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»Gott, der große Abwesende, ist mir meine ganze Existenz lang nicht von den Fersen gewichen, und dafür hätte ich beinahe den höchsten Preis gezahlt; denn Christ ?jüdischer Herkunft?, Agnostiker, wenn nicht Atheist geworden, hatte ich alle Chancen auf meiner Seite, als nichts und niemandem zugehörig empfunden zu werden. Für jeden war ich das, was ich nicht bin, und nicht das, was ich war.« Wie hältst du´s mit der Religion? ? diese Frage stellt und beantwortet Georges-Arthur Goldschmidt sich selbst vor seinen Lesern. Als Kind jüdischer, zum Protestantismus konvertierter Eltern 1928 in Hamburg…mehr

Produktbeschreibung
»Gott, der große Abwesende, ist mir meine ganze Existenz lang nicht von den Fersen gewichen, und dafür hätte ich beinahe den höchsten Preis gezahlt; denn Christ ?jüdischer Herkunft?, Agnostiker, wenn nicht Atheist geworden, hatte ich alle Chancen auf meiner Seite, als nichts und niemandem zugehörig empfunden zu werden. Für jeden war ich das, was ich nicht bin, und nicht das, was ich war.«
Wie hältst du´s mit der Religion? ? diese Frage stellt und beantwortet Georges-Arthur Goldschmidt sich selbst vor seinen Lesern. Als Kind jüdischer, zum Protestantismus konvertierter Eltern 1928 in Hamburg geboren, muß Georges-Arthur Goldschmidt vor der Judenverfolgung in Deutschland fliehen, die seine Familie bedroht. Er flieht nach Frankreich, nimmt 1949 die französische Staatsbürgerschaft an und konvertiert zum Katholizismus. Heute, dem Schlimmsten entkommen und inzwischen durch drei Bekenntnisse gewandert, ersetzen ihm Seinsbegeisterung und Feier des Augenblicks den Glauben.
Autorenporträt
Georges-Arthur Goldschmidt wurde 1928 in Reinbek bei Hamburg geboren. Seit seiner Flucht aus Deutschland 1938 lebt er in Paris. Er schreibt in deutscher und französischer Sprache und übersetzte eine Vielzahl von Werken deutschsprachiger Autoren ins Französische, darunter Goethe, Nietzsche, Benjamin und Peter Handke. Goldschmidt ist Mitarbeiter verschiedener Feuilletons in Frankreich und Deutschland.
Die Kritik begeisterte er mit Büchern wie ¿Der bestrafte Narziß¿, ¿Als Freud das Meer sah¿, ¿Die Absonderung¿ oder ¿Die Aussetzung¿.
Für seine Gedichte, Erzählung und Romane wurde er unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Ludwig-Börne-Preis und der Goethe-Medaille ausgezeichnet. 2005 erhält er den Joseph-Breitbach-Preis.
Rezensionen
"Mit der Detailversessenheit Lichtenbergs, mit der Witterung Canettis für das Uralte im Neuen beobachtet Goldschmidt die Bereiche, wo Sprache und Seele durcheinanderfluten." (Peter von Matt, Die Weltwoche)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2004

Schwarzfahrer des Schicksals
Gott und Goldschmidt: Das Glaubensbekenntnis eines Ungläubigen

Seine Urgroßmutter schrieb einen Briefroman über eine junge Frau, die eine "gute Partie" ausschlägt, um ihrem Glauben treu zu bleiben. Sein Großvater war 1868 aus der Jüdischen Gemeinde Hamburgs ausgetreten. Der Vater übte im Konzentrationslager Theresienstadt die Funktion eines Pastors für die evangelischen Juden aus.

"Für mich war Gott von Anfang an gegenwärtig": Nach lutherischer Sitte wurde Georges-Arthur Goldschmidt 1928 in seinem Geburtshaus getauft. Er besuchte die Sonntagsschule, von der er 1935 als "Volljude" ausgeschlossen wurde. Gerade noch rechtzeitig schickten ihn die Eltern, die beide den Krieg nicht überlebten, zusammen mit dem Bruder nach Italien. 1939 kam Georges-Arthur in ein Heim in Savoyen: "Mit Entzücken weihte ich die vielen Rutenhiebe auf den nackten Hintern dem Herrn." Die katholische Heimleiterin war eine hervorragende Latinistin "und vor allem Nymphomanin". Sie gehörte zur Résistance und versteckte die beiden Jungen, die von der Köchin für dreihundert Franc verraten worden waren.

Bis zur Befreiung lebte Georges-Arthur Goldschmidt auf einem abgelegenen Bauernhof. Fromme Schriften waren sein einziger Lesestoff. Er berauschte sich an den Bildern von gefolterten Missionaren in Afrika. "Beim Kühehüten predigte ich den umstehenden Tannen Gott." Bei einer weiteren Rettungsaktion half der Dorfpfarrer, ansonsten ein eifriger Kollaborateur.

"Heute kann man kaum ermessen, mit welcher Freude ein Junge, der ,rechterdings' in Rauch aufgehen oder zu Seife hätte verarbeitet werden sollen, 1944 die Befreiung erlebte und leidenschaftlich willkommen hieß." Aus Dankbarkeit konvertierte Georges-Arthur Goldschmidt vom deutschen Protestantismus zum Katholizismus der Franzosen. Er wurde auf den Namen Jean-Paul getauft, "weil ich behauptet hatte, das Johannes-Evangelium und der Korintherbrief seien meine derzeitige Lieblingslektüre". Daß viele versteckte jüdische Kinder weniger freiwillig zu "kleinen Christen" bekehrt wurden, kann ihn auch im nachhinein nicht empören. "Zu welchem Glauben auch immer, das kommt aufs gleiche heraus." Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Menschheit, lehrt bekanntlich der Talmud.

Seinen Glauben - zumindest an Gott - verlor Georges-Arthur Goldschmidt, als in der Welt die Bilder des Grauens auftauchten. Mit dem Glauben verlor er seine ungefilterte, auch schonungslose, im besten Sinne redselige Mitteilungsbereitschaft. Direkt, spontan und offen erzählt er in seinem Essay "In Gegenwart des abwesenden Gottes" von seinen frühen Jahren - auch einiges, das nicht in seiner Autobiographie steht. Die Fortsetzung ist Literatur: Es geht um Kafka, den er in seine zweite Muttersprache übersetzte, um Rousseau, Pascal, Descartes. Goldschmidt wurde Deutschlehrer und Übersetzer (von Nietzsche, Handke) und über die Jahrzehnte hinweg zu einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Schriftsteller, der zunächst nur Französisch schrieb, inzwischen aber auch in der Sprache seiner Vorfahren schreibt.

Seine Lehrjahre eines Atheisten sind geprägt von einer permanenten Auseinandersetzung mit Gott. Davon handelt der mittlere Teil seines Essays, der an Goldschmidts Schrift "Als Freud das Meer sah" anschließt. Was er in diesem Standardwerk über die Sprache und Psychoanalyse formulierte, weitet er hier auf den Glauben und die Religion aus. Peter von Matts Satz, nach dem Goldschmidt der Dichter der "Bereiche, wo Sprache und Seele durcheinanderfluten", ist, beweist er in diesem Essay über seine persönliche Geschichte mit Gott. In seinem Glaubensbekenntnis ist aus Gründen seiner Religionskritik nur Platz für den Menschen. "Kein Mensch ist wertlos genug, einem Bekenntnis geopfert zu werden, und keine Religion der Welt ist auch nur ein einziges Menschenleben wert."

Zum Schluß wird der Verfasser erneut persönlicher. Als "Schwarzfahrer des Schicksals", das seine Verschonung vorgesehen hatte, "verharre ich am Ende meines Lebens" im Wissen, daß die Fragen unbeantwortet bleiben. Goldschmidt stellt sie sich und stellt sich ihnen noch sechzig Jahre nach dem Verlust des Glaubens an Gott unter dem Fluch der Schoa. Er bedeutet "die ewige Verdammnis für den Okzident". Die Auseinandersetzung mit Gott hat ihn zu den humanistischen Werten geführt, an die er mit der intakten Naivität eines getauften jüdischen Kindes vor der Schoa glaubt. Zu diesem unerschütterlichen Glauben bekennt sich Goldschmidt mit Worten, die an Sartres Autobiographie denken lassen - aber ohne daß sich der leiseste Zweifel an der Aufrichtigkeit einstellt: "Daß man Menschen nicht auf Dinge reduzieren kann und daß jeder einzelne Mensch in seiner einmaligen Menschlichkeit heilig ist." Eine kleine Schrift, ein großartiges, ja großes Buch.

JÜRG ALTWEGG.

Georges-Arthur Goldschmidt: "In Gegenwart des abwesenden Gottes". Aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große. Ammann Verlag, Zürich 2003. 93 S., kt., 13,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz großartig findet Jürg Altwegg dieses kleine Buch, in dem der 1939 als Kind nach Frankreich emigrierte Autor seine persönliche Geschichte mit Gott erzählt. Und die ist ganz schön kompliziert, erklärt Altwegg: Goldschmidt wurde 1928 in Hamburg geboren, seine jüdischen Eltern waren zum Protestantismus konvertiert, was die Familie nicht vor der Rassengesetzgebung der Nationalsozialisten schützte. Nach dem Krieg konvertierte er aus Dankbarkeit für seine Rettung zum Katholizismus. Sein Gottvertrauen verlor Goldschmidt erst, resümiert Altwegg, als er nach Kriegsende mit den Bildern des nationalsozialistischen Terrors konfrontiert wurde, die "Lehrjahre eines Atheisten" begannen, schreibt Altwegg. Sehr offen berichte Goldschmidt über die frühen Jahre, so der Rezensent, darunter Verschiedenes, das nicht in der Autobiografie zu finden sei. Der mittlere Teil des Essays dagegen schließe eher an den bedeutenden Essay "Als Freud das Meer sah" an, worin Goldschmidt über das Verhältnis von Sprache und Psychoanalyse nachgedacht hatte, was er nun auf den Glauben und die Religion ausweite. Der atheistische Goldschmidt hat zu humanistischen Werten gefunden, zu einem persönlichen Glaubensbekenntnis, schließt Altwegg sichtlich beeindruckt, in dem nur "Platz für den Menschen" ist.

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