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Sigrid Weigel ist eine der herausragendsten Kennerinnen des Werkes von Ingeborg Bachmann. Sie legt hier eine Gesamtdarstellung vor. Diese stützt sich nicht nur auf den zugänglichen Nachlaß, sondern auch auf Spuren, die Bachmanns Korrespondenz in anderen Nachlässen hinterlassen hat und die hier recherchiert wurden. Aus den vielen Details entsteht ein neues Bild von Ingeborg Bachmann - frei von den Klischees der biographischen Interpretation. Es zeigt die Schriftstellerin als Intellektuelle, die sich intensiv mit jüdischen Denkern auseinandersetzte.

Produktbeschreibung
Sigrid Weigel ist eine der herausragendsten Kennerinnen des Werkes von Ingeborg Bachmann. Sie legt hier eine Gesamtdarstellung vor. Diese stützt sich nicht nur auf den zugänglichen Nachlaß, sondern auch auf Spuren, die Bachmanns Korrespondenz in anderen Nachlässen hinterlassen hat und die hier recherchiert wurden.
Aus den vielen Details entsteht ein neues Bild von Ingeborg Bachmann - frei von den Klischees der biographischen Interpretation. Es zeigt die Schriftstellerin als Intellektuelle, die sich intensiv mit jüdischen Denkern auseinandersetzte.
Autorenporträt
Sigrid Weigel ist Professorin am Institut für Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin und Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.1999

Aus Weisheit unbegriffen?
Der gesperrte Bachmann-Nachlaß als erfüllte Wissenschaft

Ein Gegenstand färbt ab auf seinen Erforscher, das ist meistens so. Sigrid Weigel verbirgt sich, wie sich Ingeborg Bachmann verborgen hat. Beide wollen nicht erkannt werden. Während die Dichterin ihre Person im Netzwerk poetischer Vieldeutigkeiten unkenntlich gemacht hat, sucht die Interpretin ihr Versteck in einer aufs höchste getriebenen Fachprosa, deren Grundgeste die Abwehr ist: Keiner erkenne mich! Ausnahmslos alle bisherigen Bachmann-Deuter liegen falsch; die Wahrheit ist immer anderswo! Es ist ein Buch mit eingebauter Rezensentenfalle, denn nie wird man das treffen, was gemeint ist, weil nichts so sorgfältig verborgen wird wie ebenjenes. Es ist infolgedessen eine Qual, dieses Buch zu lesen.

Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Biographie, sondern um eine Analyse der literarischen Hinterlassenschaft und ihrer Wirkungsgeschichte. Mit kurioser Strenge mustert Sigrid Weigel eine Menge seichter Sekundärliteratur durch. Ingeborg Bachmanns Werk von dieser zu reinigen, es gewissermaßen von Deutungssedimenten und Interpretationsschlacken zu entkrusten ist ein Hauptmotiv dieser sechshundert Seiten. Da werden Attacken geritten gegen die verschiedensten literaturwissenschaftlichen Schulen - gegen die Einflußphilologen, die Bachmanns Werk als Arrangement vertrockneter Lesefrüchte kredenzen, gegen feministische Lektüren, die es auf "weibliche Ästhetik" oder sonst ein gefühlshaft Intuitionistisches festlegen wollen, vor allem aber gegen jede Art von biographischer Interpretation, die das Werk nur nach Lebenszeugnissen absucht.

Die Argumentation gegen die Einflußphilologie krankt freilich daran, daß Einflußsuche als solche nicht sinnvoll kritisiert werden kann, da ohne Einflüsse keiner wurde, was er ist, und da im Zeitalter der Intertextualität das monadenhafte Genie ohnehin ausgespielt hat. So läuft es darauf hinaus, anstelle der bisher sattsam abgehandelten - Heidegger, Wittgenstein - andere und möglichst noch anspruchsvollere "Einflüsse" zu plazieren, an der Spitze Hannah Arendt, Gershom Scholem, Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. Damit wäre Ingeborg Bachmann in einem jüdischen Diskurs zu verorten, dessen dunkle Mitte das vom Redenmüssen umzirkelte Schweigen über Auschwitz ist.

Gegen die feministische Lektüre wird die Dichterin dezidiert als Intellektuelle vorgestellt. Mit der gleichen Klappe aber werden männlichen Sehweisen geschlagen, die sie lediglich als Lyrikerin akzeptieren und latent immer irgendwie als Frau oder Mädchen, hilfsbedürftig jedenfalls, bewerten. Ihnen wird eine überlegene Denkerin entgegengehalten, die die Geschlechterrollen längst durchschaut hat, sie literarisch gestaltet und spielerisch alle einschlägigen Vorerwartungen düpiert.

Die Verunsicherung, die von Bachmann ausgeht, kommt nicht aus Unsicherheit, sondern ist Folge jenes Sich-Entziehens. Auf jede Festlegung antwortet Bachmann, so Sigrid Weigel, mit einer Verweisung. In einem Netz von Korrespondenzen hin und her geschickt, erkennt der Betrachter allmählich, daß er ein undurchdringliches Geheimnis umkreist. Mythisch und groß, ist Ingeborg Bachmann die unbegriffene Mitte dieses Buches, unbegriffen aus Weisheit, weil alles Begreifen verkleinernd, niederziehend, indiskret wäre. Das Leitzitat des Buches lautet: "Ich möchte das Briefgeheimnis wahren. Aber ich möchte auch etwas hinterlassen."

Ingeborg Bachmann dichtet, um etwas zu hinterlassen und trotzdem das Briefgeheimnis zu wahren. Das Gedichtete ist nicht das Erlebte, sondern ein Hergestelltes. Eine Autorin ist eine Rolle oder ein Medium und darf nicht mit der Privatperson verwechselt werden. Die biographistischen Deutungen sind papierene Schutzschilde gegen die Angst vor Texten, deren raffinierte Überblendungen eine polyphone Entzifferungsstrategie verlangt und lebensgeschichtliche Vereindeutigungen zurückweist.

Auch der Tod der Dichterin durch einen Brandunfall darf nicht "verstanden" werden. Fast alle Nachrufe entwarfen das Bild einer Person, deren bedrohte und fragile Existenz geradezu unausweichlich auf diesen Tod zulief. In den Angstvisionen der "Malina" oder den Feuermetaphern des großen Nachlaßprojekts "Todesarten" fanden sie Bestätigungen genug. Ingeborg Bachmann erschien als jemand, für den es keinen Platz in dieser Welt gab. Sie wurde damit, wie Sigrid Weigel abwehrend anmerkte (ohne eine eigene Deutung des Todes vorzulegen), "dem beliebten Dichtermythos unterworfen, nach dem die Größe der Kunst immer mit einer Tragik des Lebens bezahlt werden muß".

Außer dem Tod will auch die Liebe ihr Geheimnis behalten, weshalb Max Frisch scharf kritisiert wird für die Preisgabe seiner Beziehung zu Bachmann in der autobiographischen Erzählung "Montauk", während Paul Celan und Uwe Johnson das Schweigen wahrten. Beschreiben ist Ausrauben, Verletzen, Stigmatisieren. Frisch muß als Prototyp des "Mannes" herhalten, der keine intellektuell überlegene Partnerin neben sich aushalten kann. Daß es in "Montauk" um etwas viel Generelleres geht, um die Zerstörung aller und jeder Liebe durch Erkenntnis, davon will Sigrid Weigel nichts wissen. Vielleicht hat Ingeborg Bachmann Max Frisch durchschaut, aber dann ging die Liebe an diesem Durchschautwerden zugrunde und nicht an gekränkter Mannesehre.

Die Abwehr des Biographischen wird dadurch erleichtert, daß die wichtigsten Briefwechsel, gerade die mit Johnson, Celan oder Frisch, noch auf längere Zeit gesperrt sind. Sigrid Weigel hält sich ans veröffentlichte Werk und die zugänglichen Teile des Nachlasses, in dem sie manches bisher Unausgewertete entdeckt. Dennoch macht sie aus der Not eine Tugend, vernebelt das Nicht-Durchschauen-Können zum Nicht-Durchschauen-Dürfen und verklärt das Nichtgewußte zur numinosen Aura. Aber Wissenschaft ist nun einmal zur Gewinnung von Erkenntnis da und nicht zur Feier von Geheimnissen. Es wird nicht ausbleiben, daß eine Forschergeneration, der alle Teile des Nachlasses ungehindert zugänglich sein werden, einen anderen und bestimmt nicht flacheren Blick auf das Werk Ingeborg Bachmanns haben wird.

HERMANN KURZKE

Sigrid Weigel: "Ingeborg Bachmann". Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses. Paul Zsolany Verlag, Wien 1999. 605 S., geb., 68,- DM.

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