugen Gomringers "La Avenida" abbiegen? Aber Campbell swingt sich auf seine eigene Weise ein, höchst einprägsam. CHRISTIAN METZ

Paul-Henri Campbell: "innere organe". Gedichte.

Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2022. 80 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Christian Metz hat sichtlich Spaß an Paul-Henri Campbells Gedichten, die ihn wahlweise Frankfurt zweisprachig erkunden lassen ("she war eine frau in search of einen cowboy …") oder Rilkes Elegien als "ruinierte elegien" erleben lassen, "somewhere over rasdorf". Campbells lustvolles Überschreiben führt Metz u. a. auf dessen Arbeit als Tätowierer zurück, die laut Metz durchblitzt, wenn der Autor "nachschlageaffin" von "Scherzonen" und "darmserosa" dichtet. Auch Campbells Beschäftigung mit der Atombombe findet Metz zündend. Eine "Wissenspoesie" aus Loops und Listen, die sich dem Rezensenten einprägt.

© Perlentaucher Medien GmbH