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Ein bedeutendes zeit- und ideengeschichtliches Dokument, das bewegende Einblickein eine intellektuelle Freundschaft gewährt, die immer auf "des Messers Schneide" stand.

Produktbeschreibung
Ein bedeutendes zeit- und ideengeschichtliches Dokument, das bewegende Einblickein eine intellektuelle Freundschaft gewährt, die immer auf "des Messers Schneide" stand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.1995

Politik als Beruf und Abenteuer
Hannah Arendt und Kurt Blumenfeld in ihren Briefen: Vereint, doch auf getrennten Wegen

Im November 1933 erinnert Hannah Arendt Kurt Blumenfeld an einen langen Brief, den sie ihm nach Palästina geschrieben habe, ohne eine Antwort zu erhalten. Deshalb, so fährt sie fort, "geniere ich mich nicht einmal sonderlich, Dir heute erst wieder zu schreiben". Fast zwanzig Jahre später heißt es in einem Brief Blumenfelds: "Einem lieben, guten und gütigen Menschen wie Dir kann ich ungeniert von meinen Kindern erzählen. Sie sind wirklich reizende Geschöpfe." Geniert ist jemand, der sich Zwang antun muß, der verlegen ist, eingeschränkt in seinen Äußerungen und beschämt; das Wort gibt einen Blick frei nicht nur in die privaten Verhältnisse der beiden Briefpartner, sondern auch in die historischen des deutschen Judentums. In Frage stehen in diesem Briefwechsel das Recht und die Grenzen ungenierter Rede.

Für den 1886 geborenen Blumenfeld verband sich mit dem Zionismus die Hoffnung auf eine selbstbewußte jüdische Existenz. 1924 wurde er zum Präsidenten der Zionistischen Vereinigung für Deutschland gewählt, 1926 lernte er in Heidelberg Hannah Arendt kennen, die um fast eine Generation jüngere Studentin der Philosophie. Schon bei der ersten Begegnung konnten sie sich kaum trennen; die Lebensfreundschaft, die sie schlossen, war eine in der Schwebe gehaltene Liebe. Zudem die Freundschaft von zwei eminent politischen Menschen gegensätzlicher Prägung: er der Berufspolitiker, sie die Dissidentin.

Gewiß scheint Hannah Arendts Idee der Politik als kommunikatives Handeln, als Miteinander-Reden, als Beratung und Debatte wie zugeschnitten auf die Praxis von Kurt Blumenfeld, der als Redner und Verhandlungsführer die Herzen zu gewinnen wußte, aber gerade hier lohnt es sich, auf die Nuancen zu achten, aus denen unversehens grundsätzliche Differenzen werden können. Zunächst: Blumenfelds politische Begabung ruhte auf einer bemerkenswert glücklichen Disposition. Ohne Fatalist zu sein, bekannte er sich zum amor fati; Hannah Arendt schreibt ihm einmal: "Die Götter jedenfalls haben es gut mit Dir gemeint, und auf sie kommt doch schließlich alles an."

Unter den glücklichen Fügungen mag die wichtigste gewesen sein, daß Blumenfeld mit der Gründung des Staates Israel das historische Ziel, für das er gekämpft hatte, verwirklicht sehen konnte. Aber auch sonst zeigt der Briefwechsel überall eine weltzugewandte und genußfähige Natur: "Wenn Du Geld hättest", schreibt er ihr, "solltest Du mich nach Zürich einladen und mit mir essen gehen. Meine Fähigkeit, mich zu erinnern, ist außerordentlich groß. Ich weiß genau, wie alles geschmeckt hat." Ein anderes Mal schließt sie mit dem Gruß: "Genieß die Zeit und friß nicht zuviel." Blumenfeld war alles andere als ein Asket; zu den großen Versäumnissen seines Lebens rechnet er im Alter, wie er Hannah Arendt gesteht, daß er "bei den Gelben und Schwarzen und insbesondere bei den Malaien nur Männer kennengelernt habe".

Der Brief, den er, wieder an verantwortlicher Stelle, im Juni 1945 aus Palästina schreibt, schildert Kontakte mit einzelnen Menschen, Versammlungen, in denen er auftritt, und greift dann aus in die Diskussion von Landwirtschaft, Bildungswesen und Bautätigkeit. Von alldem weiß Blumenfeld aus erster Hand, die elementare Freude am Umgang mit Menschen ist unverkennbar. Seine eigentliche Dichte aber gewinnt der Brief durch die landschaftliche Atmosphäre, schon bei einer früheren Palästina-Reise hatte das "Erlebnis des Landes" für Blumenfeld im Zentrum gestanden. Anders gesagt: Die Bedingung seines politischen Geschicks war ein genaues Sensorium für das Vorpolitische. Die Begründung ist ebenso klug wie lakonisch: "Ich halte etwas vom Ort der Verwirklichung. So gibt es Selbstkontrolle, so kann man sehen, ob Menschlichkeit nicht nur eine Vokabel ist, sondern geübt wird."

Hannah Arendts philosophisches Interesse war das entgegengesetzte: Ihr mußte es darum gehen, das Politische möglichst trennscharf von allen anderen Erwägungen zu sondern. Als politische Akte gelten ihr ebenjene, in denen eine vorpolitische Kontinuität aufgekündigt wird: Gründung, Verfassungsgebung und Revolution. Der Ort wird unbedeutend; nicht zufällig spricht sie von Heinrich Blücher und sich als Bohemiens, "das heißt Menschen, die in keinem Besitz verwurzelt sind, und darum ihr Milieu sozusagen immer mit sich herumtragen oder, richtiger darauf angewiesen sind, es immer neu zu produzieren". Ihre politische Theorie war ganz auf die Begründung von demokratischer Opposition und Dissidenz angelegt, und als Dissidentin trat sie auch in der innerjüdischen Diskussion der vierziger Jahre auf.

Die Streitschrift "Zionism reconsidered" von 1945 trägt zu den ersten Verstimmungen in diesem Briefwechsel bei. Bald erweist sich, daß ihr leidenschaftliches Plädoyer für eine jüdisch-arabische Föderation und sein ebenso entschiedener Einsatz für die Gründung eines jüdischen Staates nicht mehr zu vermitteln sind; beide Briefpartner handeln weise, als sie die Korrespondenz zwischen Sommer 1947 und Frühjahr 1950 ruhen lassen. Bei der Wiederaufnahme ist es eindeutig Blumenfeld, der Hannah Arendt umwirbt: 81 der insgesamt 125 Briefe stammen von ihm. Manches aus seinen Lebenserinnerungen hat hier Eingang gefunden. Wenn er reflektiert, dann nie sehr weit entfernt von seinen Erfahrungen, die er nun Revue passieren läßt und in gnomischen Verlautbarungen den Freunden mitteilt: "Beim nächsten Weltkrieg sind wir Kriegsschauplatz. Kommt nur her. Die Rassenfrage überlebt die Völker. - Das Wetter ist wunderbar schön, klar und kalt."

Einig sind sich beide in der Kritik rechtsradikaler Tendenzen; Mitte der fünfziger Jahre erwähnt Blumenfeld eine "Gruppe von sogenannten ,Knaaim' (Kanaanäer), so eine Art von Ku-Klux-Klan". Freilich hätte man sich hier von den Herausgeberinnen nicht eine zehnzeilige Geschichte des Ku-Klux-Klan von den Anfängen bis zur Gegenwart gewünscht, sondern ein erhellendes Wort über die israelische Gruppierung. Immer wieder mahnt Blumenfeld, Hannah Arendt möge ihre grundsätzliche Opposition überdenken: "Dir ist es wahrscheinlich schwer, Dir vorzustellen, daß man dieses jüdische Volk liebt."

Als ihr Bericht über den Eichmann-Prozeß erschien, in dem das Verdikt gegen die "Judenräte" enthalten war, lag Blumenfeld schon im Krankenhaus und war auf die Auskünfte Dritter angewiesen, die ihn beruhigen mußten. Der Konflikt zwischen vorpolitischer Solidarität und intellektueller Dissidenz konnte nicht mehr suspendiert werden. Bei einem letzten Besuch im Krankenhaus versuchte Hannah Arendt, dem Freund ihre Haltung zu erklären. "Ob eine Versöhnung stattgefunden hat, bleibt ungewiß", scheibt Ingeborg Nordmann im Nachwort. LORENZ JÄGER

Hannah Arendt/Kurt Blumenfeld: " . . . in keinem Besitz verwurzelt". Die Korrespondenz. Hrsg. von Ingeborg Nordmann und Iris Pilling. Rotbuch Verlag, Hamburg 1995. 416 S., geb., 48,- DM.

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