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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2002

Armer Hund, Vorgesetzten auf den Kopf spuckend
Das Warten hat sich gelohnt: Ha Jins Novelle „Im Teich” setzt auf die poetische Gerechtigkeit
Der Marsch durch die Institutionen endet in der Propagandaabteilung. Angetreten hat ihn ein armer Hund. Der Fabrikarbeiter Shao Bin ist nicht nur von schlauer Einfältigkeit, sondern besitzt auch cholerisches Temperament. Anders als seine Kollegen lehnt er sich gegen seine Vorgesetzten auf, die ihn bei der Wohnungszuteilung übergangen haben. Weil er künstlerisches Talent hat, macht er die Direktion in einer Karikatur lächerlich. Er sät Wind und erntet Sturm. Er hält das Fähnchen seiner Gerechtigkeit aufrecht, pinselt in Schönschrift beharrlich Beschwerdebriefe und marschiert trotz aller Schikanen als Propagandist in eigener Sache von einem Publicity-Coup zum nächsten, bis die Pekinger Zeitschrift „Recht und Demokratie” über seinen Fall berichtet. Auf diesen publizistischen Höhen angelangt, kann er der Direktion endlich auf den Kopf spucken. Die Fabrikleitung wird gerügt.
Dem begabten Bin aber macht der Vorgesetzte das Angebot, künftig als „Kunstkader” in der Propagandaabteilung zu arbeiten. Der kleine Mann nimmt an. Doch eine neue Wohnung zu fordern, die seine Familie so dringend benötigt, fällt ihm nicht ein. Abwarten, sagt er sich, frühe Forderungen sind schlechte Forderungen. Auf dem Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle, wo er die „Kampagne gegen bürgerlichen Liberalismus” propagieren soll, kann er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. So endet die Revolte des Kalligraphen, wie sie der chinesische US-Emigrant Ha Jin in seiner Novelle „Im Teich” erzählt.
Jin ist in Deutschland mit seinem Roman „Warten”, in dem ein Mann achtzehn Jahre lang darauf wartet, sich scheiden lassen zu dürfen, zu einiger Bekanntheit gelangt. Das Motiv des Wartens ist auch in diesem Werk zentral: als Alternative zum blindwütigen Angriff. Bin schreckt in seinem Zorn, der meist komisch, aber immer wieder auch unheimlich wirkt, nicht vor einer poetischen Gerechtigkeit zurück, die den Gegner anhand erfundener Vergehen kompromittiert. Selbst Todesdrohungen, die ihm der Affekt abringt, nimmt er nicht zurück.
Weil Bins Zorn maßlos ist, hält man ihn für unzurechnungsfähig. Immer dann, wenn er sich mit seinen Angriffen alle Chancen verbaut zu haben meint, erscheint Bin das Warten als die bessere Option. Immer wieder verwirft sie, um sie am Ende doch zu wählen.
„Im Teich” handelt vom Kampf von Talent und Berufung gegen die Zwänge der Gesellschaft, fragt nach ihrem Recht und danach, wo dessen Grenzen liegen; von einem Kampf, der aus der Perspektive eines Underdogs geführt wird, für den das kommunistische Dogma die Welt ist, außerhalb derer er sich nicht stellen kann. Dabei verbindet Jins Geschichte den Kampf, der ständig zu Ellbogenstößen eines Karrieristen zu verkommen droht, mit Komik. Direktor und Sekretär erinnern an „Dick und Doof”, und der heitere Grundton relativiert die Grausamkeiten der Kader ebenso wie den Opportunismus Bins.
Der Erzähler enthält sich des Urteils und sagt, was ist. Dadurch hält er den Raum zwischen Schuld- und Freispruch offen. Die wohl größte Stärke des Textes besteht jedoch darin, dass er trotz der Novellenform, die mit unerhörten Begebenheiten Dramatik erzeugt, das treffende Bild eines armen Hundes malt, der nur dadurch ungewöhnlich ist, dass er seine Gewöhnlichkeit kläffend zur Schau stellt.
KAI MARTIN WIEGANDT
HA JIN: Im Teich. Novelle. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 179 Seiten, 12 Euro.
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