Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 1,99 €
  • Broschiertes Buch

Ganz unten im Paradies - ein Atlas der sozialen Verwerfungen unseres Landes
»Unser Buch handelt davon, wie würdelos es an den Rändern und mitten unter uns zugeht. Wenn Kinder hungrig zur Schule gehen, andauernde Arbeitslosigkeit alte und junge Menschen zermürbt, Asylanten, die nichts Kriminelles getan haben, in Abschiebehaft gehalten werden, wird Mal um Mal die Würde des Menschen verletzt.« Günter Grass
Die hier versammelten »Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft« von Beiträgern aus den unterschiedlichsten Berufssparten beleuchten materielle und soziale Notstände in der
…mehr

Produktbeschreibung
Ganz unten im Paradies - ein Atlas der sozialen Verwerfungen unseres Landes

»Unser Buch handelt davon, wie würdelos es an den Rändern und mitten unter uns zugeht. Wenn Kinder hungrig zur Schule gehen, andauernde Arbeitslosigkeit alte und junge Menschen zermürbt, Asylanten, die nichts Kriminelles getan haben, in Abschiebehaft gehalten werden, wird Mal um Mal die Würde des Menschen verletzt.« Günter Grass

Die hier versammelten »Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft« von Beiträgern aus den unterschiedlichsten Berufssparten beleuchten materielle und soziale Notstände in der Republik, lassen Straßenkinder, Aussiedler, Selbsthilfegruppen zu Wort kommen, begleiten Gerichtsvollzieher und rechte Hooligans, schildern die Sisyphosarbeit von Ärzten und Sozialarbeitern, die Kompromisse, die Journalisten und Politiker eingehen müssen, beschreiben aber auch einfach nur die Situation von Frauen in Ost und West und immer wieder Einzelschicksale, die repräsentativ für die Gesellschaft sind.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2003

Das Elend der Welt
Günter Grass hat Zeugnisse
alltäglichen Leidens gesammelt
Es muss nicht gleich das ganz große „Elend der Welt” sein. Der Verkaufserfolg von Pierre Bourdieus vor fast zehn Jahren in Frankreich erschienener Studie, die diesen Titel trug, beruhte im Gegenteil darauf, dass sich die Leser in ihrer ganz alltäglichen Misere wiedererkennen konnten. Natürlich kamen die Bewohner der trostlosen Vorstädte darin vor, die Arbeitslosen und die Immigranten. Aber auch Menschen in gesicherter sozialer Position, deren Unglück nicht in Armuts- oder Kriminalitätsstatistiken gefasst und trotzdem nicht individuell ist. Der Soziologe Bourdieu diagnostizierte dieses „moralische” Leiden als ein Leiden an der Gesellschaft: soziale Mechanismen, die am Arbeitsplatz oder im Wohnumfeld wirksam sind, aber erst artikuliert werden müssen, um zum Gegenstand politischen Eingreifens werden zu können.
„Ich wünschte”, so der Literaturnobelpreisträger Günter Grass vor drei Jahren in einem Gespräch mit Bourdieu, „wir hätten in jedem Land ein derartiges Buch über die gesellschaftlichen Verhältnisse.” Gemeinsam mit der Publizistin Daniela Dahn und dem deutschen PEN-Vorsitzenden Johano Strasser initiierte er eine deutsche Parallelaktion, die in ihrer Konzeption mit dem Vorbild aber wenig mehr als den Untertitel der deutschen Ausgabe gemeinsam hat: „Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft”.
Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen
Wo Bourdieu und seine Mitarbeiter Interviews geführt und diese möglichst unverfälscht transkribiert hatten, überließen hier die Herausgeber den Autoren freie Hand in der literarischen Umsetzung der Gespräche. Nicht nur, weil sie davon ausgehen, dass die „Faszination für Tonbandprotokolle” hierzulande lange zurückliegt, sondern wohl noch mehr, weil sie sich von der literarischen Verdichtung eine „stärkere ästhetische, emotionale und politische Eindringlichkeit” versprechen.
Das gelingt den fast fünfzig Autoren, meistenteils bekannte Journalisten oder Publizisten, nur zum Teil. Gesprächsprotokolle wechseln sich ab mit Essays, Sozialreportagen und einigen Fotodokumentationen. Die Beiträge sind in fünf Kapiteln thematisch gebündelt: Momentaufnahmen aus der Arbeitswelt, Beobachtungen über die gesundheitlichen Auswirkungen des Anpassungsdrucks, die „Familie als kleinster Markt”, worunter auch die Situation der Frauen in Ost und West zählt, Erfahrungen aus dem Leben diesseits und jenseits der Armutsgrenze und schließlich Berichte aus dem Rechtssystem in einem weiten Sinne, von den Auswirkungen des Rechtsberatungsgesetzes bis zur Situation von Asylbewerbern.
In seinen besten Beiträgen reicht der Band an die Reportagen einer Gabriele Goettle, deren „Deutsche Sitten” Bilder aus einem unbekannten Deutschland zeichnen. Natürlich glaubt, wer aufmerksam das Zeitgeschehen verfolgt, Bescheid zu wissen über die schwierige Situation allein erziehender Frauen, über die Tatsache, dass Krankheit auch eine Reaktion auf eine prekäre psychosoziale Situation sein kann oder über die wirtschaftliche Not, in die viele Ostdeutsche nach der Wende geraten sind.
Meine Seufzer, meine Tränen
Doch die Beiträge in diesem Band bebildern diese Erkenntnisse nicht einfach in der Art von Reportagen, die man so gerne mit dem Beiwort „einfühlsam” kennzeichnet. Sie lassen Zusammenhänge sinnfällig werden, ohne sie ausführlich „erklären” zu müssen. Wer die Schilderungen über den Balanceakt von Frauen zwischen Teilzeitarbeit, Kindererziehung und finanzieller Einschränkung liest, der braucht keine Statistiken mehr über fehlende Einrichtungen zur Kinderbetreuung.
An anderen Stellen ist das Buch allerdings zum Opfer seines eigenen Anspruches geworden. Im Gespräch mit Bourdieu hatte Grass an „Das Elend der Welt” gelobt, dass es dort gelungen sei, „ganz auf das Konzept des Verstehens, nicht des Besserwissens zu setzen.” Hier gewinnt man nicht selten den Eindruck, dass den Äußerungen der Leute dann doch nicht zugetraut wurde, aus sich heraus das „Anklagepotential” zu entfalten, das die Herausgeber offenbar erzielen wollten. Auch ignoriert die Klage, es gebe in Deutschland weder „vergleichbare soziologische Untersuchungen, auf die man aufbauen könnte”, noch mögliche Geldgeber für solche Vorhaben, eine beträchtliche Anzahl von soziologischen Großprojekten.
Am ärgerlichsten aber ist, dass sich auch hier eine Feststellung Bourdieus bewahrheitet, wonach das Denken nicht auf der Höhe der Effekte ist, die die neoliberale Politik produziert. Zum Beispiel, wenn im Namen eines verwaschenen Bildungsbegriffes gegen die Präsenz von Wirtschaftsunternehmen polemisiert wird, welche die Hochschule zu einem „kontaminierten Umfeld” werden ließen, oder wenn einmal mehr Alice Millers „Drama des begabten Kindes” hervorgekramt wird, um die psychischen Nöte von Kindern in der Leistungsgesellschaft zu deuten. Diese Art von Erklärungen lenken den Blick mehr von dem uns umgebenden Elend ab, als dass sie es kenntlich machen würden.
SONJA ASAL
GÜNTER GRASS, DANIELA DAHN, JOHANO STRASSER (Hrsg.): In einem reichen Land. Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. Steidl Verlag, Göttingen 2002. 640 Seiten, 34 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr
"Es sind engagierte Reportagen, die keinen Zweifel daran lassen, wer der Verursacher der ganzen Misere ist: der Kapitalismus von heute, der obszönen Reichtum einerseits und soziales Elend andererseits zulässt. ... Einfühlsam und parteiisch sind die Autoren. Sie gehen kritisch, sehr kritisch mit den Errungenschaften unserer Gesellschaft um. ... Die Lektüre bietet wahrhaft aufregenden Stoff: für Schulen, Stammtische und Politiker gleichermaßen geeignet und empfohlen." (Der Tagesspiegel)

"Die Reportagen und Fotoserien in diesem Buch sagen mehr aus als jede Statistik. Fazit: ein unbequemes, aber unumgängliches Buch." (Deutsche Welle)

"Dies ist ein Buch, das weh tut, ein verstörendes, ein notwendiges Buch. Es wäre zu wünschen, dass es zum Tagesgespräch wird." (SWR 2)

"Was das Buch schließlich liebenswert macht, sind die vielen Reportagen, in denen die Spannung fühlbar wird, unter die der Alltag menschliche Charaktere zwingt, dass uns authentische Menschen begegnen, die bei aller Problematik ihres Daseins nicht nur weinen, sondern auch lachen, nicht nur Niedergeschlagenheit, sondern auch Freude empfinden." (Neues Deutschland)