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Descartes, Galilei, Newton haben unsere Weltauffassung von Grund auf verändert und einem vollständig neuen Denken zum Durchbruch verholfen. Erst durch die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts sind jene dramatischen technischen Fortschritte möglich geworden, die inzwischen das gesamte Leben der Menschen durchdringen. Was aber hat dieses neue Denken ermöglicht? Eske Bockelmann zeigt, daß um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert sich nicht nur das Denken, sondern auch die Rhythmuswahrnehmung der Menschen verändert. Das Hören nach dem Takt, das uns heute als das einzig natürliche…mehr

Produktbeschreibung
Descartes, Galilei, Newton haben unsere Weltauffassung von Grund auf verändert und einem vollständig neuen Denken zum Durchbruch verholfen. Erst durch die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts sind jene dramatischen technischen Fortschritte möglich geworden, die inzwischen das gesamte Leben der Menschen durchdringen. Was aber hat dieses neue Denken ermöglicht? Eske Bockelmann zeigt, daß um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert sich nicht nur das Denken, sondern auch die Rhythmuswahrnehmung der Menschen verändert. Das Hören nach dem Takt, das uns heute als das einzig natürliche erscheint, hat also seinen historischen Ursprung in derselben Zeit und in derselben gesellschaftlichen Umgebung wie die moderne Wissenschaft. Eske Bockelmann zeigt, daß wir bisher von unserem Denken selbst noch unzureichende Vorstellungen haben. Er hat ein Werk geschaffen, das Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie neu schreiben könnte - mit unabsehbaren Folgen für unsere gesamte Denk- und Lebenspraxis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine Lanze bricht Thomas Steinfeld für Eske Bockelmanns "Im Takt des Geldes", das die "Genese des modernen Denkens" erklären will. Zwar ist Steinfeld bewusst, dass es manches gibt, das man einwenden könnte gegen Bockelmanns zentrale These, wonach das Geld im Laufe der Renaissance im menschlichen Bewusstsein erst den Sinn für Abstraktion geschaffen hat - einen Sinn, der sich im gleichmäßigen Takt der Musik ebenso bewährt wie im Versmaß der Lyrik oder im gleich-gültigen Umgang des Subjekts mit den Objekten, die seine Welt füllen. Unübersehbar aber ist der Rezensent in Bann geschlagen von der Gelehrsamkeit, auch von der (und das mag man dem Literaturkritiker in Steinfeld zuschreiben) auktorialen Verve, mit der Bockelmann, Altphilologe und Sprachlehrer an der Universität Chemnitz, seine Thesen vorträgt, wonach mit dem Geld das Maß aller Dinge, nicht zuletzt auch des menschlichen Bewusstseins, in die Welt gekommen sei. In eine Reihe mit Max Stirners "Der Einzige und sein Eigentum" und Georg Simmels "Philosophie des Geldes" stellt Steinfeld Bockelmanns Studie und preist die "Großartigkeit seines Entwurfs".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.08.2004

Klingende Münze
Eske Bockelmanns großer Entwurf „Im Takt des Geldes”
Der Takt, so lautet eine verbreitete Vorstellung, folge den Schlägen des Herzens. In geregeltem Maß ziehe er dahin, mal schneller, mal langsamer. Aber immer gliedere er den Lauf der Zeit in gleich lange Sequenzen, setze seine Zäsuren stets im selben Abstand. Eins, zwei, schlage das Herz, und wieder eins, zwei ... Das klingt plausibel, klingt vertraut durch die Musik, die wir ein Leben lang gehört haben - und ist doch falsch. Es gibt keine natürliche Grundlage für den festen, gleichmäßigen Takt, mit dem Johann Sebastian Bach wie Jeanette Biedermann daherkommen. Ja, es gibt diesen Takt nicht einmal seit langer Zeit - erst seit dem frühen siebzehnten Jahrhundert, um genau zu sein. Vorher gab es Längen und Kürzen, vorher hatte jede Silbe ihre eigene Dauer. Keinesfalls aber unterwarf sich ein solcher Rhythmus dem abstrakten Maß eines festen Taktes.
Wie aber kommt der Takt in die Musik, in die Lyrik, in das Leben, ja, wie kommt das abstrakte Zeitmaß überhaupt in die Welt? Eske Bockelmann, Altphilologe und Sprachlehrer an der Universität Chemnitz, hat dafür einen ebenso einfachen wie radikalen Grund gefunden: Im frühen siebzehnten Jahrhundert, sagt er, sei die Abstraktion in die Welt gekommen - damals sei die selbständig allen Gegenständen gegenüber auftretende Funktion entstanden, die alles, was ihr in die Weg kommt, auf sich zu beziehen weiß.
Die Philologie muss dem Autor das heuristische Erlebnis geschenkt haben: das Metrum ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, das stabile Versmaß mit seinen Hebungen und Senkungen, und die Ausrichtung der Musik auf einen gleichmäßig wiederkehrenden Akzent, die radikale Veränderung, die dem Hören im siebzehnten Jahrhundert widerfuhr. Doch bald ahnt der Leser, dass hinter der Auseinandersetzung mit Takt und Metrum etwas Größeres auf ihn wartet, eine grundlegende Theorie des modernen Subjekts. Nach über zweihundert Seiten ist Eske Bockelmann schließlich bei dem Ding, dessen Erscheinen als absolute Funktion er spannungsvoll vorbereitet hat: bei der realen Abstraktion, die als das allgemeine Äquivalent schlechthin gelten muss: beim Geld. Das Geld ist das radikale Maß, das in sich selbst nichts ist, aber alles mit allem in Beziehung setzt, alles seinem Gesetz unterwirft, das Ding, das die Welt bedingt und sich als reine Funktion in allem und jedem niederlässt. Mit dem Rhythmus fängt Eske Bockelmann an. Doch es geht ihm um Anfang und Wesen der modernen Welt.
Unbescheidenheit als Tugend
Das ist kein geringer Anspruch. „Dieses Buch ist die Geschichte einer Entdeckung”, lautet der erste Satz, und auf den folgenden Seiten lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass er nicht eine, sondern die Geschichtsphilosophie der Neuzeit geschrieben haben will. Sie kommt mit einer Entschlossenheit, einem theoretischen Furor daher, die ihresgleichen in der akademischen Wissenschaft schon lange nicht mehr haben. Sie stellt sich neben Max Stirners „Der Einzige und sein Eigentum”, neben Georg Simmels „Philosophie des Geldes” und vor allem neben Alfred Sohn-Rethels „Warenform und Denkform”. Schärfer noch: Eske Bockelmanns „Entdeckung” setzt sich über diese Werke, will Theorie im alten Sinne sein, und das heißt: die Fehlerhaftigkeit aller anderen Theorien beweisen, mit aller Schärfe, mit aller Polemik, die zu einem solchen Anspruch gehört.
Um 1620, so Eske Bockelmann, sei eine Veränderung des Hörens eingetreten, plötzlich, mit einem Schlag, und sie habe sofort so tief gegriffen, dass sie das Verständnis für alles Frühere abschnitt. Man habe es nur nicht gemerkt, weil das Bewusstsein, um diese absolute historische Differenz wahrzunehmen, gewissermaßen auf seine eigene Basis hätte aufmerksam werden müssen. So sehr sei alles anders geworden, dass das Alte, das noch tradiert sei, kaum noch als eigenes erinnert, sondern zwanghaft nach dem Neuen gedeutet werde. Dies ist der philosophische Augenblick des Buches - wenn man einen solchen Augenblick als das tiefe Erstaunen definiert, dort, wo alles bekannt zu sein schien, etwas ganz anderes vorzufinden, oder das, was da ist, in einer völlig neuen Bedeutung zu erkennen.
Von diesem Augenblick des Innehaltens ausgehend, fächert sich alles weitere auf. Insbesondere soll, mit der Formulierung der „unwillkürlichen Synthesis”, die jeder im Zeitalter der entwickelten Geldökonomie zu leisten habe, die tiefe Kluft geschlossen werden, die noch immer zwischen Wirtschaft und Gesellschaft wie zwischen Sein und Bewusstsein klafft. Denn die eigentliche, gleichsam intellektuelle Leistung des Geldes bestehe darin, eine Funktion auf eine Variable zu beziehen - genauer: in jedem Inhalt nur eine Variable zu erkennen, die sich auf immer dieselbe Funktion bezieht. Dadurch schrumpft alles bislang Konkrete und konkret Geschiedene auf eine abstrakte Eigenschaft zusammen: eben für diese Funktion zu variieren.
So verschwindet im Gesetz des Falls der Unterschied zwischen Feder und Stein, so werden alle Gegenstände einander gleich, betrachtet man sie nur aus der Perspektive des Geldes. In der Lyrik kann sich der Akzent nun auf jede Silbe legen, die ihm keinen Widerstand entgegensetzt, also auch auf jede neutrale Silbe. Und in der Philosophie fällt alles auseinander zwischen einem erkennenden, ordnenden Subjekt und einem Objekt, das, gleichgültig, was es sonst noch sein mag, vor allem Objekt für das Subjekt und darin gleichartig ist.
Ob das stimmt, ist da die Frage. Dass sich im Lauf der Renaissance die Geldwirtschaft durchsetzt und diese die Gesellschaft bis ins Innerste umformt, ist seit langem bekannt und gründlich erforscht. Wie sie das tut und wie weit diese Umformung reicht - an diesem Punkt allerdings ist Eske Bockelmann weiter gekommen, als je einer vor ihm. Das gilt, auch wenn er sich an manchen, ja selbst an vielen Punkten irren sollte.
Und das tut er, weil die Heftigkeit seiner Darstellung den Vorbehalten, auf die er treffen wird, schon im Vorhinein die Waage hält, und weil er die historischen Ereignisse im Zeitpunkt des Jahres 1624 dramatisiert. In seinem Furor reißt dieser Autor ein paar Dinge zuviel mit, und manches wird einfacher, eindeutiger, gröber, als es in Wirklichkeit gewesen sein kann. Aber andererseits: wie hätte es ohne diesen missionarischen Schwung diesen mächtigen Entwurf geben sollen?
Die Einwände beginnen mit der Plötzlichkeit, in der sich der Wandel von einem Metrum, in dem das Vorhandene nur geordnet wird, zu einem Maß, das sich, von außen kommend, den Vers unterwirft, vollzogen haben soll. Ist es nicht doch denkbar, dass schon vor 1624 etwas metrisch relevant gewesen ist, das nicht nur als Fehlen des abstrakten Maßes definiert werden kann? Ulrich von Huttens berühmtes Lied „Ich hab’s gewagt” scheint doch, wenn auch nicht sang- und klanglos, einem abstrakten Versmaß unterworfen zu sein - ist aber gut hundert Jahre vor Bockelmanns entscheidendem Datum entstanden.
Und ist es nicht denkbar, dass nach 1624 andere als die abstrakten Metren fortexistiert haben können? Schon im Dreivierteltakt ist das erste Viertel „inégale”, weil es über Gebühr lang und auf Kosten der beiden anderen Viertel ausgehalten wird. Und in der Romantik, in der Neuen Musik, im Jazz sind die Taktverhältnisse oft so unklar, dass man durchaus von einem Fortleben des Alten im Neuen reden könnte.
So wäre noch lange weiterzumachen, bis hin zur Theorie der Wissenschaften und des modernen Subjekts - aber das wäre dann die Geschichte einer Auseinandersetzung mit diesem Buch, die es in der Großartigkeit seines Entwurfs erst einmal gelten lässt. Es das Werk eines Einzelgängers, und es trägt alle Zeichen solchermaßen versprengter Autorschaft: Die methodische Gegnerschaft zum Rest der Welt, das Hoffärtige, Anmaßende eines Gelehrten, der im akademischen Betrieb nicht gehört wird, weil er sich die heuchelnde Demut der zu füllenden „Forschungslücke” nicht zu eigen machen will. Aber eher, als dass man Eske Bockelmann das Rechthaberische übel nähme, müsste man sich fragen, wie es kommt, dass so viel Wissen und Klugheit heutzutage die Wände der akademisierten Wissenschaft nicht mehr durchdringen können.
THOMAS STEINFELD
ESKE BOCKELMANN: Im Takt des Geldes. Zur Genese des modernen Denkens. Zu Klampen Verlag, Springe 2004. 512 Seiten, 36 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2004

Alles Denken ist auch nur Rumba
Tanz ums böse Geld: Eske Bockelmann erklärt die Welt ganz neu

Marx könnte man seiner elften Feuerbach-These wegen für arrogant halten; was aber soll man erst von jemandem denken, der ihren Beginn so variieren würde: "Die Philosophen haben die Welt nur nicht kapiert"? Dieser aktuelle Veränderer der Welt (und damit auch ein Revolutionär der Philosophie) heißt Eske Bockelmann, aber von den Leistungen seiner Vorgänger hält der Lehrbeauftragte am Sprachzentrum der Technischen Universität Chemnitz noch weniger als Marx. Genauer: Bockelmann hält wenig von den philosophischen Leistungen seit Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, also von allem, was wir als neuzeitliche Philosophie seit den Cartesischen Erkenntnissen betrachten. Nicht, weil nicht ordentlich nachgedacht worden wäre. Sondern weil, was "unserem Denken an Formung der Welt abverlangt wird, zuverlässig falsch" ist. Bockelmann sieht die moderne Philosophie in einem Reflex gefangen, der sich mit der Einführung des modernen Geldverkehrs im sechzehnten Jahrhundert ausgebildet habe: Die Abstraktionsleistung, die das Verhältnis von Geld und Ware verlangt, hat seinen Erkenntnissen zufolge einen Dualismus von "reiner Einheit" (Geld) und "rein bezogener Einheit" (Ware) hervorgebracht. Diese Entwicklung nennt Bockelmann "funktionale Abstraktion".

Sie ist schuld am Gesicht der Moderne. Vergessen wir die Aufklärung, die Entdeckung Amerikas, den Fall Konstantinopels, die Reformation oder was noch als Erklärung für die Wende zur Neuzeit vorgebracht worden ist: Eske Bockelmann hat die einzig wahre Lösung gefunden. Die von jeglichem materiellen Substrat abgelöste Größe Geld verdammt in - mathematisch betrachtetem - funktionalem Zusammenhang alles, was auf dieser Welt verfügbar ist, zur abhängigen Größe. Dafür muß wohl im Hirn des Menschen (genauer läßt sich Bockelmann nicht über die erforderlichen physiologischen Mechanismen aus) eine Synthesis notwendig sein, die dann "das objektive Material, welches in unsere Wahrnehmung eingeht", verändert. Und zwar derart, daß schon die nächste Generation, namentlich Herren wie René Descartes, Galileo Galilei oder Giovanni Gabrieli, diese Synthesis gleichsam habituell leistet - als Reflex eben, ohne diesen zu reflektieren. Und mehr als das: Von da an war alle Erkenntnis an diesen Reflex gebunden. Der Mensch konnte nicht anders, als nur noch in einer Richtung, der der prinzipiell verfälschenden funktionalen Abstraktion, zu denken. Eine bemerkenswerte evolutionäre Leistung im Zeitraum eines halben Jahrhunderts. Aber da die Evolutionstheorie natürlich auch Ausfluß dieses reflexhaften Denkens ist, steht sie ohnehin schlecht da.

Nun ist die revolutionäre Bedeutung der sich um fünfzehnhundert in Europa ausbreitenden Geldwirtschaft keine neue Erkenntnis; und schon die klassische Ökonomie hat mit ihrer Geldschleierthese einiges thematisiert (wenn auch ganz anders), was Bockelmann in relativer Unkenntnis der Fachliteratur hier als Entdeckung vorstellt. Aber er faßt die Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Veränderung eben viel weiter als alle Exegeten vor ihm. Wie kommt ein Altphilologe und Germanist auf so etwas?

Nun, an einer Stelle zu Beginn des Bandes erfährt man von Bockelmanns Faible fürs Tanzen, besonders für die Rumba, während ihm die Tänze der Gegenwart als Gestampfe gelten. Sei's drum. Jedenfalls muß eine der eurhythmischen Ergötzungen, denen sich Bockelmann hingegeben hat, in Verbindung mit seinen Studien zur antiken Dichtung ihn zum Nachdenken darüber gebracht haben, daß unser Taktempfinden nicht mehr dem der Griechen entspricht. Das ist nicht neu. Aber Bockelmann entwickelt am Übergang zum heute üblichen Takt, der aus der steten Abwechslung von betonter und unbetonter Note (oder in der Poesie: Silbe) besteht, seine Theorie von der funktionalen Abstraktion, ohne zunächst die Ursache dafür zu nennen.

Das Buch geht also didaktisch rigide vor: Ein Phänomen wird isoliert, dafür eine Erklärung gesucht, und diese dann auf weitere Phänomene angewendet. Damit hängt alles am Takt. Deshalb heißt die Studie auch "Im Takt des Geldes". Zentral für die Argumentation ist die Annahme, daß Menschen vor Inkrafttreten der funktionalen Abstraktion andere Ton- oder Sprachfolgen als rhythmisch empfunden haben als heute. Das ist zweifellos so, darauf weisen alle Notationen älterer Musik oder die Akzente antiker Dichtung hin. Aber heißt das, daß der heute etablierte Takt damals als unrhythmisch empfunden worden wäre?

Darüber schweigt sich Bockelmann leider aus, aber er gibt eine bemerkenswerte Parallele an: die Perspektive. Vor der Renaissancemalerei war sie unüblich, weil das Verständnis von Malerei ein anderes war. Sie sollte nicht realistisch abbilden, sondern erzählen: über die Hierarchie im Himmel und auf Erden, die sich durch bloße Größenunterschiede besser begreiflich machen ließ als durch perspektivische Anordnung. Niemand brauchte perspektivisch exakte Kompositionen. Aber, hier wendet sich Bockelmanns Parallele gegen ihn, niemand hätte deshalb die Welt auch zu jenen Zeiten anders als perspektivisch gesehen. Kunst erfüllte metaphysische Aufgaben, aber der Blick auf die Welt erfolgte durch zwei Augen, die nicht anders konnten, als perspektivisch zu blicken.

Niemand wird je den Beweis führen können, ob es beim Takt genauso war, denn Ohren hören nicht zwangsläufig rhythmisch. Dichtete oder musizierte man in anderen Rhythmen, als man akustisch Takt wahrnahm? Bockelmann hält das für ausgeschlossen. Deshalb ist der Takt, wie wir ihn kennen, für ihn eine Errungenschaft der Moderne. Aber vorstellbar ist auch, daß das Taktgefühl vorher bestand, ohne daß es den Menschen notwendig erschien, es in ihre Musik zu übertragen - analog zur Perspektive in der Malerei. Eine Stärke von Bockelmanns Ansatz liegt darin, daß man diese Frage nicht entscheiden kann. Aber daß er sich auf eine Antwort festlegt, schließt die andere nicht per se aus.

Jedenfalls ist Bockelmann in seinen Augen der einzige Hellsichtige unter den Denkern, weil er den allem modernen Denken vorgängigen Mechanismus erkannt hat. Jeder Kritiker seiner Konzeption ist deshalb in dem gefangen, was ein älterer Herr, der die Welt auch nicht kapiert hat, als "Verblendungszusammenhang" bezeichnet. Unter Bockelmanns Prämissen klären sich aufs wunderbarste die von ihm in epischem Format ausgebreitete Geschichte der Wissenschaftstheorie, die Geschichte der Musik und auch - als guter Systematiker im Geiste Hegels stellt Bockelmann diese Ausführungen an den Schluß - die der Philosophie. Das ist, soviel sei zugestanden, bisweilen anregend zu lesen; es lohnt sich ja immer, alles tradierte Wissen einmal in Frage zu stellen. Doch als Essay hätten die Ausführungen mehr Überzeugungskraft entfaltet denn als Buch von Halbtausendseitenstärke, für das das darin als Motto angeführte Kierkegaard-Prinzip der Wiederholung formale Prägekraft beanspruchen darf.

Dazu hat Bockelmann sich einem Jargon verschrieben, der an Umständlichkeit seinesgleichen nicht hat. Fortwährend raunt der Autor, welch große Erkenntnisse noch folgen würden, und warnt den Leser, er werde seinem Verstand bald nicht mehr trauen. Dabei hat man nach der Hälfte des Buches das Prinzip spätestens verstanden, und von diesem Moment an ist die ganze Erwartungsrhetorik nur grotesk. Über diese Studie hinaus, die ihren Abschluß mit Leibniz erreicht, werden von Bockelmann weitere Arbeiten angekündigt, in denen bis hin zur leider immer noch nicht aufgestellten Allgemeinen Feldtheorie die Wirksamkeit der Prinzipien der funktionalen Abstraktion aufgezeigt werden soll. Dabei könnte man die von ihm isolierte Wirkung des dualistischen Denkens mit seinen Akzentverschiebungen und Rhythmen auch einfach auf eine altbewährte Formel bringen: "Eure Rede sei: Ja, ja. Nein, nein." Meine Rede ist: Nein, nein.

ANDREAS PLATTHAUS

Eske Bockelmann: "Im Takt des Geldes". Zur Genese modernen Denkens. Verlag zu Klampen!, Springe 2004. 511 S., Abb., geb., 36,- [Euro].

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